Bochum. Bochums Oberbürgermeister Thomas Eiskirch spricht über die neuen Corona-Regeln für Bochum. Er ärgert sich über eine Entscheidung des Landes.
Während die Inzidenz in Bochum lange Zeit noch an der 100er-Marke vorbei geschrappt ist, ist die Marke nun überschritten. Das hat Auswirkungen für Bochum. Darüber und über das Krisenmanagement in der Pandemie sprach Karoline Poll mit Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (SPD).
Die Inzidenz in Bochum liegt nun auch in Bochum bei über 100. Was bedeutet das?
Wir haben uns bereits vor einigen Tagen ans Land NRW gewandt, um abzustimmen, welche Maßnahmen wir zusätzlich ergreifen dürfen. Wir haben dazu nun - teilweise positive - Rückmeldungen bekommen: beispielsweise für die Erweiterung der Maskenpflicht in stark besuchten Parks wie etwa dem Südpark in Wattenscheid oder am Ümminger See. Die Abstimmung über den Kemnader See ist noch nicht abgeschlossen. Oder auch für die Anpassung der Kontaktbeschränkungen im öffentlichen Raum, so wie wir diese schon einmal hatten: beschränkt auf den eigenen Hausstand plus nur noch eine weitere Person aus einem anderen Haushalt. An Eltern appellieren wir, dass die Kita-Kinder - wenn es irgendwie machbar ist - zu Hause bleiben sollten. Leider keine positive Rückmeldung haben wir vom Land zum Aussetzen des Präsenzunterrichts für Nicht-Abschlussklassen an den Schulen bekommen. Hier hat uns das Ministerium gesagt, dass es unseren Vorschlägen - wie in vielen anderen Städten auch - derzeit nicht folgen möchte.“
Bei den Schulen waren sie schon öffentlich vorangeprescht und Dortmunds Oberbürgermeister Westphal an die Seite gesprungen, der die Schulen in seiner Stadt wieder schließen wollte.
Die NRW-Schulministerin hat ein sehr gutes Gespür für schlechtes Timing. Im November hat sie den Wechselunterricht abgelehnt und jetzt hält sie mit aller Macht an ihm fest. Zwei Wochen Schule vor den Osterferien mit ein bis kein Mal Testen, das ist nicht richtig gewesen. Mein Wunsch wäre es gewesen, dass wir vor 14 Tagen den Präsenzunterricht für die Nicht-Abschlussklassen nicht wieder hätten ermöglichen müssen.
Nun haben sich einige SPD-Oberbürgermeister auf Ihre Seite geschlagen, während Essen OB Kufen (CDU) seine Schulen offen halten möchte. Wie viel Wahlkampf spielt in Ihrer Kritik an der Landesregierung eine Rolle?
Keiner. OB Kufen und ich leiten den Kommunalrat gemeinsam, trotzdem hat jeder auch seine spezifische Sichtweise auf seine Stadt.
Würden Sie sich mehr Entscheidungsmacht für die Kommunen wünschen?
In einem Ballungsraum wie dem Ruhrgebiet gibt es Themen, die kann keine Kommune nur für sich entscheiden. Da geht es um alles, was Wanderungsbewegungen hervorruft, also Einzelhandel, Gastronomie, Zoos und große Kultureinrichtungen etwa. Es gibt andere Fragestellungen, bei denen mehr kommunale Entscheidungsmöglichkeiten besser wären.
Sind Sie zufrieden damit, wie Sie Bochum durch die Pandemie führen?
Wenn wir den Blick nach links und rechts schweifen lassen, dann haben wir in Bochum das gemeinsam bisher gar nicht so schlecht hinbekommen. Wir sind seit Beginn der Pandemie bis heute die Stadt mit einer relativ niedrigen Infektionsrate. Bei uns haben die Wellen immer sehr früh begonnen, sind aber auch früh wieder zurückgegangen und insgesamt flacher verlaufen. Wir hatten als eine der ersten Städte ein Drive-In-Zentrum, das Ansammlungsverbot und haben bereits zwei Jahre vor der Pandemie ein kommunales Krisenmanagement etabliert, mit dem wir sofort starten konnten. Das war ein Vorteil.
Und auf der anderen Seite?
Es gibt natürlich Punkte, die nicht optimal gelaufen sind. Und ich habe zunehmend das Gefühl, dass Ellenbogen wieder ausgefahren werden, der Egoismus größer wird. Das macht mir Sorgen.
Was in Bochumer sicher nicht gut läuft, ist die Digitalisierung an den Schulen. Das hat spätestens die Pandemie überdeutlich gezeigt. Was ist da falsch gelaufen?
