Bochum. Regelmäßig hat die Polizei Bochum mit Beleidigungen zu tun. „Scheiß Nazis! Scheiß Bullen“ – solche Ausdrücke fallen. Zwei Polizeikräfte erzählen.
Vor wenigen Tagen vor dem Hauptbahnhof Bochum: Ein Radfahrer fährt verbotswidrig über den Fußgängerüberweg Richtung Fußgängerzone, auf dem Kopf ein mächtiger Kopfhörer. Streifenbeamte stoppen kurz ihr Auto, weisen ihn vom Sitz aus ganz ruhig auf die Verfehlung hin, und fahren dann ohne Sanktion weiter. Der Radfahrer, augenscheinlich Deutscher, ruft im Wegfahren lauthals für alle Passanten hörbar: „Scheiß Nazis!“
Beleidigungen, Respektlosigkeiten, Unverschämtheiten, Anfeindungen, Pöbeleien – sie gehören zum Alltag der Bochumer Polizei. Die Kräfte im Streifendienst bekommen das am meisten mit. Zum Beispiel Polizeikommissarin Lena Binczyk (30) und Polizeikommissar Felix Englert (26). Die beiden fahren seit Jahren Streife in Wattenscheid. Tag und Nacht.
Junge Leute in Wattenscheid rufen: „Scheiß Bullen! ,Nazis!, Verpisst euch! Haut ab!“
Lena Binczyk erzählt der WAZ ein Beispiel von einer Hochhaussiedlung an der Westenfelder Straße, Höhe Sparkasse. Jugendliche und junge Erwachsene aus mehreren Stadtteilen Wattenscheids halten sich dort abends oft auf und trinken Alkohol, auch werktags. Die Polizei fährt dort regelmäßig Streife. „Aus dem Dunkeln kommen Beleidigungen wie ,Scheiß Bullen’, ,Nazis’, ,Verpisst euch!’, ,Haut ab!’“, berichtet Lena Binczyk. Sowas passierte schon, bevor bei der Polizei Mülheim eine mutmaßlich rechtsextremistische Chat-Gruppe aufgeflogen war.
Die Polizei steigt dann aus. Weil aber alle jungen Leute schnell in die Hinterhöfe rennen, kommen die Beamten nicht an alle ran. Wird einer geschnappt, ist er ganz kleinlaut. Und bekommt auch eine Anzeige. „Ich fühle mich persönlich beleidigt“, sagt die Polizeikommissarin. Auch Anwohner würden das mitbekommen. Beleidigungen würden angezeigt. „Warum soll ich jemanden, der mich beleidigt, mit einem Du-Du-Du! weiterlaufen lassen? Dann lernt er das nicht.“
Bochumer Polizeikommissar: „Es ist wichtig für uns, Stärke zu zeigen“
Englert ergänzt: „Es ist wichtig für uns, Stärke zu zeigen.“ Und auch den Anwohnern zu signalisieren: „Wir tolerieren das nicht.“
Auch bei Einsätzen wegen Ruhestörung wird die Polizei regelmäßig mit Respektlosigkeiten konfrontiert. Englert berichtet – ein typisches Beispiel – von einer lauten Gartenparty in Wattenscheid-Mitte nachts um drei bis vier Uhr, mitten in der Woche. Anwohner riefen die Polizei. Aber die Partyleute waren sauer, dass die Polizei mit zwei Beamten und einem Praktikanten erschien. „Die Frechheit zu haben, sich zu beschweren, wenn die Polizei kommt!“, ärgert sich Englert. Die Partygäste hätten gesagt: „Warum kommen Sie zu dritt? Sind wir Schwerverbrecher? Haben Sie nichts anderes zu tun? Jagen Sie die richtigen Straftäter!“
Vorwürfe des „racial profiling“: „Ihr kontrolliert mich nur, weil ich Ausländer bin“
Englert: „Es gibt null Einsicht!“ Gerade bei Ruhestörungen müsse in 80 Prozent der Fälle immer diskutiert werden. „Wir leben in einer Großstadt auf engem Raum, dann muss man Rücksicht nehmen.“ Lena Binczyk sagt, dass einer mal erklärt habe: „Sie dürfen die Party nicht beim ersten Mal auflösen!“ Die hätten die Vorstellung, dass wir erst dreimal kommen müssen.
Die beiden Polizeikräfte berichten von einem weiteren typischen Fall der Respektlosigkeit bei einer Fahndung wegen eines Einbruchs. Auf der Schützenstraße wurde nachts ein Mann kontrolliert, auf den eine Täterbeschreibung zutraf. Die Polizei schaute in seine Taschen. Er habe gesagt: „Was wollt Ihr? Das Spiel hatte ich schon 20-mal. Ihr kontrolliert mich nur, weil ich Ausländer bin.“
Nicht selten wird die Polizei mit dem Vorwurf konfrontiert, dass sie mehr solche Leute kontrolliere, die dem Augenschein nach einen Migrationshintergrund haben („racial profiling“). Englert sagt dazu: „Dass Menschen mit Migrationshintergrund jedes staatliche, repressive Handeln auf ihre Herkunft zurückführen, dafür habe ich kein Verständnis.“ In Wattenscheid gebe es nun einmal einen besonders hohen Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund. Da sei es ganz natürlich, dass man häufiger mit ihnen zu tun habe.
Wechsel nach Wattenscheid war „ein Kulturschock“: „Das Pflaster hier ist rau“
Und was Nazi-Vorwürfe betrifft, meint Englert: „Die Nazi-Schiene – ,Sie kontrollieren mich nur, weil ich Ausländer bin’ – kommt fast täglich.“
Jener kontrollierte Mann von der Schützenstraße hatte mit dem Einbruch übrigens nichts zu tun. Es stellte sich aber heraus: Er war wegen Gewalttaten, Aggressionsdelikten und Einbruchs vorbestraft und saß schon in der JVA.
Englert hatte früher in Castrop-Rauxel als Polizist gearbeitet. Dort gab es weniger Respektlosigkeiten, sagte er. Danach kam er nach Wattenscheid. „Das war ein Kulturschock. Das Pflaster hier ist rau.“ Mit so genannten Durchschnittsbürgern habe die Polizei keine Probleme – und umgekehrt. „Die Bürger, die am häufigsten respektloses Verhalten an den Tag legen, sind die, die bereits polizeilich bekannt sind.“ Das gelte für Deutsche genau so wie wie für Menschen mit Migrationshintergrund.
„Was fällt ihnen ein, mich vor meiner Haustür zu kontrollieren!“
Szenenwechsel Fahrzeugkontrolle: Lena Binczyk wollte am Montag in Leithe den Fahrer eines tiefergelegten BMW kontrollieren und gab Anhaltezeichen. Er sei sofort ausgestiegen und habe gesagt: „Was fällt Ihnen ein, mich vor meiner Haustür zu kontrollieren! Was wollen Sie eigentlich?“ Gerade bei Verkehrskontrollen habe so ein Ton „enorm zugenommen“. Er sei fast schon alltäglich.