Bochum. Das Schauspielhaus unter Johan Simons erfindet sich gerade neu. Nicht allen Theatergängern gefällt der veränderte Stil.
Das „neue“ Schauspielhaus unter der Leitung von Johan Simons begeistert viele Kritiker und Zuschauer, aber es polarisiert auch. Die WAZ erreichten zahlreiche Stimmen, die sich skeptisch demgegenüber äußerten, was neuerdings an der Königsallee geboten wurde. Hauptvorwurf: zu anspruchsvoll, das Ganze. Zu wenig unterhaltsam.
„Die Stücke mögen qualitativ gut sein, aber sie sind ,seelenlos’. Das Publikum kann damit nicht viel anfangen“, heißt es in einer Zuschrift. Die auch personellen Veränderungen empfinden manche Theatergänger als Eingriff, der irritiert. Das wurde auch nach der jüngsten WAZ-Berichterstattung über die Spielplanvorstellung 2019/20 deutlich. In der Pressekonferenz hatte sich der Intendant gewünscht, dass „die Leute wieder Schlange stehen“. Ob das klappt? WAZ-Leserin Christiane Meier hat Zweifel: „Ob die Leute wirklich mal Schlange stehen werden, bleibt dahingestellt. Ich persönlich habe viele Besucher aus Vorstellungen herausgehen sehen. Sicherlich muss man jedem Intendanten Zeit zugestehen, wie auch den Vorgängern.“ Als langjährige Besucherin rät sie: „Herr Simons sollte das Bochumer Publikum nicht unterschätzen; es sollen ja nicht nur Gäste aus der Umgebung kommen.“ Und: „Mal ganz ehrlich, Theater heißt auch Unterhaltung. Abstand vom Alltag, von Krieg und vielen grausamen Dingen, die im Leben passieren.“
Keine leichte Kost, aber ausverkauft
Dass an der Königsallee düstere Themen verhandelt werden, die eigenwillig und provokant auf das nicht gerade erheiternde Weltgeschehen reagieren, ist unstrittig, man denke an „Orest in Mossul“ oder „Die Jüdin von Toledo“. Dass aber auch anspruchsvolles Theater sein Publikum findet, sieht man an Simons’ „Penthesilea“, ein regelrechtes Sprachexerzitium in Sachen Kleist. Alles andere als leichte Kost, aber immer ausverkauft.
Dass es neben scharfkantiger Kultur auch ‘was zu lachen gibt in seinem Theater, darauf hinzuweisen wird Johan Simons nicht müde, etwa wenn er auf den komischen Gehalt seiner Houellebecq-Inszenierungen „Plattform“ und „Unterwerfung“ eingeht, deren Stoffe zwar illusions- und utopielos seien mögen, aber eben auch durchsetzt sind von (Galgen)-Humor. Auch Aufführungen wie „O, Augenblick“ oder „Alle Jahre wieder“ sind „witzig“, wenn auch nicht in dem Stil, den man aus dem TV-Vorabendprogramm gewohnt sein mag.
Höchst erheiternd
Dass man das Eine nicht gegen das Andere aufrechnen kann, beweist der Vergleich zweier Kassenknüller: Sowohl Herbert Fritzschs „Murmel, Murmel“ (einer der aktuellen Publikumshits) als auch das „Bochum“-Singspiel von Barbara Hauck aus der Weber-Ära (DER Publikumsmagnet der letzten Jahre) sind höchst erheiternd. Obschon zwischen beiden Aufführungen ästhetisch und dramaturgisch Welten liegen.
Der Blick zurück auf frühere Intendantenwechsel führt übrigens nicht recht weiter. Ältere Theatergänger erzählen davon, dass beim Wechsel Schalla/Zadek anno 1972 zunächst die Ränge leer blieben, dass es sehr lange gedauert habe, bis sich Peter Zadek und sein Ensemble als das etablieren konnten, was sie heute sind: legendär. Auch der Switch vom ernsten, Steckel auf den frisch-fromm-fröhlichen Haußmann 1995 litt unter Erstverschlimmerung. Damals hatte die 1. Spielzeit Haußmann/Kruse/Gotscheff 65 % Publikumsauslastung; Simons steht aktuell – also vor Spielzeitende – bei rund 73 %. Keine Super-Quote, aber Quote allein darf gewiss nicht das Kriterium für Erfolg und gute Außendarstellung eines Theaters sein!
Nicht nur das Schauspielhaus steht mitunter in der Kritik, sondern auch die Kommentierung der WAZ. So nach dem Bericht über die Simons-Spielplanvorstellung fürs nächste Jahr. „Ich bin seit 40 Jahren Wahl-Abonnement, erlaube mir also einige Vergleiche. Den während der Intendanz des Herrn Simons dargebotenen sinnentleerten Klamauk als künstlerischen Sprung nach vorne zu bezeichnen, stellt eine Beleidigung aller früherer Intendanten dar“, befindet Heribert Hellrung. Sein Abo habe er gekündigt.
Selbst ernannte Elite
All das stützt die Tatsache, dass mache Theatergänger mit dem neuen Stil „fremdeln“, aber WAZ-Leser Robert Tomaske lässt das Argument nicht gelten: „Das Publikum ,fremdelt’ also; ein klares künstlerisches Urteil wird ihm offenbar abgesprochen. Theater für eine selbst ernannte Elite“, schreibt er. Im Übrigen manifestiere sich „Qualität“ nicht schon dadurch, dass man sie in Kommentaren – stets modernen Zeitgeist unterstellend –, konstatiere.