Bochum. . Im WAZ-Gespräch schildert der Schauspielhaus-Intendant seine Eindrücke 100 Tage nach dem Saisonauftakt. Kontroverse Themen spart er nicht aus.

Im WAZ-Interview spricht Johan Simons (72) über seinen Start am Schauspielhaus. Auch kontroversen Themen weicht der Intendant nicht aus. Und er betont, wie wichtig ihm Qualität und die Publikumsresonanz sind.

Die Spielzeit läuft seit gut 100 Tagen. Wie fällt Ihr Fazit aus?

Spannend, gut, möchte ich sagen. Die Wahrnehmung, die das Schauspielhaus bekommt, ist sehr aufregend. Auch überregional wurde viel berichtet, das ist alles sehr ermutigend. Nach den ersten 100 Tagen, fragen Sie. Wo doch noch so viele kommen werden... Ich bin sehr neugierig darauf.

Wie ist Ihr Eindruck vom Schauspielhaus?

Das Schauspielhaus ist ein Theater, das ich seit den 70er Jahren kenne und das mir immer noch Respekt einflößt. Wo sonst gibt es so eine große Bühne, die so unmittelbar auf das Publikum ausgerichtet ist? Das ist ein Privileg, aber auch eine enorme Herausforderung. Das Haus selbst hat eine große Energie, die ich wahrnehme und mit der ich als Regisseur, aber auch als Intendant umgehen muss. Dieses Theater braucht große Stoffe!

In Bochum ist Überzeugungsarbeit gefragt

Wie steht es um das sagenhafte „Bochumer Publikum“? Ist es wirklich so besonders?

Es ist auf jeden Fall anders als in anderen Städten. Ein Beispiel: Wir haben zurzeit einen Lese-Marathon mit dem Buch „Die zerrissenen Jahre“ laufen. Die ersten Vorstellungen waren leider nicht so gut besucht, wie wir es uns vorgestellt hatten. Woran liegt das? In München, wo ich ebenfalls als Intendant gearbeitet habe, hätte das Publikum wohl gesagt: Wow! Lesemarathon! Super! In Bochum ist eher die Haltung: Lesung? Mmh. Marathon??? – Das Publikum hier muss überzeugt werden, es kommt „nicht von selbst“. Mit Qualität zu überzeugen, das ist meine Absicht.

Es gab gut ein Dutzend Premieren. Mit welchen waren Sie zufrieden, mit welchen nicht so sehr?

Überrascht war ich über die unterschiedliche Aufnahme meiner Houellebecq-Inszenierungen. „Unterwerfung“ läuft gut, „Plattform“ hat noch Luft nach oben. Das hätte ich so nicht erwartet. Denn zumal „Plattform“ gibt ja einen guten Einblick in die Gedankenwelt von Michel Houellebecq, und es ist sicher kein „schweres“ Stück zum Nachdenken, jedenfalls nicht nur. Auch die Leichtigkeit und der Humor, die diesen Schriftsteller auszeichnen, kommen vor.

„Hamiltonkomplex“ als Phänomen

 
  © Fred Debrock

Welche sind die beliebtesten Vorstellungen?

Die „Jüdin von Toledo“, „Penthesilea“ und auch „Murmel Murmel“ sind sehr gut besucht. Ein schönes Phänomen war bei „Hamiltonkomplex“ zu beobachten. Anfangs war die Ästhetik der Inszenierung, in der 13 dreizehnjährige Mädchen mitwirken, vielleicht etwas ungewohnt. Am Ende waren alle Vorstellungen ausverkauft. Auch ein kontroverses Stück wie „White People’s Problems“ war am Ende immer ausverkauft. In der Zeche 1 konnten wir dabei auch viele junge Zuschauer erreichen.

Welche Aufführungen sind nicht so gut besucht?

„Die Philosophie im Boudoir“ nach Marquis de Sade hätte beispielsweise mehr Zuschauer verdient, aber das kann noch kommen. „Gift“ hat nach einem schwächeren Start nun steigende Besucherzahlen. Und ich wünsche mir, dass sich noch mehr herumspricht, dass wir mit dem Oval Office einen neuen Ausstellungsraum in Bochum haben, in dem bei freiem Eintritt wirklich spannende Kunstprojekte gezeigt werden.

Qualität wird sich durchsetzen

Umstritten: „Die Philosophie im Boudoir“, Regie: Herbert Fritsch.
Umstritten: „Die Philosophie im Boudoir“, Regie: Herbert Fritsch. © Birgit Hupfeld

Wie wichtig sind Ihnen Besucherzahlen generell?

Grundsätzlich setzte ich, wie gesagt, auf die Qualität, sowohl der Inszenierungen als auch der Schauspieler. Das wird sich durchsetzen, darauf baue ich. Wir sind neu am Start, da ist vieles ungewohnt, auch für uns als Team. Aber wir lernen dazu. Das muss sich alles entwickeln, wir werden Anregungen und Kritik aufnehmen. Ich will möglichst viele Menschen mit dem, was wir zeigen, erreichen. Deshalb sind mir Zuschauerzahlen durchaus auch wichtig.

>> SO GEHT ES WEITER

Die kommenden Regie-Arbeiten von Johan Simons sind „Woyzeck“ und „Hamlet“.

Das Büchner-Drama bringt der Intendant als Auftragsarbeit für das Burgtheater Wien heraus, die Rolle der „Marie“ spielt Anna Drexler, Ensemblemitglied in Bochum. „Woyzeck“ soll danach ans Schauspielhaus übernommen werden.

Simons’ nächste Inszenierung für Bochum ist William Shakespeares „Hamlet“, mit Sandra Hüller als verzweifelter Dänenprinz. Premiere ist am 15. Juni.