Bochum. Bochum befördert Rouven Beeck und hat nun zwei Chef-Wirtschaftsentwickler. Ihre Botschaft: Wachstum und Weitsicht - auch bei Thyssenkrupp.
Vor gut fünf Jahren musste Bochum noch einen Headhunter beauftragen, um für die neu gegründete Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft einen Geschäftsführer zu finden. Diesmal ist sie in den eigenen Reihen fündig geworden.
Rouven Beeck ist seit Anfang des Jahres neuer Chef sowohl der Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft als auch der Wirtschaftsförderung – gleichberechtigt neben Ralf Meyer, der im Herbst 2014 die Stelle als oberster Wirtschaftsentwickler in der Stadt angetreten hat. „Wenn man Bochumer ist, dann ist so eine Aufgabe, einer der beiden Wirtschaftsentwickler für die Stadt zu sein, eine Herzenssache“, so Beeck. Der Aufsichtsrat hat den 45-jährigen Juristen vom Bereichsleiter Flächenvermarktung an die Spitze der stadteigenen Unternehmens befördert. Er honoriert damit offenbar die erfolgreiche Arbeit des Wattenscheiders, der in den vergangenen Jahren mit seiner Abteilung zahlreiche Firmen nach Bochum gelockt und heimischen Unternehmen Flächen für neue Entwicklungen vermittelt hat.
Zielvorgabe: Noch mehr Wachstum
Kehrseite dieser erfolgreichen Ansiedlungspolitik ist eine Knappheit an geeigneten Flächen. „Gerade aufgrund unserer rückläufigen Gewerbeflächen und der Tatsache, dass wir vorerst vermutlich keine größeren Areale von der Politik zur Verfügung gestellt bekommen, beschäftigen wir uns natürlich mit allen potenziellen Gewerbeflächen in Bochum. Wir wären eine schlechte Wirtschaftsentwicklung, wenn wir das nicht täten“, sagt Beeck.
Das Feld der Überlegungen ist dabei weit. Neue Optionen würde es durch die Pläne von Thyssenkrupp geben, sich zumindest in großen Teilen aus der Stadt zurückzuziehen. Geradezu zwangsläufig bietet sich dann die Bochum Perspektive 2022 als Blaupause an. An der Gesellschaft, die die Neuentwicklung des alten Opel-Werks in Laer vorantreibt, sind die Stadt Bochum mit 51 Prozent und Opel mit 49 Prozent beteiligt. Ob das ein Modell sein könnte? „Dazu will ich nichts sagen“, so Beeck.
Gewerbesteuereinnahmen deutlich gestiegen
Umstrukturierung
Nach dem Ausscheiden von Heinz-Martin Dirks und Rolf Heyer als Geschäftsführer von Teilgesellschaften der Bochum Wirtschaftsentwicklung (Bowe) hat sich die Bowe an der Spitze neu strukturiert. Wie bei anderen Stadttöchtern auch gibt es nun zwei Geschäftsführer, die auf Augenhöhe agieren.
2017 war Rouven Beeck nach zehnjähriger Tätigkeit für die IHK Mittleres Ruhrgebiet, zuletzt als Verantwortlicher für den Bereich Industrie/Energie/Verkehr/Handel – zur Wirtschaftsentwicklung gewechselt. Zuvor hatte er breite berufliche Erfahrungen im NRW-Wirtschaftsministerium, bei einer Außenhandelskammer in New York und der Bochumer Veranstaltungsgesellschaft gesammelt. Nun will er sich der Bochumer Wirtschaft vorstellen. Binnen 200 Tagen will er 100 Firmen besuchen.
Neben einem noch stärkeren Wachstum Bochums hat sich die Wirtschaftsentwicklung für 2020 zwei weitere wichtige Ziele gesetzt. Sie will den schon eingeleiteten Digitalisierungsprozess vorantreiben und damit Vorreiter für städtische Töchter werden. Außerdem soll die Bowe noch stärker als bislang ohnehin als Dienstleister auftreten.
Die Botschaft der neuen Doppelspitze zum Jahresauftakt an die 230-köpfige Kernbelegschaft ist unmissverständlich: „Wir brauchen noch mehr Wachstum in Bochum.“ Die Entwicklung der Gewerbesteuer von 2013 bis 2018 mit einem Anstieg um 60 Prozent auf 212 Millionen Euro sei gut – mit einem Anteil von etwa 14,5 Prozent an den Gesamteinnahmen des städtischen Haushalts aber auch noch ausbaufähig. „Wenn wir an andere Regionen in Deutschland anknüpfen wollen, reicht das nicht“, so Beeck. Gleichwohl stehe die Stadt schon jetzt besser da als manche ihr nachsagen. 2018 betrugen die Gewerbesteuereinnahmen pro Einwohner 582 Euro und waren damit höher als im NRW-Durchschnitt (518) und erst recht im Vergleich zum Ruhrgebiet (391 Euro je Einwohner). Die Wirtschaftsförderung der Stadt habe daran ihren Anteil, so Beeck. Allein 2018 seien 60 Ansiedlungen mit insgesamt 4500 Beschäftigten angebahnt worden.
Alle Gewerbegebiete werden analysiert
In diese Richtung soll es auch unter der Ägide von Ralf Meyer und Rouven Beeck weitergehen. Keinen Hehl macht auch der neue Co-Chef daraus, das Wachstum ohne Flächen nicht möglich sei. Derzeit beschäftigt sich das städtische Unternehmen zwar vorrangig mit der Neuverwendung bereits bestehender Industrie- und Gewerbeflächen und wertet dazu eine Bestandsanalyse aller insgesamt 72 Gewerbegebiete im Stadtgebiet aus. Beeck: „Wir haben das Signal der Politik verstanden, uns derzeit keine unberührten Flächen zur Verfügung zu stellen. Aber das wird auf Dauer nicht reichen.“
Bei der Flächensanierung setzt er auf die Hilfe von Bund und Land. „Wenn es der Wunsch ist, Altflächen neu zu nutzen, dann muss das auch bezahlt werden.“ Die Deckungslücke zwischen dem Ertrag bei Flächenverkäufen zum Preis von beispielsweise 100 Euro je Quadratmeter und den Kosten für eine Flächensanierung von bis zu 250 Euro je Quadratmeter ist immens. Die Frage ist, ob das Land NRW, das gerade erst etwa 70 Millionen Euro für die Aufbereitung der alten Opel-Fläche in Laer zur Verfügung gestellt hat, in naher Zukunft erneut Fördergelder in substanzieller Größe nach Bochum schicken will und kann.
Thyssenkrupp will Arbeitsplätze verlagern
Nötig werden könnten sie an der Castroper Straße, aber vor allem an der Essener Straße, wo Thyssenkrupp Teile oder gar den gesamten Standort aufgeben könnte. Auch die großen Flächen des finnischen Stahlkonzerns Outokumpu sind seit Mitte 2015 verwaist. Bei Thyssenkrupp liegt der Vorschlag des Stahl-Vorstands auf dem Tisch, das Stahlwerk an der Castroper Straße bis 2025 zu schließen. An der Essener Straße soll wohl zumindest ein Teil des Werks 2024 dicht gemacht werden. Thyssenkrupp residiert dort auf einer Fläche, die noch weit größer ist als die 70 Hektar des ehemaligen Opel-Werks in Laer. Vor vier Jahren hatte sich der Konzern bereits von vielen Flächen im Revier getrennt, darunter auch in Bochum. Sie wurden an die Essener Thelen-Gruppe verkauft.