Bochum. Wegen illegalen Lippenaufspritzens ist eine Frau aus Bochum zu zwei Jahren und acht Monaten Haft verurteilt worden. Viel milder als gefordert.

Deutlich milder als von der Staatsanwaltschaft gefordert hat das Landgericht Bochum am Dienstag die 27-jährige Bochumerin verurteilt, die jahrelang ohne Ausbildung und Lizenz die Lippen, Kinne und Nasen junger Frauen aufgespritzt und alle Einnahmen in Höhe von 846.000 Euro nicht versteuert hatte.

Die 2. Wirtschaftsstrafkammer verhängte gegen den ehemaligen Instagram-Star wegen gefährlichen Körperverletzung, Betruges, Steuerhinterziehung und unerlaubter Ausübung der Heilkunde zwei Jahre und acht Monate Haft, Oberstaatsanwalt Andreas Bachmann wollte viereinhalb Jahre. Richter Dr. Markus van den Hövel sagte aber: „Dieses Strafmaß hält die Kammer, ich sage es ganz offen, für überzogen.“

Findung der Strafhöhe war „wirklich schwierig“

Die 2. Wirtschaftsstrafkammer unter Vorsitz von Richter Dr. Markus van den Hövel (Bildmitte).
Die 2. Wirtschaftsstrafkammer unter Vorsitz von Richter Dr. Markus van den Hövel (Bildmitte). © FUNKE Foto Services | Ingo Otto

Richter van den Hövel betonte, dass die Bemessung der Strafhöhe „wirklich schwierig“ gewesen sei. In mehr als 99 Prozent aller Kundinnen seien keinerlei Verletzungen bekannt geworden. In nur neun Fällen – von insgesamt geschätzt rund 2000 Behandlungen – habe die Angeklagte beim Lippenaufspritzen fachliche Fehler gemacht.

Die Kundinnen erlitten Narben, Blutungen und andere Verletzungen. Strafbar war ihr Verhalten aber allein schon deshalb, weil sie sich als Heilpraktikerin ausgegeben hatte, was sie gar nicht war.

„Unglaublich großer Hype“ bei Instagram

Die ehemalige Jura-Studentin (kein Abschluss) hatte ihre Kundinnen aus ganz Deutschland über ihren extrem erfolgreichen Instagram-Account angeworben und in einer Bochumer Wohnung und in auswärtigen Hotels für jeweils rund 300 Euro behandelt. Der Richter sprach von einem „unglaublich großen Hype“ bei Instagram. Eitelkeit und Gier habe sie über die Interessen der Kundinnen gestellt.

Cousine bekam wegen gleicher Taten eine viel höhere Strafe

Auch interessant

Das Urteil ist geeignet, bei der Cousine (29) der Verurteilten für Irritation zu sorgen. Sie war Mitte November wegen völlig gleichgelagerter Taten von einer anderen Strafkammer in Bochum zu vier Jahren Haft verurteilt worden. Dabei war der Steuerschaden bei ihr noch geringer. Und dieses Urteil ist auch sofort rechtskräftig geworden.

Illegal aufgespritzte Lippen – so haben wir berichtet

Entstellt nach der Schönheits-OP - Opfer aus Bochum erzählt: 520 Euro war Amy die Verschönerung von Lippe und Nase wert. Die „Kosmetikerin“, der sich anvertraute, entstellte sie und sitzt heute in U-Haft. Jetzt weiterlesen...

Prozess um illegal aufgespritzte Lippen startet in Kürze: Wegen gefährlicher Körperverletzung müssen sich zwei Frauen in Kürze in Bochum verantworten. Sie sollen Lippen illegal aufgespritzt haben. Jetzt weiterlesen...

Aufgespritzte Lippen: Kripo vernahm 275 Geschädigte: 275 Geschädigte sind von der Kripo vernommen worden, die Opfer von zwei Bochumerinnen geworden sein soll. Jetzt weiterlesen...

Frauen sollen Lippen ohne Qualifikation aufgespritzt haben: Zwei Frauen sollen in Bochum „Lippenaufspritzungen“ ohne Berechtigungen und Qualifikation vorgenommen haben. Jetzt weiterlesen...

Das Urteil gegen die 27-Jährige, die selbst auffallend volle Lippen hat und sehr modisch gestylt vor Gericht erschien, ist aber nicht rechtskräftig. Weder Verteidiger Oliver B. Gaertner, der eine bewährungsfähige Strafe wollte (also höchstens zwei Jahre) noch Ankläger Bachmann nahmen das Urteil an. Beide Seiten können Revision einlegen.

Der Verurteilten droht ein zweiter Prozess

Ohnehin könnte der ganze Gerichtsfall für die 27-Jährige noch nicht lange nicht erledigt sein. Bachmann ermittelt noch weiter gegen sie. In seinem Büro liegen insgesamt 175 Fälle von Kundinnen, bei denen eine gefährliche Körperverletzung im Raum steht. Auch wegen dieser Fälle könnte Bachmann jetzt Anklage erheben. Dann droht der 27-Jährigen ein zweiter Prozess und damit eine Erhöhung der Strafe. Auch weitere Steuerstraftaten könnten jetzt angeklagt werden. Wäre das Gericht seinem Strafantrag weithin gefolgt, hätte er die übrigen Ermittlungen auch einfach einstellen können.

Sieben Monate saß sie in U-Haft, im November wurde sie dann nach Nachzahlung von 108.000 Euro Steuern vorläufig freigelassen. Wo die extrem hohen Einnahmen geblieben sind, ist ungeklärt.