Bochum. Regine Schmalhorst leitet seit Anfang 2017 die Arbeitsagentur. Die Herausforderungen: Flüchtlinge, Langzeitarbeitslose und unversorgte Schüler.

  • Seit Anfang des Jahres hat die Agentur für Arbeit in Bochum eine neue Geschäftsführerin
  • Flüchtlinge, Langzeitarbeitslose und „unversorgte“ Schüler sind aus ihrer Sicht die große Herausforderungen
  • Dringend notwendig sind aus ihrer Sicht mehr Ausbildungsstellen und die Einführung eines sozialen Arbeitsmarkts

Anfang des Jahres hat Dr. Regine Schmalhorst als Nachfolgerin von Luidger Wolterhoff die Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Bochum/Herne übernommen. Sie war zuletzt Geschäftsführerin des Internen Services der Regionaldirektion Sachsen und hat zuvor die Agenturen in Soest und Zwickau geleitet. Mit der 44-jährigen gebürtigen
Hamelnerin hat WAZ-Redakteur Andreas Rorowski über die Chancen und Herausforderungen in Bochum gesprochen.

Sie sind fast 100 Tage im Amt. Was sind die großen Herausforderungen in Bochum?

Zum einen sind es die Flüchtlinge, für die wir zusammen mit anderen Akteuren wie dem Jobcenter gute Maßnahmen auf den Weg bringen wollen, damit ihre Integration gelingt. Langzeitarbeitslosigkeit ist ein zweites Feld, in Bochum haben wir mehr als 40 Prozent Langzeitarbeitslose. Und dann natürlich der Ausbildungsmarkt. Für alle Bereiche ist die Qualifizierung ein zentrales Thema. Wir werden so viele Menschen wie möglich qualifizieren. Mir geht dabei aber immer um sinnvolle Qualifizierung.

Sie betonen das, weil es in der Vergangenheit immer wieder Kritik an Maßnahmen der Agentur gegeben hat – nicht nur in Bochum?

Der Vermittler hat immer die Aufgabe, zu gucken, was sinnvoll ist. Wir können nur qualifizieren, wenn der Bedarf auf dem Arbeitsmarkt da ist und wenn der Kunde entsprechende Talente mit bringt.

Da sind in der Vergangenheit Fehler gemacht worden?

Zum Teil: Wenn zum fünften Mal ein Bewerbungstraining gemacht wird, dann haben das Politiker oder Verbände zurecht kritisiert. Einmal im Jahr schauen wir, wo Lücken sind, wo welche entstehen und welche Branchen sich weiter entwickeln. Die Gelder, die wir zur Verfügung haben, wollen wir insbesondere dafür verwenden, damit Kunden für die gut laufenden Branchen entsprechende Abschlüsse haben.

Welche Branchen laufen gut?

Logistik und Gesundheit vor allen Dingen. Wir schauen jetzt bereits, was etwa DHL braucht, wenn es sein Warenverteilzentrum in Bochum eröffnet, und welche Kunden von uns dafür in Betracht kommen.

Welche Berufe werden konkret gebraucht?

Fachkraft für Lagerlogistik oder Lagerwirtschaft zum Beispiel – und im Bereich Gesundheit examinierte Altenpfleger und auch Altenpflegehelfer.

Die bescheidene Bezahlung etwa im Pflegebereich macht es bestimmt nicht einfach, genügend Interessenten für die Branche zu finden?

Gerade was Pflege angeht, haben wir gute Erfolgsquoten. Der Bereich wird sich weiter entwickeln. Die Herausforderung in dieser Branche ist der Schichtdienst und die damit einhergehende körperliche Belastung. Die Qualifizierungen, die wir im Bereich Gesundheit machen, münden nahezu alle in einem Arbeitsverhältnis. Wir erstellen zweimal im Jahr die Brancheneinschätzung im Arbeitsmarktmonitor, aus der wir entnehmen, wie sich die Branchen entwickeln. Das sind Einschätzungen der Agentur, der IHK, der Handwerkskammer und von anderen. Dort lässt sich ablesen, welche Branchen sich voraussichtlich wie entwickeln.

Sind Ihre Kunden – Schüler, Arbeitslose, Langzeitarbeitslose – denn geeignet und vorbereitet, um diese Ausbildungsplätze und Stellen zu besetzen?