Bei den technischen Voraussetzungen in den Schulen liegen wir deutlich hinter dem Zeitplan. Das ärgert mich. Wir versuchen da gegenzusteuern. Ich habe ein Projektteam Digitalpakt eingerichtet. Wir haben organisatorische Veränderungen vorgenommen und versuchen nun Zeit aufzuholen. Ich hoffe, dass wir bis zu den Sommerferien schon deutlich besser dastehen.
Was ist mit Raumlüftern?
Das Land hat gesagt, dass es Raumlüfter in Schulen fordert, in denen das Lüften nicht möglich ist. Das ist in den Bochumer Schulen nicht so. Zum Einsatz kommen sie in den Turnhallen ohne moderne Lüftungstechnik.
Während wir im Rathaus über strengere Kontaktbeschränkungen reden, feiert gerade unten vor der Tür eine große Gruppe ein frisch vermähltes Hochzeitspaar. Wie ist ihr Eindruck, akzeptieren die Bochumer die Beschränkungen noch?
Es gibt viele Menschen, die sich extrem gut an die Regeln halten. Und es gibt auch eine Reihe anderer. Da versuchen wir konsequent zu sein, so weit das geht in einer Stadt mit 372.000 Einwohnern. Wir haben unseren Ordnungsdienst massiv vergrößert und wir müssen mehr erklären. Wir sind im Moment dabei, stärker in Zielgruppen reinzukommen. Manche erreichen wir über unsere Veröffentlichungen und die Presse, andere eher nicht.
Wo sehen Sie für die nächste Zeit die größten Herausforderungen?
Fast die Hälfte der Schulen in Bochum hat Corona-positive Fälle, davon mehr als die Hälfte mit Mutations-Ausbrüchen. Es ist wichtig, darauf aufzupassen, ohne Sozialkontakte aus dem Blick zu verlieren. Die zweite Herausforderung ist das Thema Impfen und Testen. Für beides ist die Grundlage nicht vorhanden. Wir könnten im Impfzentrum fast zehn Mal so viel impfen, wenn genug Impfstoff da wäre. Ich gehe aber davon aus, dass wir in den nächsten Tagen sagen können, dass jeder Ü-80-Jährige, der einen Termin haben möchte, einen Termin vereinbaren konnte. Eine echte Herausforderung werden die sozialen und psychischen Folgen der Pandemie. Deshalb richten wir eine Stelle ein, die sich mit neuen Angeboten genau dazu beschäftigt.
In der vergangenen Woche waren abends im Impfzentrum auf einmal 150 Impfdosen übrig. Übers Radio wurde nach Interessierten gesucht. Vielen Menschen haben sich umsonst auf den Weg zum Ruhrcongress gemacht. War das richtige Weg?
Die Meldung der Kassenärztlichen Vereinigung war verkehrt. Sie hat zur Terminbuchung nicht ihre Hotline angeben, sondern die des Impfzentrums. Ich hoffe, dass das eine einmalige Ausnahme gewesen ist.
Händler und Gastronomen ächzen unter dem Lockdown. Machen Sie sich Sorgen um Bochums Innenstadt?
Natürlich. Aber: In der ersten Phase der Pandemie hat es in der Bochum Innenstadt mehr Neuvermietungen und Geschäftseröffnungen gegeben als Geschäftsschließungen. Gleichwohl habe ich Sorge. Die Pandemie wird in den Städten Spuren hinterlassen, auch in Bochum. Aber wir haben schon vor der Pandemie eine Vision für die Innenstadt entwickelt, die in Zukunft nicht mehr so handelszentriert sein wird, wie in der Vergangenheit. Das wird uns in der Zeit nach der Pandemie helfen.
Die FDP hatte im Rat angestoßen, dass Bochum Teil eines Modells des Landes werden soll, das gezielte Öffnungen von Kultur und Gastronomie mit regelmäßigen Testungen ermöglichen soll. Wie ist da der Stand?
Bund und Länder haben in ihren Vereinbarungen Modellregionen in Aussicht gestellt. Die Idee ist, dass sich die Menschen in diesen Modellregionen testen lassen und bei einem negativen Corona-Test dann für einen begrenzten Zeitraum beispielsweise öffentliche Einrichtungen oder Einzelhandelsgeschäfte besuchen dürfen. Für NRW hatte ich mit etwa fünf Modellstädten gerechnet. Heute aber kam vom Land eine neue Corona-Schutzverordnung, nach der ganz Nordrhein-Westfalen Modellregion sein kann - also jede einzelne Stadt. Natürlich konzipieren wir, wie und ab wann wir dies für Bochum nutzen können. Das wird in den nächsten Tagen von unserer Seite sehr schnell klarer werden. Allerdings müssen wir uns dann auch dieses Konzept vom Land wieder genehmigen lassen.