Bochum. Viele Ängste hindern Opfer häuslicher Gewalt daran, sich vom gewalttätigen Partner zu trennen. Die Gründe erklären drei Bochumer Experten.

Wer nie Opfer häuslicher Gewalt war, fragt sich früher oder später: Warum kehren Betroffene zu ihrem gewalttätigen Partner zurück? Warum ist die Trennung vom Täter so schwierig? Gespräche mit drei Bochumer Experten zum Thema Häusliche Gewalt zeigen: Die Beweggründe, nicht wegzugehen, sind vielschichtig und individuell.

1 Todesangst. Angst vor einer Eskalation der Gewalt hält viele Betroffene von einer Trennung ab. Unberechtigt ist die Angst nicht: Jeden zweiten bis dritten Tag wird in Deutschland eine Frau durch ihren Partner oder Ex-Partner getötet. „Wenn der Mann durch Bedrohungen ein Klima der strukturellen Gewalt geschaffen hat, versucht die Frau zu deeskalieren, niemanden zu verärgern – aus Angst vor schlimmeren Übergriffen“, sagt Knut Hoffmann, stellvertretender ärztlicher Leiter der LWL-Psychiatrie in Bochum.

2 Abhängigkeit. „Betroffene fürchten wirtschaftliche Folgen der Trennung, Obdachlosigkeit und Armut“, so Hoffmann. Nicht nur die Kindererziehung schafft finanzielle Abhängigkeiten vom arbeitenden Partner: Ein kontrollierender, isolierender Ehemann sorgt dafür, dass die berufliche Entwicklung der Frau und Kontakte nach Außen unterbunden werden. Eine Betroffene schildert: „Ohne ihn konnte ich nirgendwo hin. Er sagte: ,Wozu brauchst du ein Auto? Ich werde dich fahren.‘“ Unter Einwanderern kann eine Hausfrau auch von der Übersetzung ihres Mannes abhängig sein.

Gewalt und Femizide

Seit 2005 verzeichnet die Polizei Bochum einen stetigen Anstieg von häuslicher Gewalt.

Im Jahr 2005 waren es 558 Fälle, fünf Jahre später im Jahr 2010 schon 690 Fälle und in 2019 gingen 792 Anzeigen wegen häuslicher Gewalt ein.

Das BKA verzeichnete 2018 bundesweit 140.755 Fälle von Partnerschaftsgewalt, in 81 Prozent war das Opfer weiblich.

Bundesweit wurden in 2018 421 Menschen durch einen Partner oder Expartner getötet, darunter 324 Frauen.

3 Familie. Viele Betroffene haben den Wunsch nach einer intakten, „vollständigen“ Familie. „Wenn Trennung im Raum steht, bemerken manche Väter plötzlich ihre Vaterschaft“, sagt Ulrike Langer, Leiterin des Caritas-Frauenhauses Bochum, Mütter wollten dann ihren Kindern den Vater nicht vorenthalten. Betroffene lassen sich von ihrem Partner einreden, sie verlören das Sorgerecht bei einer Scheidung, so Knut Hoffmann von der LWL-Klinik, „Dann droht der Mann: ,Wenn du jetzt nicht wiederkommst, siehst du die Kinder nie wieder.“

4 Scham. Willensstarke, selbstsichere Frauen schämen sich dafür, dass sie beziehungsinterne Gewalt – vielleicht schon jahrelang – hinnehmen. „Kombiniert mit Selbstzweifeln ist Scham ein entscheidender Faktor. Die Frau sagt sich: ,Ich habe es wohl verdient. Vielleicht hat er Recht, wenn er sagt, ich tauge nichts‘“, sagt Babett Görnert von Nora e.V.

5 Umfeld. Druck entsteht auch durch Verwandte, die sagen „Du darfst dich nicht trennen. Du bringst deine Familie in Verruf!“, erklärt Ulrike Langer. In eingewanderten Familien spielten auch arrangierte Ehen eine Rolle. „Die Frauen wissen gar nicht von Hilfsangeboten und dass sie in Deutschland nicht bei ihrem Mann bleiben müssen“, so Langer. Zudem unterstelle die Gesellschaft Frauen eine Mitschuld, wenn sie sich nicht selbst befreien.

6 Hoffnung. „Männer beteuern, dass Ihnen das nie wieder passiert. Darauf lassen sich die Frauen ein“, sagt Langer. Sie führten sich positive Seiten ihres Partners vor Augen. „Die Erfahrung zeigt aber, dass die Männer nichts unternehmen, um künftige Gewalt zu stoppen, beispielsweise eine Therapie beginnen,“ sagt die Leiterin des Frauenhauses. „Oft ist der übergriffige Teil der Beziehung die einzige Bindung, die die Betroffenen überhaupt noch haben“, sagt Knut Hoffmann, eine völlige Bindungslosigkeit sei schwer auszuhalten.

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