Bochum. Am Schauspiel Bochum wagt Johan Simons mit „Plattform/ Unterwerfung“ eine Annäherung an Michel Houellebecq. Vier Stunden Spielzeit

Johan Simons ist nicht dafür bekannt, es sich und dem Publikum zu leicht zu machen. Zumal auf seine neueste Arbeit trifft das zu: Am Samstag brachte der Intendant am Schauspielhaus den Doppelabend „Plattform/Unterwerfung“ heraus. Eine Herausforderung in doppelter Hinsicht: Es handelt sich um zwei kontroverse Texte des französischen Bürgerschrecks Michel Houellebecq. Und: Die Netto-Spielzeit beträgt knapp vier Stunden.

60 Minuten Pause – mit warmer Verpflegung

Verbunden mit einer 60-minütigen Pause (mit warmer Verpflegung!) nimmt der Abend, der allerdings auch als Einzelaufführung gebucht werden kann, fünf Stunden in Anspruch. Zeit, die nötig ist, um das Geschehen zu entwickeln und aufzulösen. Und Zeit, die der Zuschauer sich unbedingt geben muss, um dieses komplexe, herausfordernde Päckchen zu stemmen. Johan Simons präsentiert Theater am Puls der Zeit, aber es ist ein Puls, der rast. Entspannungseinheiten sind nicht vorgesehen.

Mit den Werken Michel Houellebecqs ist Johan Simons – auch über persönliche Kontakte zum Autor – seit Jahren vertraut. Beide Bochumer Stücke hatte er bereits inszeniert, fürs Schauspielhaus wurde die einst an Simons alter Wirkungsstätte am NT Gent gelegte Basis zu einer veränderten Neufassung umgegossen. Beide Male geht es um vorgeblich „peinliche Themen“, die von Houellebecq ebenso peinlich wie präzise ausformuliert werden. Und die Simons in aller Drastik – von der expliziten Schilderung sexueller Exzesse bis zum ätzendsten Zynismus –, aber auch mit einem gerüttelt Maß an Komik und nackter Haut auf die Bühne bringt.

Ein aus Zivilisationsmüll bestehendes Bühnenbild

„Plattform“ handelt von einem desillusionierten Beamten, der als Sextourist in Asien der Liebe seines Lebens begegnet; bis das Urlaubs-„Paradies“ von Islamisten in die Luft gesprengt wird. Und in „Unterwerfung“ malt der Schriftsteller das Bild eines Frankreichs an die Wand, das über Nacht zu einem muslimischen Gottesstaat mutiert, in dem die Scharia, das Patriarchat und die Polygamie herrschen. Anfechtbare Stoffe, gewiss. Aber eben nicht bloß soziologische Science-Fiction, sondern der voyeuristische Blick in eine Zukunft, die meilenweit entfernt scheint, aber vielleicht schon hinter der nächsten Ecke beginnt.

Houellebecqs provokante Visionen türmt Simons in einem irritierenden, aus Zivilisationsmüll bestehenden Bühnenbild als Schauspieler-zentriertes Theater gewaltig auf. Neben den Dialogen trägt die frontale Ansprache des Publikums die Handlung. Das internationale Ensemble (Karin Moog, Guy Clemens, Mercy Dorcas Otieno, Mourade Zeguendi, Mourad Baaiz, Lukas von der Lühe) agiert auf Top-Niveau; auch die Textverständlichkeit ist 1a. Überragend ist Stefan Hunstein in den zentralen Rollen als Michel bzw. Francois, deren Mittelmäßigkeit der 61-Jährige in einer Tour de Force zwischen notgeil und neurotisch ans Licht zerrt.

Nichts für den Sofortverzehr

Mit kargen Bühnenmitteln und seinen hoch konzentrierten Schauspielern wühlt Simons in allem, was Houellebecq als Übel erkennt: die Arroganz des Westen, die Blasiertheit der Eliten, die Plünderung der „Dritten Welt“, die Verzweiflung in den Banlieues, der Clash der Religionen – alles wird unmittelbar aus dem Spiel heraus greifbar, und es geht in seiner Drastik (in „Unterwerfung“) bzw. Hoffnungslosigkeit (in „Plattform“) ganz schön an die Nieren. Auffällig ist aber, dass das Ganze im Laufe der Stunden zunehmend an Fahrt verliert, und dass zumal „Unterwerfung“ Hänger hat, so dass Houellebecqs enggewebte Radikalität am Ende leicht fadenscheinig wird.

„Plattform“ und „Unterwerfung“ sind keine Theaterkost für den Sofortverzehr. Es sind Aufführungen, die fordern, die einen bedrängen. Und die einen nicht so leicht loslassen. Aber dass es uns Johan Simons leicht machen würde, hatte auch nie jemand behauptet.

Doppelvorstellungen am 27.1. und 17.2., „Plattform“ am 29.1., 7.2., „Unterwerfung“ am 30.1., 8.2. Weitere Termine folgen. Tickets: 0234/ 3333 5555