Bochum. In Bochum-Laer fällt in diesen Tagen die letzte große Opel-Halle. Riesige Maschinen machen das Presswerk dem Erdboden gleich. Ein Ortsbesuch.
Plötzlich geht alles ganz schnell. Fast fünf Jahre ist es her, seit in Bochum-Laer der letzte Astra vom Band gelaufen ist. Fast alles, was einmal das Opel-Werk I war, ist seit dem verschwunden oder wird – wie die einstige Verwaltung – gerade umgebaut. Nur das riesige Presswerk stand wie eine schier unverrückbare Trutzburg im Osten des 70 Hektar großen Areals. Und plötzlich ist es weg.
Das heißt, es ist bald weg. Keine zehn Tage hat es gedauert, um der mehr als 200 Meter langen Halle mit einer Fläche von etwa 85.000 Quadratmetern zur Hälfte den Garaus zu machen und erstmals nach mehr als 50 Jahren den Blick von der Dannenbaumstraße frei bis nach Querenburg zu geben. „Ende nächster Woche ist die Halle vermutlich ganz verschwunden“, sagt Jürgen Schauer, Sprecher der Entwicklungsgesellschaft Bochum Perspektive 2022. Auch ihn verblüfft das Tempo, mit dem der Abriss plötzlich voranschreitet. „Das geht jetzt unwahrscheinlich schnell.“
350 Tonnen schwerer Bagger
Es sind die gefräßigen Bagger der Ferraro Group aus dem rheinland-pfälzischen Ramstein-Miesenbach unweit von Kaiserslautern, die den Abbruch im Eiltempo ermöglichen und das Stahlgerippe der riesigen Halle beinahe wie ein fragiles Kartenhaus zusammenbrechen lassen. „Wir haben hier eine eingespielte Mannschaft, das ist jetzt kein Problem mehr“, sagt Junior-Chef Guiseppe Ferraro (45) und blickt gemeinsam mit dem Besucher auf ein halbes Dutzend riesiger Bagger, die der Halle allein an dieser Stelle zu Leibe rücken. Und – ein bisschen Eigenwerbung kann nicht schaden: „Wir sind schnell und fleißig.“
Aus den gelben Riesen mit langen Auslegern, die von Weitem wie Dinosaurier wirken, ragt ein Bagger heraus: Fast 350 Tonnen schwer ist das Ungetüm, das bislang in Holland Schiffe zerlegt hat und das neuerdings zum Maschinenpark der Ferraro Group gehört. Allein die Schere des Monsters wiegt mehr als 30 Tonnen, die Stahlträger des Presswerks zerschneidet es, wie ein Frühstücksmesser durch ein Stück Butter gleitet. Verblüffend. „Das ist noch nicht alles“, sagt Guiseppe Ferraro – und der Stolz in seiner Stimme ist unüberhörbar. „Wir haben hier in Bochum auch die weltweit größte schwenkbare Schere im Einsatz. Sie wiegt 18 Tonnen.“
Stahl landet in Schmelzöfen
Tatsächlich ist die vierte und letzte Stufe des Rückbaus, wie es im Fachjargon heißt, geprägt von mächtigen Maschinen. Nach der Entrümplung, der Entkernung und der Schadstoffsanierung im Bauabschnitt II, die allesamt mit viel Manpower und vielen Händen erledigt werden mussten, kommt es beim eigentlich Abriss auf PS an. Allein der schwarze Liebherr 994, dessen pinkfarbener Arm so gar nicht zum Rest der ansonsten martialisch anmutenden Maschine passen mag, ist mit 1200 Pferdestärken gesegnet.
Das Auto bleibt ein Thema in Laer
Abbruch und Aufbruch gehen in diesen Tagen in Laer beinahe Hand in Hand. Während die einst größte Opel-Halle dem Erdboden gleichgemacht wird, läuft wenige Hundert Meter davon entfernt im DHL-Megapaketzentrum schon der Probebetrieb. Schon zu Weihnachten soll die riesige Sortieranlagen, die etwa 50.000 Pakete stündlich über ihre Transportbänder schieben soll, DHL bei der Bewältigung der Paketmassen helfen.
