Berlin. Nach der Corona-Seuche wird New York von einer Gewaltwelle erschüttert: Im Juni gab es 205 Schießereien. Trump droht mit „Einmarsch“.

New York war gerade auf dem Weg der Besserung. Die Glitzer-Metropole am Hudson River hatte in den Corona-Abgrund geschaut: mehr als 18.000 Menschen starben an der Seuche. Doch zuletzt gab es immer mehr Tage, in denen keine Corona-Neuinfektionen verzeichnet wurden. Hoffnung keimte auf. Die Stadt, die die Terroranschläge des 11. September überlebt hatte, schöpfte neuen Atem.

Doch nun wird New York von einer Welle der Gewalt erschüttert. Im Monat Juni gab es 205 Schießereien, so viele wie seit 1996 nicht mehr. Alleine über das Wochenende des Nationalfeiertages am 4. Juli kam es zu 64 Schießereien mit zehn Toten.

Gewalt in New York: Eines der gewalttätigsten Wochenenden

„Dies ist ein harter Sommer“, sagte Terence Monahan, der ranghöchste Polizist im New York Police Department (NYPD). Das erste Juliwochenende sei „eines der gewalttätigsten in der jüngsten Geschichte“, fügte er hinzu. „Es zeigt sich, wie viele Leute mit Waffen rumlaufen.“

Eigentlich hatte New York die schlimmsten Jahre hinter sich, war zur sichersten US-Großstadt geworden. Doch nun zeigen die Zahlen in eine andere Richtung. Während Raubüberfälle und Diebstähle langfristig weiter abnehmen, steigt die Zahl der Schießereien wieder scharf an.

„Bill, tu was!“, titelte die Boulevardzeitung „New York Post“ mit Blick auf Bürgermeister Bill de Blasio. Es war eine Anspielung auf ein ähnliches Cover vom September 1990, als David Dinkins Bürgermeister war („David, tu was!“) und Bill de Blasio sein Berater.

Jeder Fünfte in New York hat derzeit keinen Job

Es gibt einige Ursachen für die hochschießende Gewalt. Die Arbeitslosigkeit während der Pandemie stieg dramatisch an. Jeder Fünfte in New York hat derzeit keinen Job. Das gab es seit der Weltwirtschaftskrise Anfang der 30er- Jahre nicht mehr. Der Frust darüber entlädt sich in Aggression oder Missachtung von Normen. Dazu zählen auch die vielen illegalen Feuerwerke, die viele Einwohner seit Juni nächtelang wach hielten.

Coronavirus in den USA:

Zudem ist das Justizsystem auf ganzer Linie überbelastet. Die Gerichte sind unterbesetzt. 2500 Insassen des New Yorker Stadtgefängnisses Rikers Island wurden vorzeitig entlassen, weil dort das Virus im Umlauf war. Viele U-Häftlinge blieben auf freiem Fuß, darunter fast die Hälfte aller wegen Waffenbesitz Angeklagten.

7000 der 38.000 Polizeibeamten in New York warne zeitweise krankgeschrieben

Die Corona-Krise nagte an der Personalsituation der Polizei. In New York City waren zeitweise mehr als 7000 der 38.000 Beamten krankgeschrieben, Dutzende sind an Covid-19 gestorben. Und da ist da noch das Motivations-Problem: Immer wieder behaupten Polizisten, sie seien mit den andauernden Black-Lives-Matter-Protesten so abgelenkt, dass sie nicht mehr dazu kämen, sich um Kriminelle zu kümmern.

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Doch New York ist kein Einzelfall. Chicago, Washington, Atlanta, Minneapolis, Philadelphia, Houston oder Miami: Überall explodiert derzeit die Schusswaffengewalt, und überall sterben dabei auch Kinder. „Das darf nicht zur Normalität werden“, klagte David Brown, der Polizeichef von Chicago.

In Portland ließ Trump an der Gouverneurin vorbei Bundespolizei aufmarschieren

US-Präsident Donald Trump stieß finstere Drohungen aus. „New York City ist außer Kontrolle“, erklärte er und deutete „aufregende Maßnahmen“ gegen die Gewalt in seiner Ex-Heimat und anderen „Kriegsgebieten“ an: Notfalls werde er „einmarschieren“ und diese „linksradikalen Städte“ einfach „übernehmen“.

Wie so etwas aussehen könnte, demonstrierte er dieser Tage in Portland im Bundesstaat Oregon. Dort tauchten auf einmal - ohne Genehmigung der demokratischen Gouverneurin oder der örtlichen Behörden – hochgerüstete Beamte des Heimatschutzministeriums und der Grenzpolizei ICE in Tarnuniform auf. Nach US-Medienberichten gingen sie brutal gegen Demonstranten vor. Oregons Justizministerin hat Klage gegen die Bundesbehörde eingereicht.