Bochum. . Die WAZ öffnet die Pforten zur Mega-Baustelle auf der ehemaligen Opel-Fläche. Für manche Teilnehmer wird der Rundgang zur emotionalen Rückkehr.

  • Emotionale Momente bescherte der WAZ-Rundgang über die ehemaligen Opel-Flächen
  • 35 Leser konnten im Rahmen der Pforten-Aktion über die Baufelder von Mark 51/7 marschieren
  • Vor allem für die Ex-Opelaner unter den Teilnehmern war es eine mitunter wehmütige Tour

Günter Rähse wischt sich mit dem Handrücken verschämt die Tränen aus den Augen. Wehmütig schaut er auf den Koloss voller Stahl und Eisen, der still vor sich hin staubt, würdevoll, aber längst bedeutungslos, ganz so, als wüsste er, das sein Ende nahe ist. „37 Jahre“, flüstert Günter Rähse, „hab’ ich hier malocht.“

Als stolzer Opelaner. Zuletzt als Vorarbeiter in der Elektrowerkstatt. Seit 17 Jahren ist er im Ruhestand. Erstmals sieht er das Presswerk, seinen Arbeitsplatz, heute wieder. Es ist wie ein Besuch bei einem treuen Freund, der im Sterben liegt. „Bedrückend“, sagt der 75-Jährige, lässt sich aus der WAZ-Gruppe nach hinten fallen und zückt seine Kamera für die letzten Erinnerungsfotos.

Viele Teilnehmer haben früher bei Opel gearbeitet

Die Zahlen zur Baustelle

  • 20.000 Menschen arbeiteten zu Spitzenzeiten in den 80er und 90er Jahren im Bochumer Opel-Werk.
  • 3500 Beschäftigte waren es noch bei der Schließung des Werkes vor zweieinhalb Jahren.
  • 2000 neue Jobs sind laut Bochum-Perspektive durch die aktuell bereits besiegelten Ansiedlungen und Verträge sicher.
  • 3500 Arbeitsplätze sind die Mindestmarke, die bis 2022 erreicht werden soll.
  • 51/7 steht – grob – für die geografischen Koordinaten der ehemaligen Opel-Fläche in Laer: 51 Grad nördliche Breite und sieben Grad östliche Länge.

Die WAZ öffnet in ihrer Sommerserie Pforten – und oft auch Herzen. So wie beim Rundgang über die ehemaligen Opel-Flächen, der für viele der 35 WAZ-Leserinnen und -Leser eine Herzenssache ist. Zahlreiche der Gewinner haben früher bei Opel gearbeitet. Für sie ist es eine Rückkehr in ihre Zeit als Opelaner, die – das merkt man bis heute – mehr war als ein Job.

„Opelaner war man mit Überzeugung!“, ruft Günter Rähse. Umso bitterer war das Aus Ende 2014. Umso schmerzhafter ist das Wiedersehen mit dem, was Jahrzehnte die berufliche Heimat war. „Und mehr als das“, bekräftigt einer der Ex-Opelaner: „Wir waren ja öfter hier als bei unseren Familien!“

Rundblick aus dem „O-Werk“

Viel übrig geblieben ist davon nicht. Das ehemalige Verwaltungsgebäude, das die Marketingprofis der Bochum Perspektive „O-Werk“ nennen, ragt wie ein letztes Relikt ruhmreicher Bochumer Automobilvergangenheit in den wolkenverhangenen Himmel.

Dieser Blick sagt mehr als 1000 Worte: Beim WAZ-Rundgang sieht Günter Rähse zum ersten Mal seit 17 Jahren seinen Arbeitsplatz wieder, das Opel-Presswerk. Die 15 000-qm-Halle ist verwaist und wird 2018 abgerissen.
Dieser Blick sagt mehr als 1000 Worte: Beim WAZ-Rundgang sieht Günter Rähse zum ersten Mal seit 17 Jahren seinen Arbeitsplatz wieder, das Opel-Presswerk. Die 15 000-qm-Halle ist verwaist und wird 2018 abgerissen. © Ingo Otto

Als Gründerzentrum soll der markante, denkmalgeschützte Bau im Besitz der Landmarken AG jungen Start-up-Firmen als Durchlauferhitzer dienen. Auch die Ruhr-Uni zählt zu den künftigen Nutzern. Im Herbst soll der Umbau starten. Bochums Zukunft beginnt, wo ein großes Stück Historie geendet hat.

Sicherheitsschuhe, Helm und Warnwesten

Mit Sicherheitsschuhen, Helm und Warnwesten ausgestattet, geht’s für die WAZ-Leser in den größten Sandkasten der Region. Das Baufeld auf Mark 51/7, wie die Opel-Flächen inzwischen heißen, kann hautnah erkundet werden. Ein Privileg, das die Bochum Perspektive exklusiv unserer Zeitung bietet. „Sie sind die erste Gruppe, die das darf“, betont ein Sprecher, „sonst lassen wir hier niemanden drauf. Zu gefährlich.“

Erst der Gang durch Schutt und Gestein, über alte Fundamente und neu aufbereitete Ansiedlungsflächen zwischen Opelring und Wittener Straße, eröffnet die Dimension, die Bochums größte Baustelle einnimmt. „Gewaltig“, staunt eine Leserin ob der Erdarbeiten auf der 700 000-Quadratmeter-Fläche. Hier unten erscheint riesig, staubig, dreckig, was beim Blick aus dem fünften Stock des „O-Werks“ noch einem Playmobil-Bausatz mit winzigen Baggern und Lastwagen geglichen hatte.

2018 wird das alte Presswerk abgerissen

noch mehr Zahlen...

  • 65,1 Millionen Euro stellt das Land für die Aufbereitung der Gewerbefläche bereit. Zuletzt gab es Ende 2016 einen Zuwendungsbescheid über 32 Millionen Euro.
  • 700.000 Quadratmeter umfasst das komplette Ex-Opelgelände, das bereits vermarktet ist bzw. noch zur Vermarktung ansteht.
  • 600 Arbeitsplätze schafft die DHL, die unweit des ehemaligen Opel-Verwaltungszentrums ein riesiges Paketzentrum errichtet.

„Das ist ein echter Trost: dass hier Neues auf Altem entsteht – und nicht nur ein weiteres Industriemuseum“, sagt Günter Rähse. Ganz tapfer. Und doch so aufgewühlt wie die Erdmassen, die die gelbe Lkw-Flotte im Minutentakt transportiert.

Im Presswerk brechen die Dämme. „Das tut weh“, flüstert Rähse, kaum hörbar. Er weint bei den ersten Schritten in „seine“ alte Halle nach 17 Jahren. Es riecht noch nach Auto, nach Arbeit, nach Astra. „Qualität hat Vorrang“, prangt noch in fetten Lettern auf einer Wand. „Ein bisschen Farbe, und es könnte wieder losgehen“, sagt der Rentner. Wird’s aber nicht. Die Halle steht zum Abriss an. 2018 ist es soweit. Die letzten 15 000 Quadratmeter Opel-Industrie verschwinden.

Der Pressenkeller, den die WAZ-Gruppe durchstreift, ist schon komplett verwaist. „Lass uns hoch gehen“, sagt Günter Rähse. Zurück ins Licht.