Derweil geht die Vermarktung der noch freien Flächen im Gewerbegebiet Mark 51/7, noch 40 Prozent sind zu haben, weiter. Auch auf der jüngsten Internationalen Automobilausstellung (IAA) in Frankfurt/Main war die Bochum Perspektive vertreten. Denn: Automotive bleibt ein Thema. Dafür sorgt allein das Bochumer Unternehmen Escrypt, das seine Softwarelösung für die Autoindustrie künftig in Laer entwickeln wird. Und: Nach WAZ-Informationen wird es noch weitere Firmen auf dem Gelände geben, die sich in erster Linie mit dem Auto beschäftigen.
Lastwagen um Lastwagen passiert den Beobachtungsposten der Besucher, die aus sicherer Entfernung der beauftragten Zerstörung zuschauen. Den Stahl hat die Ferraro Group, die die Ausschreibung für den Abriss des zweiten Bauabschnitts gewonnen hat, an Unternehmen wie Thyssenkrupp und andere verkauft. Er wird von Bochum aus in Schmelzbetriebe gebracht. Auch andere Materialien werden verkauft. Schadstoffe wie Teerpappe und asbesthaltiges Fugenmaterial werden zu Sonderdeponien gebracht. Das meiste ist schon weg. Nur die Teerpappe der Sheddächer muss aus den Bergen von Abbruchmaterial herausgepult werden, nachdem die Ferraro-Mannschaft zuvor in schwindelerregender Höhe von bis zu 25 Metern Fensterteile ausbauen musste – gesichert durch Fangnetze.
2,55 Millionen Kubikmeter umbauter Raum
Etwa 2500 Tonnen Material werden täglich in Laer bewegt, wo anstelle der alten Industrie demnächst Industrie 4.0 zu Hause sein soll. Auch das Thema „Auto“ soll dem Vernehmen nach dabei eine Rolle spielen. Aber von den 2,55 Millionen Kubikmeter umbautem Raum allein rund um das Presswerk bleibt auch einiges auf der Baustelle. Wie schon im Bauabschnitt I werden Stein und Beton gebrochen, gesiebt und ebenso wieder in den Boden eingebaut wie die zu Tage beförderte Erde. Riesige Erdhügel unterhalb der Dannenbaumstraße etwa müssen noch umgeschichtet werden.
Und: In den Keller müssen die Abrissexperten auch noch. Der beginnt dort, wo das Abrisskommando in Höhe von Achse 6 – 19 Achsen gibt es insgesamt – einen Stahlträger hat stehenlassen. Zur Orientierung, wie es heißt.
Unfall wirkt noch nach
Entrümpelt und entkernt ist die Presswerk-Unterwelt zwar. Dort standen Kräne, war Material gelagert und sind die Fundamente der Pressen eingebaut. Nun werden vorwiegend Stahl und Beton aus der Erde geholt. Deshalb dauert es noch, bis Guiseppe Ferraro mit seiner Mannschaft abzieht. Am 19. Dezember ist der offizielle Übergabetermin. „Und den halten wir“, verspricht der Firmenchef, der an drei Tagen in der Woche in Bochum ist und der einräumt: „Diese Baustelle nimmt einen schon ganz schön in Anspruch.“ Und noch immer wirke der Unfall nach, bei dem im März zwei Arbeiter der Ferraro Group auf Mark 51/7 ums Leben gekommen sind. „Das hat uns sehr getroffen“, so Ferraro.
Er selbst ist seinem Unternehmen, zu dem längst zahlreiche Tochterfirmen gehören und in dem insgesamt 400 Mitarbeiter beschäftigt sind, auch schon einen Schritt weiter. Abbruch bleibe zwar das Kerngeschäft. „Aber mittlerweile beschäftigen wir uns auch mit der kompletten Revitalisierung alter Industrieanlagen“, so Ferraro. Das sei mittlerweile sogar schon das größere Geschäft.
Dass er gerne das Gelände rund um das Prinz-Regent-Heizkraftwerk von RWE in Wiemelhausen gekauft hätte, daraus macht er keinen Hehl, nimmt es aber sportlich, dass die Hagedorn-Gruppe aus Güterslohn den Zuschlag bekommen hat. „Die anderen waren eben besser.“ Die Pfälzer haben derweil vom Wohnungsunternehmen Vivawest das ehemalige Zechengelände Graf Schwerin in Castrop-Rauxel gekauft. Auf dem 18.000 Quadratmeter großen Areal sollen Wohnhäuser entstehen. Auch ein dickes Brett.