Bochum. Die Stadt Bochum ist im Corona-Krisenmodus. OB Thomas Eiskirch richtet im WAZ-Interview einen Appell an die Bürger: “Passen Sie auf Bochum auf!“
Die Stadt Bochum ist im Krisenmodus. Oberbürgermeister Thomas Eiskirch (49, SPD) nahm sich in dieser Woche dennoch 90 Minuten Zeit, um sich im Rathaus (mit gebotenem Sicherheitsabstand) den Fragen von WAZ-Redakteur Jürgen Stahl zu stellen.
Die Corona-Krise hat das Leben der Bochumer fest im Griff. Welches ist die wichtigste Botschaft, die Sie den Bürgern als Oberbürgermeister übermitteln möchten?
Passen Sie auf sich auf! Passen Sie auf Bochum auf! Und bleiben Sie gesund. Passen Sie auf sich auf: Das gilt für die eigene Gesundheit, aber auch für viele Familien, die jetzt auf engstem Raum zusammenleben und extreme Stresssituationen meistern müssen. Passen Sie auf Bochum auf: Das meint, dass wir uns solidarisch verhalten, aufeinander achtgeben und schon jetzt den Blick dafür schärfen, dass wir nach der Krise die Offenheit und die Bürgerbeteiligung bewahren, die Bochum ausmachen. Ich möchte nicht dauerhaft in einer Stadt leben, die sich derart reglementiert, wie es zur Zeit notwendig ist. Das darf kein Dauerzustand sein. Das würde unsere Demokratie und unser Zusammenleben gefährden. Und bleiben Sie gesund: Das verstehe ich auch als Appell, alles zu tun, damit sich so wenig Menschen wie möglich anstecken.
Bochum hat am vergangenen Freitag ein Ansammlungsverbot verfügt, zwei Tage vor der Kontaktsperre des Landes. War das trotzdem zu spät?
Wir haben die Entscheidung zu einem angemessenen Zeitpunkt getroffen. Ich glaube, dass dies eine bessere Lösung als eine Ausgangssperre ist. Sie verhindert unnötige soziale Kontakte, hält das Leben vor allem von Familien aber weiter aufrecht. Damit ist die Akzeptanz und am Ende auch der Erfolg größer.
Die Auflagen werden inzwischen sehr diszipliniert befolgt.
Das verdient ein großes Lob. Die Einschränkungen sind für die Menschen alles andere als einfach, etwa für eine Familie mit vier Kindern ohne Balkon, oder für Angehörige, die ihre Liebsten in Alten- und Pflegeheimen nicht besuchen können. Da herrscht vielerorts Verzweiflung. Umso mehr bin ich froh, dass nun die allermeisten Bürger für sich realisiert haben, dass Schluss mit lustig ist. Bochum ist im Moment sehr diszipliniert. Danke dafür!
Welche Auswirkungen hat die Krise auf die Arbeit der Stadtverwaltung?
Wir müssen uns derzeit auf die Kernaufgaben und die Krisenbewältigung konzentrieren. Das gelingt auch deshalb, weil wir schon vor zwei Jahren das Kommunale Krisenmanagement eingerichtet haben. Von diesen weit vor Corona vorhandenen und erprobten Strukturen profitieren wir jetzt in großem Maße. Weitere Auswirkungen sind, dass zahlreiche Mitarbeiter sind im Homeoffice, um die Infektionsgefahr so gering wie möglich zu halten. Dazu tragen auch die Angebote der Online-Dienstleistungen und die Einschränkungen im Publikumsverkehr bei. Zum Glück gibt es keinen Corona-Fall in der Verwaltung. Es gilt täglich, die Jetzt-Situation bewältigen, die nächsten Schritte vorzuplanen und die Zeit nach der Krise im Blick zu halten.
Kann in Bochum nach Corona etwa besser sein als vor Corona?
Vieles, das muss man ehrlich sagen, wird direkt danach schlechter sein. Das wird - bei allen unglaublich großen Bemühungen von Bund, Land und Kommunen - das Thema Arbeitsplätze oder die Einzelhandelsstruktur betreffen. Aber natürlich wird es auch Positives geben. Das solidarische Miteinander, das in Bochum schon immer sehr stark ausgeprägt war, mit in die Zeit danach zu nehmen: Das würde ich mir sehr wünschen.
Das heißt: Die Bochumer sollen positiv in die Zukunft blicken?
