Wattenscheid. Derzeit werden viele Bomben aus dem 2. Weltkrieg in Bochum gesucht – und gefunden. Bei älteren Bürgern ruft das Erinnerungen an die Zeit wach.
„Spätestens Anfang des Jahres 1945 zeigte sich eindeutig, dass der Zweite Weltkrieg für Deutschland endgültig verloren war und die sinnlosen Durchhalteparolen der NS-Propaganda zunehmend auf taube Ohren stießen“, sagt der Wattenscheider Heimatforscher Rudolf Wantoch (81). Die alliierten Soldaten stießen immer weiter Richtung Ruhrgebiet vor. Wattenscheid wurde im April eingenommen. „Wer seinen gesunden Menschenverstand gebrauchte, sah zu, wie er nach Möglichkeit schadlos aus dem Schlamassel herauskam.“
Große Flakstellung in Westenfeld
So auch die Soldaten der großen Flakstellung in Westenfeld im Bereich Lohackerstraße. Sie diente vor allem auch zur Verteidigung der nahe gelegenen Kruppwerke, die für die deutsche Kriegswirtschaft wichtig waren, vor feindlichen Luftangriffen. Hier wurden vergangene Woche zehn Granaten gefunden, die Suche nach weiteren Kampfmitteln läuft dort derzeit noch.
„Als der Zusammenbruch bevor stand, haben die deutschen Soldaten ihre restlichen Granaten einfach vergraben, damit sie nicht in Feindeshände fielen und sich aus dem Staub gemacht“, so Rudolf Wantoch. Bilder dieser Flakstellung haben die ehemaligen WAZ-Redakteure Hartmut Schürbusch und Alfred Winter in ihrem Buch „Nacht über Wattenscheid“ veröffentlicht.
Evakuierung notwendig
Zehn deutsche Granaten aus dem 2. Weltkrieg (fünf Panzer- und fünf Sprenggranaten) wurden am Donnerstag, 9. Juli, bei Neubauarbeiten am Schumannweg in Westenfeld gefunden. Sie lagen wohl teilweise unter den abgerissenen alten Häusern aus den 1960er Jahren.
Neun Granaten wurden am Donnerstagnachmittag dann vor Ort kontrolliert gesprengt, eine wurde abtransportiert. Im 150-Meter-Radius fand zuvor eine Evakuierung statt.
Viele Bomben blieben im Boden
Nach dem Krieg sind die Schäden überall sichtbar, „Häuserruinen und Bombentrichter waren überall vorhanden und ich kann mich noch gut an einen Bombentrichter auf dem Feld zwischen Beisenkamp und Steinhausstraße in Wattenscheid erinnern. Das war ein interessanter Spielplatz für uns Kinder. Viele Frösche hatten sich am Trichtergrund angesammelt“, so Rudolf Wantoch, Ex-Wart des Heimatmuseums Helfs Hof und Mitglied im Heimat- und Bürgerverein Wattenscheid (HBV).
Doch eines Tages, erinnert er sich, „war dieser Bombentrichter verschwunden und wir waren sehr traurig. Ich fragte meinen Großvater: Wenn doch noch eine Bombe darin wäre, was passiert denn dann?“ Seine Antwort lautete: „Das ist nicht so schlimm, die verrotten mit der Zeit“ – und das war nicht nur die Meinung meines Großvaters, sondern eine allgemeine Meinung, betont Rudolf Wantoch. „Das Ergebnis dieser allgemeinen Meinung holt uns heute nach über 75 Jahren noch ein.“ Wo gebaut wird, werden zuvor alte Luftbilder auf Verdachtsfälle ausgewertet, viele Kampfmittel schlummern noch im Boden.
48 Luftangriffe auf Wattenscheid
Nach bisherigen Zeitungsberichten seien seit 1950 14 Sprengbomben auf dem ehemaligem Stadtgebiet Wattenscheid gefunden und entschärft worden. Die gefährlichste Bombe war eine 36-Zentner-Luftmine, die in Eppendorf am 31. August 1955 gefunden wurde, erklärt der Heimatforscher. Erst kürzlich – am 1. Juli – wurde am Aschenbruch in Günnigfeld eine 250-Kilo-Fliegerbome entschärft. Am 9. September 2019 wurde eine Bombe an der Marienstraße entschärft.
Am 2. April 1945 erlebt Wattenscheid den letzten von 48 Luftangriffen, durch die insgesamt 328 Menschen in Wattenscheid sterben. Wenig später, am 10. April, besetzen US-Truppen fast kampflos die Stadt. Rudolf Wantoch war damals sechs Jahre alt.
Im April 1945 wurde Wattenscheid besetzt
Die Besetzung Wattenscheids vollzieht sich in zwei Etappen. Zunächst fühlen US-Einheiten am 9. April 1945 in Sevinghausen vor, Artillerie nimmt die Flakstellung in Westenfeld im Bereich der Lohackerstraße unter Beschuss. Panzersperren und vereinzeltes deutsches Gegenfeuer halten sie nicht auf. Panzer rollen über Varenholz- und Zollstraße, notiert die Pfarrchronik der kath. Gemeinde Höntrop; es gibt nur wenig Gegenwehr deutscher Soldaten.
Im Auszug der Chronik über den Ablauf am 9. April steht: „Gegen 10.30 Uhr kommen amerikanische Infanteristen durch die Hönnebecke und Vincenzstraße, wohl zwei Gruppen zu je zehn Mann, das Gewehr im Anschlag. Inzwischen waren unsere eingebauten Flakgeschütze zersprengt worden. Die Stellung rauchte. Die Flakhelfer waren abgezogen.“ Sinnloser Widerstand kostet laut Pfarrchronik zehn Angehörigen von Volkssturm und Hitlerjugend in Eppendorf noch das Leben, sie kämpfen nur mit einem Maschinengewehr und Panzerfäusten.
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