Bochum. Das „neue“ Schauspielhaus von Johan Simons polarisiert und fordert die Zuschauer heraus. Vielen WAZ-Lesern gefällt das nicht.
Auf großes Interesse ist der WAZ-Artikel „Theater fängt sich auch Kritik ein“ über das „neue“ Schauspielhaus gestoßen. Unserem Aufruf an die Leser/innen, ihre Meinungen zu übermitteln, wurde reichlich gefolgt. Die Ablehnung gegenüber der neuen Ästhetik und den neuen Spielformen im Theater an der Königsallee überwiegt in den Zuschriften, aber es gibt auch zustimmende Meinungen. Wegen des Umfangs können nicht alle Einsendungen, und auch nicht in aller Ausführlichkeit, darstellt werden.
„Kopf- und problemlastig“
„Mit Interesse habe ich den Artikel über das ,neue’ Schauspielhaus gelesen“, so beginnen viele der Zuschriften. Was zeigt, dass die Simons-Ära zwar polarisieren mag, sie aber auch niemanden kalt lässt. Wie WAZ-Leserin Gabriele Schreiner: „Leider muss auch ich sagen: ich bin enttäuscht von Herrn Simons’ Arbeit. Sein Theater ist kopf- und problemlastig, laut und überbordend. Kurz gesagt: das Niveau hat sich gehoben, aber keiner steht mehr drauf!“, urteil sie. Auch Dirk-Martin Thiedke („Ex-Abonnent“, wie er schreibt) ist kritisch: „Das Publikum nimmt Reißaus, hat keine Lust auf Dauer-Experimente. Muss man sich so strikt positionieren? Warum nicht ein Theater für alle machen, die es mit ihren Steuern finanzieren?“
Leichte Stücke werden vermisst
Konstanze Burger hat nach 24 Jahren ihr Wahlabo gekündigt, „mit Bedauern“, wie die Leserin schreibt. Sie habe Mühe gehabt, ihre zehn Gutscheine einzusetzen, „weil ich wenig finde, was mich anspricht. Gewaltexzesse, sexuelle Perversion, Kriegsgräuel, täglich in der Zeitung/TV, will ich nicht auch noch abends im Theater ansehen müssen, das Programm ist voll davon.“ Statt politischem fordert sie ein gesellschaftskritisches Theater, „Strindberg, Bergmann, Hauptmann, Jelinek. Dann geh’ ich auch wieder hin!“
Eva und Wolfgang Körner schreiben: „Wir finden keinen Zugang mehr zu ,unserem’ Theater. Besonders enttäuscht waren wir von dem Jubiläumsstück ,O, Augenblick’. Das Schauspielhaus hätte einen besseren und dazu vollständigen Rückblick auf seine 100 Jahre verdient.“ Vermisst werden auch „leichte Stücke, die auch wieder nicht eingefleischte Theatergänger anlocken“. Auch diese Klientel habe Anspruch auf Theater nach ihren Wünschen.
Christian Oberberg vermisst vor allem Martina van Boxen: „Durch ihre Arbeit im Jungen Schauspielhaus sind sehr viele Menschen mit Theater in Kontakt gekommen, denen der Weg in diesen hochprofessionellen und teuren Kulturbetrieb sonst verwehrt bleibt.“
Erinnerung an Martina van Boxen
Auch Tasso Bubenzer-Kuhle kritisiert die „wenig überlegte Abschaffung des Jungen Theaters“, das unter Martina von der Boxen beispielhaft aufgebaut worden sei. Ein „funktionierendes System“ sei aufgegeben und statt dessen überwiegend projekthafte Workshops ins Angebot genommen worden. „Eine nachhaltige Bindung junger Leute an das Theater oder eine Öffnung älterer Theatergänger für junge Stoffe und Inszenierungen erfolgt so nicht.“
„Unglaubliche Kooperationen“
Und wo bleibt das Positive? Elmar Josten versucht eine Einordnung, indem er auf den „gewissen Gewöhnungseffekt“ der Weber-Jahre abhebt: „Und dann kommt Simons, drückt die Reset-Taste, und stellt fast alles auf Null. Grandios! Seine anarchische Urgewalt schlägt auf alle Bereiche durch“, findet der Leser. Er freut sich über „ein fantastisches Ensemble, tolle Regisseure, unglaubliche Kooperationen und überragende Produktionen – was wollen wir mehr?“
Cornelia Herting ist ebenfalls begeistert „von dem, was ich bisher gesehen habe: Weltoffenheit!“, schreibt sie. Und weiter: „Dass Simons mir die Gelegenheit gegeben hat, z.B. die „Orestie von Mosul“ (Regie: Milo Rau) im Schauspielhaus sehen zu können, finde ich fantastisch.“ Diese Inszenierung habe sie wie auch „Penthesilea“ nachhaltig persönlich beeindruckt.