Bochum. Sie helfen Menschen mit Behinderung, ihren Körper und ihre Sexualität zu entdecken: Silvya und Stephan arbeiten als Sexualbegleiter in Bochum.
Nähe, Berührungen und Sex – es sind diese Gefühle, die Menschen mit Behinderungen häufig fehlen. Sie vermissen Wärme und Zärtlichkeit, einen natürlicher Umgang mit ihrer Sexualität kennen sie nicht, oder er wird unterbunden. „Behinderte haben auch ein Recht auf Liebe. Doch das ist in der Gesellschaft immer noch nicht angekommen“, kritisieren Silvya (49) und Stephan (54). Das Paar bietet in Bochum die Sexualbegleitung für Menschen mit Behinderung an – und kämpft gegen ein gesellschaftliches Tabu.
Drei Jahre ist es her, dass Silvya, die in Langendreer lebt, gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Stephan die Ausbildung zur Sexualbegleiterin begonnen hat. Beide arbeiten seit zehn Jahren in der Tantramassage, zu ihrem Alltag gehört der intime Kontakt zu Menschen. Irgendwann kommt Sylvia ein Gedanke: „Tantramassage und Berührungen, das alles ist nicht nur etwas für junge, gesunde Menschen.“ Das Paar, dass sich stets über die Arbeit austauscht, startet Überlegungen und Gespräche zur Sexualbegleitung.
Sexualbegleitung in Bochum: Gemeinsame Begegnungszeit
Und es folgt der Schritt in die Sexualbegleitung. Im „Institut zur Selbst-Bestimmung Behinderter“ findet die Ausbildung an sieben Wochenenden statt, theoretisch und praktisch. Vor Ort lernen sie von anderen ausgebildeten Sexualbegleitern – und dürfen sich danach selbst so nennen.
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Seitdem können Menschen mit Behinderung, deren Eltern oder Einrichtungsleitungen bei Silvya und Stephan gemeinsame Begegnungszeit buchen, auch alte, einsame Menschen nutzen das Angebot. „In der Sexualbegleitung geht es gerade nicht darum, eine sexuelle Dienstleistung zu buchen, sondern eine Zeit, in der das geschehen darf, was uns beiden in dem Moment gut tut und gefällt“, erklärt Silvya. Die Begegnung sei offen – was passiert, legt die Sexualbegleiterin zuvor nicht fest, das müsse sich entwickeln.
In Deutschland gibt es keinen Zuschuss für Kunden der Sexualbegleiter
Mindestens 90 Minuten dauert die Begegnung mit Silvya oder Stephan, manchmal sind es auch zwei oder sogar drei Stunden. „Ich habe von Kollegen gehört, die nur eine Stunde anbieten. Das könnte ich mir aber nicht vorstellen, weil es einfach zu wenig Zeit ist.“ Anderthalb Stunden kosten 160 Euro, manchmal kommt die Anreise dazu. Zuschüsse für diese Leistungen gibt es nicht, anders als zum Beispiel in den Niederlanden. Laut der Beratungsstellen Pro Familia gewähren hier manche Kommunen finanzielle Zuschüsse. „Ich würde mir wünschen, dass dafür auch in Deutschland Rahmenbedingungen geschaffen werden“, sagt Stephan.
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Zu ihm und seiner Lebensgefährtin Silvya kommen Männer, Frauen und Paare – die Sexualbegleitung ist unabhängig vom Geschlecht. Als Mann in diesem Beruf ist der 54-Jährige, der aus Hilden kommt, aber eher die Ausnahme: 85 Prozent seien weiblich.
Vom Handwerksmeister zum Sexualbegleiter
Ursprünglich hat Stephan einen ganz anderen Beruf ausgeübt, er ist Handwerksmeister, hatte lange Jahre einen eigenen Betrieb. „Es gibt manchmal Gabelungen im Leben, an denen man sich entscheiden muss, ob man rechts oder links geht“, erinnert er sich an die Zeit vor einigen Jahren. Da hatte der Handwerker viel Stress und hat gemerkt, dass Berührungen gut tun. So fand er den Weg in den Tantrismus. Auch Silvyas Beruf war eins ein ganz anderer. Sie hat studiert und zudem Chinesisch-Unterricht gegeben sowie als Dolmetscherin.
Stephan und Silvya sind heute glücklich in ihren Berufen. Trotzdem stoßen beide immer wieder auf Erstaunen, Kritik oder Entsetzen. Die Reaktionen sind sehr gemischt Reaktionen in ihrem Umfeld, wenn sie von ihrer Arbeit erzählen: „Es gibt Freunde, die wirklich sensible reagieren. Dann gibt es aber auch solche, die gar kein Verständnis habe“, sagt Stephan.
Silvya und Stephan wollen aufklären, um ein Tabu zu brechen
Unverständnis gebe es aber gerade dann, wenn die Leute nicht wirklich über den Beruf Bescheid wissen. Deshalb wollen die beiden aufklären und hoffen, dass das Tabu in der Gesellschaft irgendwann gebrochen wird. „Was wir machen, ist ein Dienst. Wenn wir die Sexualität der Menschen mit Behinderung zulassen und ihnen Wärme geben, funktioniert vieles von alleine – ohne dass sie manche Medikamente brauchen.“
Erzählen Sie uns Ihre Liebesgeschichte
Für unsere neue Serie „Bei aller Liebe“ suchen wir Paare aus Bochum, die uns ihre ganz besondere, außergewöhnliche Liebesgeschichte erzählen wollen.
Das können Männer und Frauen sein, die sich vor kurzem erst verliebt haben – oder schon ewig zusammen sind. Pärchen, die bald heiraten wollen oder (überzeugte) Singles. Partner, die trotz Altersunterschied oder anderer Nationalität zueinander gefunden haben.
Schreiben Sie uns unter c.rau@funkemedien.de oder j.stahl@waz.de oder als Brief an die WAZ-Redaktion Bochum, Huestraße 25, 44787 Bochum.
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