Bochum. . Der kleine Stadtteil mit dem Ehrenfeld im Zentrum wird immer beliebter. Die Bevölkerung wächst. Es gibt viele Zuzüge und wenig Abwanderungen.
Zahlen lügen nicht und doch sind sie nur ein Teil der Wahrheit. Journalisten schreiben gern über die Kreativen, die sich angeblich im Ehrenfeld so wohl fühlen. Wir verorten dort gern die „Szene“, die sich hier ihre eigene kleine Welt schafft, auch, um sich abzugrenzen vom so nahen Bermudadreieck, das für viele mittlerweile zu beliebig daherkommt. Und doch ist es gerade die Nähe zur Kneipenmeile, zur City, die viele Menschen so zufrieden macht in der Südinnenstadt.
Natürlich muss eine Expedition beginnen, wo es vermutlich früher begann, am Nukleus, also dem Schauspielhaus. Aus einer Parterrewohnung in der Saladin-Schmitt-Straße dringt Kinderlachen. Hier wohnen Marcus und Birgit Loer mit ihren Söhnen Niklas (11) und Moritz (5).
Marcus arbeitet als Theatermaler im wenige Schritte entfernten Schauspielhaus, seine Frau ist Stadtplanerin. „Wir fühlen uns sehr wohl hier“, sagt Birgit Loer. Die Nähe zur Stadt, die kulturelle Dichte, dies sind Einschätzungen, die immer wieder laut werden.
Ehrenfeld galt als „Alte Leute-Gegend“
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Doch Birgit Loer vermisst einen Spielplatz in der Nähe. „Ich hab schon einen Brief direkt an den Oberbürgermeister geschrieben, bislang jedoch keine Antwort bekommen.“
Der Stadtteil ist jung, seine Jugendlichkeit nimmt jedoch erst langsam Fahrt auf. Denn ehedem stand das Ehrenfeld eher für gutbürgerliche Spießigkeit, als „Lehrer-Viertel“ galt es einst, „Alte Leute-Gegend“. Doch der Wandel ist unübersehbar, nicht nur dort im Zipfel zwischen Bahnlinie und Hattinger Straße. Vielleicht ist es gerade die zufriedene Bürgerlichkeit, auf der Kreatives so trefflich gedeiht. Wirtschaftliche Unabhängigkeit als Rahmen, aus dem sich dann gern einmal ausbrechen lässt.
Aber „Alte-Leute-Gegend“, stimmt denn das? Unmittelbar vor dem mächtigen Knappschaftsgebäude an der Pieperstraße treffen wir Renate Becker. Die 79-Jährige wohnt seit 40 Jahren hier, nimmt den Wandel war. „Bei mir im Haus wohnen mittlerweile auch viele junge Leute.“ Sie fühlt sich selbst noch sehr aktiv. Früher sei sie oft im Theater gewesen. Rüstig geht Renate Becker weiter. Sie erledigt viele alltäglichen Dinge zu Fuß.
Bevölkerungszahl nimmt wieder zu, Mieten ziehen an
Eine Binsenweisheit beginnt mittlerweile viele alteingesessene Bewohner der Südinnenstadt zu nerven. Auch die neu Hinzugezogenen bekommen sie zu spüren, die Gesetze der Marktwirtschaft. Der Bedarf nach großen Wohnungen wächst stetig.
Die bis 2006 deutlich geschrumpfte Bevölkerungszahl nimmt zu. Es kommen Familien, die es sich leisten können. Makler, die hier ins Geschäft kommen möchten, wissen, dass Häuser, ja selbst Mietwohnungen, meist sozusagen per Mundpropaganda vermittelt werden. Die Mieten ziehen an. Die Kosten für den Erwerb von Grundeigentum explodieren geradezu.
