Bochum. . Mancher findet die Aufführung „Alle Jahre wieder“am Schauspielhaus Bochum zu wenig kindgerecht. Nun laden die Theatermacher zum Gespräch ein.

„Die kleine Hexe“, „Kalle Wiersch“ oder „Das Sams“: So hießen am Schauspielhaus in den letzten Jahren die stets vor Weihnachten angesetzten Familienstücke, sämtlich bühnenwirksame Adaptionen von Kinderbuchklassikern. Sie setzten auf Bekanntes und Bewährtes; fast schon ein Ritual am Theater.

In diesem Jahr ist alles anders: Die aktuelle Produktion für Klein & Groß trägt den Titel „Alle Jahre wieder“, und kommt als intellektuelle „Stückentwicklung“ statt als warmherziges „Märchenspiel“ daher. So ist es nicht wirklich verwunderlich, dass die ungewöhnliche Inszenierung nicht durchgehend auf Gegenliebe stößt.

Zum Nachdenken anregen

Die WAZ erreichten verschiedene Meinungsäußerungen von Lesern, die sich schwer tun mit der Aufführung und der vermittelten Botschaft. Kernpunkt der Kritik: „Das Stück hat zu wenig kindgerechte Momente, es ist zu anspruchsvoll und eher von Erwachsenen für Erwachsene gemacht.“ „Unsere Kinder konnten der Aufführung nicht recht folgen, nur der große, leuchtende Drache am Schluss hat sie nachdrücklich fasziniert“, so die Mutter zweier Sechs- und Achtjähriger. Im Internet-Kommentar fragte eine Userin kurz und bündig: „Was SOLL das???“

„Wir wollen mit dem Stück nicht nur unterhalten, sondern auch zum Nachdenken anregen“, entgegnet Cathrin Rose, Leiterin des Jungen Schauspielhauses. Gemeinsam mit der renommierten Kinder- und Jugendtheaterregisseurin Hannah Biedermann habe man „Alle Jahre wieder“ unter Mithilfe Bochumer Kinder entwickelt.

Hinterfragen von Familienfesten

Es geht um das Hinterfragen von Familienfesten bzw. der üblichen Rituale des Feierns. Dabei richtet sich der Blick der Theatermacher nicht nur aufs christliche Weihnachtsfest, sondern ebenso auf Ostern, das jüdische Passah- und das muslimische Zuckerfest, dazu auf Geburtstage, Karnevalsfeiern und Beerdigungen. Während der Entstehung der Inszenierung wurden Schulkinder nach ihren Erfahrungen mit Familienfesten befragt. Die Interviews flossen mit Ideen der sieben Schauspieler zusammen, Schnipsel der Kinderaussagen werden während der Aufführung per Video eingespielt.

Ist „Alle Jahre wieder“ kindgerecht oder nicht?

PRO: Das sagt Cathrin Rose, Leiterin des Jungen Schauspielhauses:

"'Alle Jahre wieder' ist definitiv ein Kinderstück, aber es ist eine andere Form von Kindertheater, wie man es vielleicht in den letzten Jahren gewohnt war. Wir haben schon nach dem ersten Aufführungswochenende wahrgenommen, dass bei manchen Zuschauern Vorbehalte da sind. Aber man sollte Emotionen und Fakten auseinanderhalten. Es ist Kindertheater, wenn auch mit ungewöhnlichen Mitteln. Es ging uns gerade nicht um die Darstellung von „Heiler Welt“, sondern darum, Feier-Rituale auf den Prüfstand zu stellen.  Die Schulvorstellungen sind ausgebucht und auch die offenen Vorstellungen laufen nicht vor leeren Bänken."

CONTRA: Das sagt Petra Rabestein, WAZ-Leserin

"Ich habe mir im Schauspielhaus das Weihnachtsmärchen für Kinder ab 6 Jahren angesehen: Es war eine Katastrophe! Genau genommen fand gar kein Stück für Kinder statt. Es wurde in verschiedenen Sprachen gesprochen, gut und schön, aber wer kann schon Kenianisch? Ich besuche seit Jahren die Familienvorstellungen, es war immer sehr schön. Aber diesmal war es nichts, schon gar kein Märchen. Bei meinem Besuch war das Theater vielleicht zu 30 Prozent besetzt; Kinder spielten während der Vorstellung im Vorraum. Ich verließ den Theatersaal und beschwerte mich. Sogar für das Programmheft musste ich 1,50 Euro zahlen."

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Mascha Mihoa Bischoffs schrille Kostüme und ihr imposant-abstraktes Bühnenbild, in dem das internationale Ensemble spielfreudig auftrumpft, betonen den beabsichtigten Verfremdungseffekt noch. „So werden neue Perspektiven auf christliche, muslimische und jüdische Feste entwickelt“, erläutert Rose. Klar, sei das eine Herausforderung, räumt sie ein.

Dramaturgin begrüßt Reaktionen

Die Dramaturgin findet es allerdings gut, „wenn Reaktionen kommen, seien sie zustimmend oder ablehnend“. „Es ist gut, wenn wir mit unseren kleinen und großen Zuschauern ins Gespräch kommen“, bekräftigt Cathrin Rose.

Dass das Schauspielhaus es damit ernst meint, dürfte am 10. Februar 2019 deutlich werden. Für diesen Tag ist eine Podiumsdiskussion anberaumt, die das umstrittene Familienstück zum Thema hat. Neben der Regisseurin Biedermann und der Dramaturgin Rose werden Kindertheatermacher aus anderen Städten ebenso dabei sein wie Bochumer Lehrerinnen und Lehrer – und natürlich die Kinder.

„Wie muss zeitgemäßes Kindertheater aussehen?“ lautet die übergeordnete Frage. Was das „neue“ Schauspielhaus angeht, ist die Antwort klar: „Auf keinen Fall wie ein bewegtes Bilderbuch!“