Es ist wichtig, den Menschen einen Ausblick zu geben. Ich kann mal einige Dinge nennen, die wir allein in der nächsten Woche vorgehabt hätten. Wir hätten am Kuhhirten die Brunnenanlage wieder geöffnet und statt zehn insgesamt 20 Brunnen wieder mit Wasser bespielt. Wir hätten das restaurierte Engelbert-Denkmal neu aufgestellt. Und wir hätten zwei temporäre Spielplätze auf dem Husemannplatz und neben der Kultur-Uhle für die Kinder eröffnet. Das alles ist aufgeschoben, aber nicht aufgehoben. Ich will damit deutlich machen: Es gibt eine Zeit danach.
An diesem Samstag sollte es zum zweiten Stadtputz kommen...
Es ist mir verdammt schwer gefallen, den zu verschieben. Mehr als 10.000 Menschen hätten mitgemacht. Ich ringe noch sehr darum, den Stadtputz im Spätsommer nachzuholen - je nach dem, wie lange die Krise noch dauert. Das Gleiche gilt für die Bürgerkonferenz, die im Mai zum Thema Familie in der Jahrhunderthalle geplant war und zu diesem Termin leider nicht stattfinden kann. An der Konferenz will ich aber festhalten.
Wie beurteilen Sie die Offensive von BO-Marketing mit dem Angebot von Händlern und Gastronomen in Corona-Zeiten?
Ich freue mich sehr darüber. Gerade für diese kleinen Unternehmen, die unsere Stadt normalerweise so erlebbar machen, ist es eine besonders schwere Situation. Umso wichtiger ist diese Art von Hilfe zur Selbsthilfe. Der Appell: Weniger Amazon - mehr lokale Händler und deren Lieferdienste nutzen!
Welche Unterstützung kann die Stadt für die Betriebe, Kulturschaffenden, Bürger und Vereine sonst noch leisten?
Wir haben etwa die Vergnügungssteuer ausgesetzt, um damit Kneipen, Clubs und Kinos zu helfen. Wir stunden die Gewerbesteuer. Es wird bis auf Weiteres keine Strom- und Gassperren und Pfändungen geben. Die VBW verzichtet auf Mieterhöhungen. Wir nehmen keine Nutzungsentgelte für Sportvereine und ziehen für April keine Elternbeiträge für Kitas, OGS, Kindertagespflege und Musikschule ein. Darüber hinaus werden wir kommunale Hilfen prüfen, wenn die Förderbedingungen von Land und Bund feststehen und erkennbar ist, ob und wo es Lücken im Netz gibt.
Steht zu befürchten, dass sich Corona negativ auf wirtschaftliche Großprojekte wie Mark 51/7 auswirkt?
Bis jetzt deutet sich das nicht an. Alle Ansiedlungsvorhaben laufen - Stand heute - planmäßig weiter.
Teilen Sie die Forderung nach einem staatlichen Schutzschirm für Kommunen nach der Corona-Krise?
Inhaltlich ja. Aber in dieser extremen Notsituation ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, sich mit dieser Frage an erster Stelle zu beschäftigen. Wir tun weiterhin gut daran, bei unseren Entscheidungen nicht auf den Euro, sondern auf die Gesundheit der Bürger zu blicken.
Welche Menschen beeindrucken Sie derzeit besonders?
All die, die in dieser Krise jeden Tag aufs Neue über sich selbst hinauswachsen, um etwas für die Gesellschaft zu tun: beispielsweise die Ärzte in den Kliniken, die Pflegekräfte gerade auch in den Altenheimen, die Verkäuferinnen, die Erzieherinnen in den Kitas, Reinigungskräfte, die viel zu selten wahrgenommen werden. Und es gibt viele viele mehr. Dafür ein großes Dankeschön - aber auch an die Politik in Bochum, die sich solidarisch hinter die Stadt stellt, sich parteiübergreifend unterhakt und diese Situation damit sehr stabil hält. Ich kenne Städte, in denen das ganz anders ist.
Ist die Corona-Krise ihre bislang schwerste Prüfung als Politiker und OB?
Ohne Frage. Ich fülle dieses Amt sehr gerne aus. Wir haben fast fünf Jahre in Bochum ganz viel aufbauen und gestalten können. Jetzt rückt die Verantwortung nach vorne, um die Krise zu bewältigen. Danach übernehmen wir wieder die Verantwortung fürs Gestalten.