Für Stadtplaner ist das alles wenig überraschend. Sie sprechen von einer zentralen City-Achse. Sie führt vom Bermudadreieck (Viktoriastraße) über die Königsallee (Schauspielhaus) gen Süden bis nach Stiepel. „Aber Stiepel liegt längst nicht mehr im Trend. Der hat sich deutlich umgekehrt. Was zählt, ist die Nähe zur Stadt, es geht zurück in die Innenstadt“, sagt eine erfahrene Stadtplanerin.
Nähe zu Kultur und Stadt bestimmen den Rhythmus
Es sei geradezu „ein Geschenk des Himmels“, hier wohnen zu dürfen. Die Mischung macht es. Der Rechener Park (früher Südpark), das Wiesental mit seinem Schwimmbad, die Nähe zur Kultur und zur Stadt bestimmen den Lebensrhythmus.
Dabei haben in der Südinnenstadt viele große Arbeitgeber ihren Sitz. Allen voran die Knappschaft, mit Tausenden Beschäftigten, für Menschen, die in der Nähe der Knappschaftsstandorte (Pieperstraße, Wasserstraße, Königsallee) leben, ist das oft ein Fluch. Es gibt großen Parkdruck. Häufig ein Grund für Ärger.
Die Südinnenstadt besteht jedoch aus mehr als dem Ehrenfeld. Im Süden an der Grenze zu Wiemelhausen liegt das Quartier „Wiemelhauser Tor“. Hier wohnt Familie Jaeschke mit den Kindern Tonia (8) und Quentin (11) dem Mischling „Bowie“ und ihren vier Kaninchen.
„Früher haben wir direkt in der Innenstadt gelebt“, sagt Carina Jaeschke (47). Die Suche nach einer neuen Wohnung gestaltete sich schwierig. „Viele Vermieter wollten keine Familie haben“, erinnert sie sich. Seit fünf Jahren wohnen sie nun direkt am Wiesental. Ein weiterer Umzug ist derzeit nicht geplant ...
>>> MIT WEITBLICK IN DER NÄHE DER NÄHE DER STADT GEPLANT
Die Planungen für eine Bebauung des damals noch südlich der alten Stadt Bochum gelegenen Gebietes des heutigen Ehrenfelds reichen zurück in die Zeit der Wende vom 19. ins 20. Jahrhundert. Der zum Haus Rechen gehörende Landstrich bot ideale Voraussetzungen für eine Erweiterung der Stadt nach Süden.
Aus den Wiesen und Weiden entwickelte sich dank des Weitblicks des Bauunternehmers Clemens Erlemann das heutige Ehrenfeld. Das Ziel: Hier Wohnungen und Häuser für die höheren Bevölkerungsschichten, für Beamte und Angestellte zu schaffen. Schon 1908 stand das damalige und heutige Zentrum des Viertels, das Theater.
Im Schatten des Schauspielhaus gedeiht allerhand
Es ist kein Zufall, dass viele Schauspieler und Kreative bis heute die Nähe zur Spielstätte suchen und nicht nur sie. Katrin Oberheitmann (39) betreibt gemeinsam mit ihrer Schwester seit bald zehn Jahren sehr erfolgreich das Café „Fräulein Coffea“, nur einen Steinwurf entfernt vom Schauspielhaus. Diese Nähe ist kein Zufall. „Wir haben früher in der Eve Bar unter dem Schauspielhaus gearbeitet. Da lag ein Lokal hier im Viertel doch auf der Hand.“
Und wieder fällt dieser Satz: „Es ist die Nähe zur Stadt.“ Im Café haben sie ein total gemischtes Publikum. Es kommen Schauspieler, Studenten oder auch Nachbarn, die Stimmung ist zwanglos.
Auf der anderen Straßenseite findet sich das „Kulturhaus Oskar“. Die Szene rund um die früher hier beheimatete GLS-Bank, die zwar weg aber nicht sehr weit weg gezogen ist und in der Christstraße immer noch nah bleibt, prägt bis heute diese Ecke. Wer weiß, vielleicht gab sogar der frühere Theaterflohmarkt vor dem Schauspielhaus den eigentlichen Anstoß für dieses immer jünger werdende Viertel.
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