Bochum. Zehn Jahre ist es her, dass der Ruhrschnellweg zum Tummelplatz für Passanten und Radler wurde. Ein Ereignis, das nie mehr wiederkommt. Oder doch?

Besondere Tage hat das Ruhrgebiet in seiner jüngeren Geschichte manche erlebt, etwa als sich „Das Band der Solidarität“ formierte: Von Neukirchen-Vluyn bis Lünen, auf 93 Kilometern, demonstrierten die Menschen am 14. Februar 1997 für den Erhalt der Arbeitsplätze im Steinkohlebergbau. Noch spezieller – und ebenso unvergesslich - war aber der 18. Juli 2010, das Datum des „Still-Lebens A 40“. Auf den Tag zehn Jahre ist das einzigartige Ereignis her, das auch Bochum in Wallung brachte.

Für einen Sonntag herrschte Stillstand auf der A 40, dem Ruhrschnellweg, der damals wie heute eine von Staus geplagte, vielbefahrene Autobahn ist. Es soll nicht wenige Menschen geben, die sich genau erinnern, was sie an dem Tag taten, an dem Elvis Presley starb (16. August 1977).

Das wird man im Leben nicht vergessen

Möglicherweise sind es noch viel mehr, zumal im „Pott“, die das Still-Leben als Merkzeichen ihres Lebens abgespeichert haben, das garantiert nicht gelöscht, sprich: vergessen werden kann.

Dichtes Gedränge: An den Auf- und Abfahrten tummelten sich die Besucher.
Dichtes Gedränge: An den Auf- und Abfahrten tummelten sich die Besucher. © WAZ FotoPool | Karl Gatzmanga

Dafür war das Event, das aus Anlass der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 ins Werk gesetzt worden war, denn auch zu wirkmächtig: Nicht länger sollte sich der Verkehr auf der Lebensader des Reviers stauen, sondern viele Hunderttausende Menschen Picknick auf der Autobahn machen. „Die Metropole Ruhr feiert“ lautete das so eindeutige wie einleuchtende Motto. Und natürlich war Bochum mal wieder mittendrin.

Hauptschlagader des Ruhrgebiets

Denn Bochum hatte bei dem weltweit beachteten „Begegnungsfest der Alltagskulturen“ auf den gesperrten 60 Kilometern zwischen Duisburg-Homberg (A40) und Dortmund Märkische Straße (B 1) die meisten Anschlussstellen und den längsten Streckenabschnitt mit 5600 Tischen. An der Anschlussstelle Ruhrstadion befand sich die „Bochumer Bühne“, ein Bühnen-Truck der Polizei NRW. Die lange Tafel auf der Hauptschlagader des Ruhrgebiets sorgte allerdings nicht nur in Bochum, sondern überall für großes Interesse. Natürlich waren das Still-Leben und die Kulturhauptstadt 2010 abends Thema in der „Tagesschau“.

Logistische Vorarbeit über Monate hinweg

Die logistische Vorarbeit zog sich über Monate hin, bis es schließlich so weit war. Bereits am Samstag, 17. Juli, wurde die Autobahn um 22 Uhr gesperrt. Das Still-Leben selbst fand am Sonntag von 11 Uhr bis 17 Uhr statt. Am Montagmorgen wurde die A 40 wieder für den Verkehr freigegeben. Die übrige Zeit ging komplett für den Auf- und Abbau der Tische und der Infrastruktur drauf.

Zigtausende machten mit, man hatte den Eindruck, ganz Bochum sei auf den Beinen bzw. auf dem Fahrrad unterwegs. Ob als Kindergeburtstagsgesellschaft oder als Kegelclub, Kleingärtnerverein oder Rotary-Club – über 25.000 Biertische konnten über ein Online-Portal reservieren lassen. 250.000 Menschen waren bei bestem Sommerwetter auf den Beinen. Das war stellenweise richtig eng!

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Es fing schon damit an, dass man gar nicht so leicht auf die Autobahn gelangen konnte. Mit dem Rad ging es quer durch Bochum, etwa zur Anschlussstelle am Ruhrstadion. Hier war mittags alles abgesperrt – zu viel Andrang. Die Sicherheitskräfte ließen nur nach und nach die Leute auf die Piste.

Die Sonne brannte, Schatten gab’s kaum

In langen Reihen standen Biertische an Biertischen. Die Sonne brannte, Schatten: Fehlanzeige. Egal, ob man sich auf dem „Mobilitätsstreifen“, der eigens für Radler und Skater eingerichtet worden war, oder auf dem Asphalt entlang der Tischreihen bewegte: Nach Westen in Richtung Wattenscheid und Osten Richtung Harpen/Lütgendortmund war es dasselbe Bild: alle „schwarz vor Menschen“. Aber eigentlich passt das Sprachbild gar nicht, denn vielmehr war der Eindruck: Alles so schön bunt hier! Und friedlich.

Sommerlich-locker, entspannt, ohne Randale ging das Still-Leben in Bochum zu Ende. So das Fazit der Polizei am Sonntagabend. „Bisher keine Alkoholprobleme“, meldeten die Ordnungskräfte gegen 16.30 Uhr. Und ein Beamter meinte, er habe noch nie so wenige Raucher bei einer so großen Veranstaltung gesehen. Und so wenig Müll auf der Straße, was allerdings kaum verwunderte angesichts der Masse an Dixi-Klos und grauen Müllbehältern.

Kunst beim Still-Leben: Mit Sandstrahltechnik hatten Künstler die Seitenwände der Unterführung zwischen Freudenbergstraße und Hamme verziert.
Kunst beim Still-Leben: Mit Sandstrahltechnik hatten Künstler die Seitenwände der Unterführung zwischen Freudenbergstraße und Hamme verziert. © WAZ FotoPool | Karl Gatzmanga

Am Ende hatte es auf dem Bochumer A 40-Abschnitt 31 Sanitätsbehandlungen, sieben Krankentransporte und 15 Einsätze mit dem Rettungswagen gegeben, sechs Mal musste der Notarzt ran. Zwei Teilnehmer waren vom Fahrrad gestürzt, bei einem bestand Verdacht auf Herzinfarkt, ein anderer hatte einen Allergieschock nach einem Wespenstich.

Zwei Millionen auf den Beinen

Mindestens zwei Millionen Menschen waren alles in allem an diesem denkwürdigen Tag vor zehn Jahren auf der A 40 spazieren gegangen, man sprach von 500.000 Radfahrern, die sich auf der Mobilitätsspur eingefädelt hatten. Wie viele davon in Bochum vorbeikamen, ist nicht überliefert.

Ob es wohl zu einer Neuauflage kommt? Viele Bürger/innen würden es sich wünschen. Bislang sind alle Forderungen nach einer Wiederholung des Still-Lebens mit dem Hinweis auf den großen Aufwand und die hohen Kosten abgeschmettert worden. Wie dem auch sei: Wenn es abermals soweit sein sollte, steht eines jetzt schon fest: Bochum ist dabei!

>>> Ihre Erinnerungen sind gefragt!

Vor zehn Jahren gehörte die A 40 den Fußgängern und Radfahrern – wie haben Sie, liebe Leserinnen und Leser, das einzigartige Ereignis „Still-Leben A 40“ erlebt? Sind die Erinnerungen noch frisch? Was war für Sie besonders wichtig damals? Und: Wünschen Sie sich eine Wiederholung?

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