Bochum. Digitalisierung in Schulen? Das ist weithin kein Ruhmesblatt, gerade in Coronazeiten. Ein Bochumer Gymnasium zeigt, wie es funktionieren kann.
Nach ihrem Amtsantritt 2018 als Leiterin der Schiller-Schule sagte Dr. Birte Güting der WAZ: „Jeder Schüler sollte ein eigenes Tablet haben.“ In ihrer Zeit als stellvertretende Schulleiterin wurden bereits erste Weichen für die Digitalisierung des Gymnasiums gestellt. 2019 starteten die Jahrgänge fünf und sieben mit Tablets. Mittlerweile lernen alle Schüler bis Klasse 10 mit den Geräten. WAZ-Mitarbeiterin Nadja Juskowiak sprach mit Birte Güting.
Sie haben das Medienkonzept der Schiller-Schule gemeinsam mit Eltern, Schülern und Lehrern entwickelt. Was waren die ersten Schritte?
Bei der Schulsanierung haben wir gesagt: Wenn schon das ganze Gebäude auseinandergepflückt wird, soll es die entsprechende Infrastruktur bekommen. Das Andere war, dass die Stadt die Schulen aufgefordert hatte, ein technisches Medienkonzept einzureichen. Also: Welche Ausstattung gibt es? Was wird benötigt? Wir haben uns überlegt, dass wir viele Experten mit ins Boot holen müssen. Am Ende rennen hier tausend Leute mit ihren Endgeräten herum. Das ist wie eine größere Firma und kein Heimnetzwerk.
Digitalisierung in Schulen: Schiller-Schule versteht das als Gemeinschaftsprojekt
Wie ging es weiter?
Wir haben Eltern, Lehrer und Schüler zusammengerufen und es war dann relativ schnell klar, dass wir keine Computerräume mehr wollen. Auch war klar: Wenn wir das ernst nehmen, brauchen wir eine 1:1-Ausstattung und alle benötigen die gleichen Geräte. Was wir heiß diskutiert haben: Wollen wir Notebooks oder Tablets? Wir haben uns gegen Notebooks entschieden, weil sie schneller kaputt gehen, länger beim Start brauchen und vor allem die jüngeren Kinder hinter dem Bildschirm verschwinden. Wir haben uns auch verschiedene Schulen in NRW angeschaut, die bereits digital arbeiten, und wir haben mit Eltern gesprochen, die in dem Bereich arbeiten.
Was wurde angeschafft und wie wurde die Finanzierung realisiert?
Größter finanzieller Baustein sind die Endgeräte, die bei uns elternfinanziert sind. Ich habe da mit mehr Widerstand gerechnet. Aber am Ende war es recht einfach. Die Schüler unserer Schule erhalten einen besonderen Rabatt auf den Erwerb eines iPads samt Pen für unter 400 Euro über ein mit uns kooperierendes Systemhaus. Wer kein Tablet erwerben kann oder will, der bekommt Unterstützung von der Schule und dem Förderverein. Eine Finanzierung über das Systemhaus ist ohnehin möglich. Durch das eigene iPad fällt zum Beispiel die bisher verpflichtende Anschaffung eines grafikfähigen Taschenrechners in der Klasse 9 für circa 120 Euro weg.
Dienstgeräte für Lehrer fehlen noch immer
Wie funktioniert das technisch?
Die iPads werden mit Betreten des Schulgeländes von der Schule zentral mit dem ,Mobile-Device-Management’ verwaltet. Dadurch haben alle Nutzer immer die aktuellsten Apps auf ihrem Gerät. Das Wlan ist bei der Sanierung eingebaut worden und wurde von der Stadt bezahlt. Da die Tafeln rausgerissen worden sind, haben wir auch Whiteboards bekommen. Der Förderverein hat zusätzlich für jeden Unterrichtsraum ein Apple-TV bezahlt, sodass die Schüler von ihrem Platz aus den Bildschirm teilen können. Das ist sehr wichtig, damit nicht jeder mit seinem Gerät nach vorne kommen muss. Insgesamt kostet der laufende digitale Betrieb aktuell ungefähr 8000 Euro im Jahr aus dem Schulbudget. Davon bezahlen wir auch einen professionellen Datenschutzbeauftragten, weil ich oder die Lehrer das nicht machen können.
