Bochum. . Liederabend in den Kammerspielen stellt deutsch-türkische Zuwanderungsgeschichte augenzwinkernd auf den Kopf. Die Premiere ist am Freitag.
- Stück erzählt von einem raffinierten Perspektivwechsel: Deutsche ziehen als Gastarbeiter in die Türkei
- Türkische Regisseurin möchte mit „Istanbul“ auch die Geschichte ihrer eigenen Großväter erzählen
- Songs des türkischen Pop-Superstars Sezen Aksu werden live gespielt und auf türkisch gesungen
Was wäre wenn...? Wenn das Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg nicht in Deutschland, sondern in der Türkei stattgefunden hätte? Und wenn daraufhin viele Deutsche Richtung Bosporus gezogen wären, um sich fern ihrer Heimat als Gastarbeiter eine neue Existenz aufzubauen?
Mit dem beschwingten Liederabend „Istanbul“, der am Freitag (20.) seine Premiere in den Kammerspielen erlebt, stellen die Regisseurin Selen Kara und der Musiker Torsten Kindermann die deutsch-türkische Zuwanderungsgeschichte augenzwinkernd auf den Kopf. Der Abend, der auch von einer Menge Lokalkolorit lebt, erzählt das Schicksal eines Gastarbeiters einmal andersrum.
Deutscher wird als Gastarbeiter in die Türkei eingeladen
Nicht in den Bochumer Zechen, sondern im türkischen Bergbau erlebt das „Grubengold“ seine Blütezeit, so dass Klaus Gruber (gespielt von Roland Riebeling), der Prototyp eines Deutschen, von der türkischen Regierung als Gastarbeiter angeworben wird. Einmal im fernen Istanbul angekommen, mag es mit der Integration aber nicht wirklich klappen ...
Kara und Kindermann entwickelten die Idee dieses raffinierten Perspektivwechsels nach dem Besuch eines Konzerts des türkischen Pop-Superstars Sezen Aksu. „Danach wollte ich unbedingt einen türkischen Liederabend machen“, erzählt Kindermann. Die Uraufführung von „Istanbul“ entstand 2015 am Theater Bremen und läuft bis heute. Für ihre Bochumer Einrichtung haben sich Kara und Kindermann jetzt einige lokalspezifische Gags einfallen lassen.
Regisseurin erzählt Geschichte ihrer Großeltern
Dabei erzählt die türkische Regisseurin mit „Istanbul“ auch die Geschichte ihrer eigenen Großväter, die in den 60ern Jahren ins Ruhrgebiet kamen und die Schwierigkeiten im Zusammenleben der verschiedenen Kulturen hautnah miterlebten. „Die erste Generation war nur hierher gekommen, um zu arbeiten“, sagt Selen Kara. „Die zweite Generation musste noch mitziehen. Erst die dritte Generation, der ich angehöre, kann behaupten, dass Deutschland ihre Heimat ist.“
So besitze ihre „Istanbul“-Aufführung neben aller Komik durchaus auch todtraurige Momente,die aber immer wieder ironisch gebrochen werden.
Aktuelle politische Fragen (wie es bei einer ebenfalls „Istanbul“ betitelten Aufführung am Schauspiel Köln gerade zu erleben ist) mag die Aufführung nicht stellen. „Unser Stück spielt in den 60er Jahren weit vor Erdogan und dem Putschversuch“, sagt Selen Kara. „Dabei ist auch unsere Aufführung politisch, aber auf einer anderen Ebene.“
Publikum bekommt Speisen bei der Aufführung
Neben einer ungewöhnlichen Sitzanordnung (Teile des Publikums sitzen an Tischen auf der Bühne und bekommen Tee und orientalische Speisen) besticht die Aufführung durch zahlreiche Songs. Die deutschen Schauspieler (u.a. Raphaela Möst und Daniel Stock) lernten eigens dafür, in türkischer Sprache zu singen.
Torsten Kindermann arrangierte die Lieder der türkischen Königin des Pop, Sezen Aksu, neu. „Die Songs passen wunderbar zur Handlung und kommentieren sie immer wieder“, so Kindermann. Die Handlung wird auf Deutsch gespielt, die türkischen Songs sind mit Übertiteln versehen.
>>> INFO: Selen Kara und Torsten Kindermann
Selen Kara (32) inszenierte am Schauspielhaus „Blaubart – Hoffnung der Frauen“. Nach dem Abitur in Istanbul studierte sie Theaterwissenschaften in Bochum und war Regieassistentin u.a. von Roger Vontobel.
Torsten Kindermann (44) studierte Saxophon und Gesang. Er spielte u.a. in der Band „Alpha Boy School“ und wirkt beim „Tribute to Johnny Cash“ mit. Kara und Kindermann sind verheiratet und haben eine Tochter.