Bochum. Das neue Bochumer Ensemble ist international aufgestellt und hat starke Künstler/innen zu bieten. Eine drückte der Saison den Stempel auf.
Jedes Theater lebt zuallererst von seinen Schauspielern. Sie müssen ‘rüberbringen, was Dichter und/oder Regisseure sich ausgedacht haben. Und sie müssen mit Präsenz und Können für sich selbst punkten. Beides wurde in der abgelaufenen Saison am Schauspielhaus wieder und wieder geboten!
Vielen Theaterfreunden fiel der Abschied von lieb gewonnenen Akteuren der Weber/Kröck-Ära schwer - wohl jeder denkt gern an Günter Alt und Sarah Grunert, an Thorsten Flassig und Kristina Peters zurück. Aber Theater ist, wie alles in der Welt, dem Wandel unterworfen. Und so wandelte sich mit Johan Simons auch das Ensemble, das in doppelter Hinsicht ein „neues Gesicht“ zeigte. Da wären zunächst die nun in Bochum spielenden Künstler selbst, da wäre zum anderen aber auch der Zuschnitt der Truppe: Sie ist internationaler aufgestellt als früher und verfügt über viele Charakterköpfe.
Bochumer Theaterpreis
Eine besondere Ehrung für die Ensemblemitglieder des Schauspielhauses stellt der Bochumer Theaterpreis dar. Er wird seit 2005/06 vom Freundeskreis Schauspielhaus e.V. als Symbol für die besondere Verbundenheit der Vereinsmitglieder mit dem Theater verliehen..
Auch für die Saison 2018/19 wird der Theaterpreis in den beiden Kategorien Haupt- und Nachwuchspreis an zwei Künstler des Schauspielhauses verliehen. Die Nominierung erfolgt durch die Mitglieder des Freundeskreises per Abstimmung, eine Jury wählt dann aus der Liste der Nominierten die Preisträger aus.
Der Theaterpreis wird im Rahmen einer öffentlichen Veranstaltung im Herbst im Schauspielhaus überreicht.
So sind mit Mercy Dorcas Otieno und Romy Vreden erstmals zwei farbige Schauspielerinnen dabei, die neben ihrem schauspielerischen Können in der Lage sind, allein durch ihre Präsenz den Rollen einen Mehrwert aufzustecken. Etwa in „O, Augenblick“, wenn Otieno im kanariengelben Sommerkleid als „Claus Peymann“ und Vreden im Kostüm eines US-Südstaatenmädchen der 60er Jahre als „Hans Schalla“ auf der Bühne steht. Auch Gina Haller, Svetlana Belesova und Mourad Baaiz sind von unverwechselbarer Individualität über das rein Darstellerische hinaus.
Komödiantisches Talent
Insgesamt ist das neue Team bewiesen, dass es reichlich Potenzial hat; man darf gespannt sein, wie die zum Teil sehr jungen Schauspieler/innen sich in den nächsten Jahren entwickeln werden. Unbedingt im Blick behalten muss man Hanna Hilsdorf, die eine zerbrechliche „Jüdin von Toledo“ war, Anne Rietmeijer, die in „Leonce und Lena“ Sinn für schräge Auftritte bewies, und William Bartley Cooper, hinter dessen unterkühlt wirkendem Erscheinen sich ein starkes komödiantisches Talent verbirgt.
Heimlicher Star
Die Herzen der Zuschauer im Sturm erobert hat Jing Xiang. Die Deutsch-Chinesin ist eine Powerfrau mit Selbstironie und Zug zur grellen Überzeichnung ihrer Rollen - genau dadurch werden sie unwiderstehlich. Jings Auftritte als schwebende japanische Tänzerin in „Boudoir“ und ihre furiose Trauerrede im Biedermeier-Kostüm in „White People’s Problems“ bleiben unvergessen. Für nicht wenige - auch für mich - ist Jing Xing nicht nur wegen ihres Erscheinens als „Tana Schanzara“ der heimlich Star des zum 100. Schauspielhaus-Geburtstag aufgelegten Liederabends „O, Augenblick“.
Unten den arrivierten Darsteller/innen ragten Elsie de Brauw, in den Niederlanden „Schauspielerin des Jahres“, und Stefan Hunstein heraus. De Brauw lieferte in Milo Raus düsterer Kriegs-Collage „Orest in Mossul“ eine eindringliche Meisterleistung ab. Hunstein absolvierte in Simons’ vierstündigem Houellebecq-Doppel „Plattform/Unterwerfung“ einen Respekt gebietenden Long-Distance-Run als vom Leben gebeutelter Looser, schmierig, lässig, gnadenlos gut.
Allgemeine Berühmtheit
Den Stempel aufgedrückt hat der Saison 2018/19 allerdings Sandra Hüller. Die 41-Jährige ist Kritikern seit Jahren als große Schauspielerin bekannt, allgemeine Berühmtheit erlangte sie aber erst durch ihre Rollen in Filmen wie „Toni Erdmann“, die ihr sogar eine Teilnahme bei den Oscars einbrachten. Dass Hüller zuallererst eine Bühnenkünstlerin von Rang ist, stellte sie als rasend liebende – und diese Liebe rasend bekämpfende – Amazonenkönigin „Penthesilea“, in der Titelrolle als „Hamlet“ und in ihrem Roadmovie-Solo „Bilder deiner großen Liebe“ nachdrücklich unter Beweis. Die Leipzigerin ist auf starke Frauenrollen abonniert und eine Aktrice, die die Liebe zur Sprache mit radikalem Körpertheater zu verbinden weiß, getreu ihrer Maxime: „Jeder Abend ist ein Sprung in ein unbekanntes Gewässer.“
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Wenn ihr dann in „Penthesilea“ mit Jens Harzer niemand anderer als der frischgebackene Träger des Iffland-Ringes – er gilt als höchste Auszeichnung der Schauspielerin – als Partner zu Seite steht, dann ist das ein weiteres Indiz dafür, dass das „neue“ Bochumer Schauspielhaus in der Oberliga der Künste spielt. Mit Schauspielern der Extraklasse.