Bochum. Anja Liedtkes neuer Roman ist ein Leseerlebnis. „Ein Ich zu viel“ erzählt literarisch stimmig von der Selbstfindung einer Deutschen in New York.
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Anja Liedtke zählt zu den profiliertesten Autorinnen in Bochum und im Ruhrgebiet. Ihr neuer Roman „Ein Ich zu viel“ belegt, warum. Wie kaum einer, gelingt der Bochumerin der Spagat zwischen zeitgeschichtlicher Auseinandersetzung und persönlicher Bezugnahme – in diesem Fall geht es um eines von Anja Liedtkes Zentralthemen, den Holocaust.
Verhältnis zwischen Deutschland und Israel
Die deutsche Geschichte, die verbunden ist mit dem größten Menschheitsverbrechen des industriellen Massenmords in der NS-Zeit, treibt Liedtke (*1966) seit Jugendtagen um. Immer wieder hat sie sich mit dem labilen Verhältnis zwischen Deutschland und Israel auseinandergesetzt, so in „Blumenwiesen und Minenfelder“. Nun führt sie die Reise, die wieder eine Fahrt ins Ungewisse ist, nach New York.
Erzählt wird in „Ein Ich zu viel“ davon, was es braucht, um sein Selbst zu entwickeln und das, was es ausmacht, ein Mensch zu sein. Die Hauptfigur Ellinor steckt voller Selbstzweifel und ringt mit Identitätskonflikten, als sie in der US-Metropole auf den Psychologen Dan Guttman trifft.
Aufbegehren gegen die Elterngeneration
Er ist Kind jüdisch-deutscher Eltern, die vor den Nazis geflohen waren. Dan nimmt Ellinor auf, verschafft ihr einen Job und berufliche Perspektiven. Bei ihm findet sie Verständnis für ihre Zerrissenheit zwischen Schuldgefühlen für die deutschen NS-Gräuel – und für ihr Aufbegehren gegen die Elterngeneration, die das „Dritte Reich“ schweigend als „bewältigte Vergangenheit“ abzutun suchte.
Der Clou des Buches soll hier nicht verraten werden, aber die Suche der Ellinor gipfelt in einer clever herausgearbeiteten Begegnung mit sich selbst, mit ihrem anderen Ich.
Starke Dialoge, einprägsame Ortsbeschreibungen
„Ein Ich zu viel“ funktioniert als ein profundes Stück Literatur auf verschiedenen Ebenen. Der Plot des Romans - Schuld und Sühne als Herausforderung der Persönlichkeitsbildung - wird in fast schon philosophischen Reflexionen ausgebreitet. Aber Liedtke vermittelt ihren Stoff nie belehrend, vielmehr sind die eingestreuten Passagen aus direkter Rede voller Tempo und Ironie, sie wirken wie Beschleuniger im Lesefluss. Nicht zuletzt ist die Autorin eine hellwache Beobachterin – Anja Liedtkes Beschreibungen der Straßen, Orte, Stimmungen und Gerüche von New York sind plastisch wie in einer stimmigen Reportage.
>>> Info: „Ein Ich zu viel“ erscheint im Asso Verlag Oberhausen (18 Euro). Die Buchvorstellung findet wegen Corona per kostenlosem Videostream auf Youtube statt. Termin: Freitag, 26. Februar 2021, 19.30 Uhr.
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