Bochum. . Hermann Schmidt-Rahmer ist am Schauspielhaus der Mann für die Behandlung schwerer Stoffe. Zum Saisonstart hat er wieder ‘was Spezielles vor.

  • Hermann Schmidt-Rahmer gilt als Mann für experimentierfreudiges Polittheater
  • Am Schauspielhaus inszeniert er zum Saisonauftakt „Volksverräter!!“ nach Ibsen
  • Es ist die fünfte Bühnenarbeit des umtriebigen Regisseurs in Bochum seit 2013

Den Start in die neue Spielzeit vertraut das Schauspielhaus einem der zurzeit gefragtesten Regisseure an: Hermann Schmidt-Rahmer. Am 21. September bringt der Professor für Szene an der Universität der Künste Berlin „Volksverräter!!“ heraus. Es ist Schmidt-Rahmers bereits fünfte Inszenierung seit 2013 in Bochum.

An den Bühnen dieser Republik festigte Schmidt-Rahmer seinen Ruf als Mann für experimentierfreudiges Polittheater. So gilt er als Spezialist für die komplexen Textbrocken einer Elfriede Jelinek, aber es gelingt ihm auch, aus alten Stoffen Funken zu schlagen.

Gewagt aber gelungen

Wie er aus Balzacs „Gespenster des Kapitals“ ein gegenwärtiges Drama über die Finanzwelt formte, war gewagt, aber gelungen. Die Aufführung (Premiere 25.10.2014) kam als wild-witziges Doku-Theater über den Spätkapitalismus daher, präsentiert als Horror-Show wie aus einem Gothic-Film (Kostüme: Michael Sieberock-Serafimowitsch).

Hermann Schmidt-Rahmer.
Hermann Schmidt-Rahmer. © Anne Wohland

Und wie er im letzten Oktober Molières „Tartuffe“ – bekanntlich ein heuchlerischer Hochstapler – mit dem Aufstieg Donald Trumps verwob, war auch nicht ohne. Wenn auch gerade diese Inszenierung einen Schuss zu grell daherkam und eher zwiespältig Aufnahme fand.

Suchen und Forschen

Der Regisseur, der Musikwissenschaft und Philosophie studierte, ist bei aller theaterintensiven Leidenschaft niemand, der für sich in Anspruch nimmt, die Wahrheit gepachtet zu haben. „Ich bin doch keine Instanz, die eine Meinung oder eine Lösung zu verlautbaren hat. Beide Seiten haben recht und unrecht zugleich“, hat er mal in einem Interview gesagt.

Das Experiment des Suchens und Forschens, das er seinen Schauspielern bei den Proben und den Zuschauern in seinen Inszenierungen zumutet, ist ihm selbst eigen.

Szene aus „Tartuffe“ von Molière, Regie: Hermann Schmidt-Rahmer, mit Jürgen Hartmann (Tartuffe) und  Raphaela Möst (Elmire).
Szene aus „Tartuffe“ von Molière, Regie: Hermann Schmidt-Rahmer, mit Jürgen Hartmann (Tartuffe) und Raphaela Möst (Elmire). © Diana Küster

Leitmotive Wahrheit und Freiheit

So darf man also sehr gespannt sein, was Schmidt-Rahmer als Nächstes auspacken wird. „Volksverräter!!“ (mit zwei Ausrufezeichen) heißt seine Inszenierung, die sich an Henrik Ibsens „Volksfeind“, entstanden 1892, anlehnt. Leitmotive sind Wahrheit und Freiheit, und besonders beanstandet Ibsen die öffentliche Meinung, die von vielen viel zu oft als Wahrheit akzeptiert werde.

Schmidt-Rahmer ersetzt „Volksfeind“ durch das Unwort des Jahres 2016 – „Volksverräter“ – und ist damit statt in einem norwegischen Kurort anno 1890 bereits mittendrin in einem aufgeheizten Aufmarsch „besorgter Bürger“ à la Pegida oder AfD.

Erosion der Demokratie

Das Wohl einer kleinen Gemeinschaft steht auf dem Spiel, weil einer für die „Wahrheit“ kämpft. Doch der Kampf von Kurarzt Stockmann wird schnell zur selbstgerechten Verachtung der Mehrheit und trägt die Züge des Totalitarismus. Fakten und Fakes geraten durcheinander.

„Ein Kampf zwischen der Funktion(är)s-Elite und dem ,einfachen Volk’ wird konstruiert. Und die Rolle der Medien wird je nach Belieben zugunsten des eigenen Vorteils bewertet“, sagt Schmidt-Rahmer. Kommt einem alles sehr bekannt – und also ziemlich zeitgemäß – vor. Der Regisseur, darf man vermuten, ist von der Erosion des demokratischen Diskurses im 21. Jahrhundert ebenso angewidert wie fasziniert.