Schiller-Schule: gestern und heute
Die Schiller-Schule an der Königsallee am Löwen-Denkmal ist ein städtisches Gymnasium mit bewegter Geschichte.
2019 feierte die Schule ihren 100. Geburtstag. Sie wurde 1919 als selbstständiges Mädchengymnasium „Lyzeum II“ gegründet. Seit 1974 werden in der Schule auch Jungen unterrichtet.
Heute besuchen rund 1000 Schülerinnen und Schüler das Gymnasium. 2019 erreichte die Schiller-Schule den zweiten Platz des Deutschen Schulpreises, bei dem sie sich mit ihrem Konzept zur Demokratieerziehung beworben hatte.
Vermutlich sind nicht alle Lehrer und Eltern nur begeistert vom digitalen Lernen. Gab es Widerstände, die Sie überwinden mussten?
Das geht alles nicht von jetzt auf gleich. Wichtig ist, dass viele involviert sind. Wir haben bei vielen pädagogischen Tagen gemeinsam überlegt und den Eltern bei Infoveranstaltungen Fragen beantwortet. Mittlerweile kümmert sich ein Team von mehr als zehn Leuten aus dem Kollegium darum, dass die Geräte aktualisiert werden und laufen. Es gibt App-Cafés zum Austausch. Ein noch andauernder Widerstand sind allerdings die fehlenden Dienstgeräte für die Lehrkräfte, die sich die iPads bisher selbst kaufen.
Unterricht läuft analog – das Tablet ist ein Werkzeug
Digital unterstützter Unterricht ist Alltag geworden. Arbeiten alle Lehrer digital oder gibt es noch rein analogen Unterricht?
Das Tablet spielt im Unterricht eine untergeordnete Rolle. Es läuft immer mit, aber es findet normaler, analoger Unterricht statt. Wenn ich früher ein Mathebuch hatte, schauen die Kinder ja auch nicht 90 Minuten lang in das Buch. Das Tablet ist ein Werkzeug. Wir haben es vor Corona so gemacht, dass die Eltern nach den ersten Wochen mit den iPads selbst erleben, wie der Unterricht vonstatten geht. Dann wird deutlich, dass die Kinder keinesfalls die ganze Zeit auf den Bildschirm schauen. Das ist immer die große Sorge.
Die Kinder lernen in der Schiller-Schule das digital basierte Arbeiten – ein Vorteil. Sie lesen dabei viel auf dem iPad und schreiben oft mit dem elektronischen Pen. Geht da nicht auch etwas verloren?
Die Handschrift ist wichtig, deswegen mussten die Stifte dabei sein. Wir haben als Lehrer festgestellt, dass wir durch den Pen wieder mehr mit der Hand schreiben, durch die Möglichkeit, Handschriften einfach auszutauschen. Ich habe mir eine Folie gekauft, die sich ein bisschen wie Papier anfühlt, andere finden das Glas sehr schön. Aber wenn Schüler lieber einen Collegeblock benutzen, dann dürfen sie das natürlich jederzeit. Die Schüler empfinden es als Vorteil, nicht mehr so viele Bücher mitzuschleppen und in Freistunden Materialien dabei zu haben, auch wenn das Fach nicht auf dem Stundenplan steht. Es werden aber nach wie vor Schulbücher verwendet. Gerade Lektüren lesen die allermeisten Schüler lieber in Papierform.
Vier Jahre Planung zeigen Erfolg
Was waren Ihrer Meinung nach die wichtigsten Eckpunkte für den Erfolg des Medienkonzepts?
Die Beteiligung der Schulgemeinde und dass wir uns so lange Zeit gelassen haben. Wir haben vier Jahre geplant. Wichtig war auch, dass wir uns bewusst entschieden haben: Wir machen das nicht mit einer Klasse, sondern wir nehmen einen ganzen Jahrgang, damit ganz viele Lehrer involviert sind. In der siebten Klasse, wenn Latein und Französisch dazu kommen, werden die Klassen gemischt, dann hätte es Schüler mit und ohne Tablet gegeben.