Das ist unterschiedlich. Vor allem sind nicht alle Berufe für jede Zielgruppe interessant. Die meisten Jugendlichen etwa wollen nicht in die Altenpflege. Wir müssen mit Arbeitgebern zusammen daran arbeiten, mehr Transparenz zu schaffen und aufzurütteln. Zum Teil gibt es zu wenig Wissen über die einzelnen Berufe. Sehr gesucht, aber auch wenig attraktiv für Bewerber, ist der Beruf des Kraftfahrers. . Was die Kunden betrifft, so haben wir zahlenmäßig genügend, die in Betracht für Ausbildungen und Arbeitsplätze kommen. Aber wir müssen ganz genau hinschauen, ob der einzelne die Befähigung mitbringt, eine Aufgabe zu erledigen, oder ob er den Belastungen etwa in der Altenpflege standhält. Dabei hilft uns unserer ärztlicher Dienst und der berufspsychologische Service. Natürlich merken wir, dass es nicht immer eins zu eins passt. Unsere Aufgabe ist es, gemeinsam mit den Kunden zu schauen, was Sinn ergibt und was geht.


Agentur-Chef Regine Schmalhorst: „Bei Kunden, die gerade erst in die Langzeitarbeitslosigkeit gerutscht sind, ist die Bereitschaft zu arbeiten, oft groß.“
Agentur-Chef Regine Schmalhorst: „Bei Kunden, die gerade erst in die Langzeitarbeitslosigkeit gerutscht sind, ist die Bereitschaft zu arbeiten, oft groß.“ © Barbara Zabka

Sie sagen, Bochum hat mehr als 40 Prozent Langzeitarbeitslose. Haben diese – wie es oft bei Schülern der Fall ist, die eine Ausbildung suchen – eine zu enge Vorstellung von dem, was sie machen wollen?

Bei Kunden, die gerade erst in die Langzeitarbeitslosigkeit gerutscht sind, ist die Bereitschaft zu arbeiten, oft groß. Sie haben aber auch immer eine Gruppe, bei der es schwierig sein wird, sie überhaupt an den Arbeitsmarkt heranzuführen.

Reift deshalb auch bei der Bundesagentur die Erkenntnis, dass wir einen sozialen Arbeitsmarkt brauchen? Die Wohlfahrtsorganisationen fordern den sozialen Arbeitsmarkt seit langem, viele andere auch. Warum passiert dennoch nichts?

Das muss die Politik entscheiden. Ich finde die Diskussion um einen ehrlichen dritten Arbeitsmarkt richtig. Bei meinen Antrittsbesuchen hier in der Stadt war die Langzeitarbeitslosigkeit immer ein Thema, weil sie hier so hoch ist. Wenn wir ehrlich sind, wird es auch in den kommenden Jahren einen Teil Menschen geben, der den Anforderungen des hiesigen Arbeitsmarktes kaum gewachsen ist. Arbeitslosigkeit ist aber auch ein persönliches Schicksal Und da stellt sich zurecht die Frage, sollen diese Kunden zu Hause bleiben und Arbeitslosengeld II beziehen oder ist der dritte Arbeitsmarkt der richtige Weg, um diesen Menschen das Gefühl zu geben, in dieser Gesellschaft vollwertig mitarbeiten zu können. Dazu muss sich die Politik äußern.

Was verstehen Sie unter einem „dritten Arbeitsmarkt“?

Der Arbeitsmarkt funktioniert unter Konkurrenz-Bedingungen und nach Angebot und Nachfrage. Der sogenannte dritte Arbeitsmarkt ist für Menschen vorgesehen, die unter den Bedingungen des ersten Arbeitsmarktes nicht agieren können, aber durchaus noch über eine verwertbare Arbeitskraft verfügen und die sie auch gerne einsetzen wollen.

Sie sagen, der soziale Arbeitsmarkt ist notwendig?

Ja. Und ich erlebe, dass beide Kommunen, für die wir zuständig sind, Bochum und Herne, mit großer Ernsthaftigkeit an diesem Thema arbeiten.

Kommen wir noch einmal zum Thema Qualifizierung. Wie viele Mittel stehen Ihnen in diesem Jahr dafür zur Verfügung?

Es sind in diesem Jahr insgesamt 21 Millionen Euro für den gesamten Agenturbezirk. Die Mittel werden in der Regel etwa im Verhältnis zwei Drittel zu ein Drittel auf Bochum und Herne verteilt. Allein sechs Millionen Euro entfallen auf die unter 25-Jährigen. Das ist gut. Am Geld werden Qualifizierungsmaßnahmen nicht scheitern, die Voraussetzungen müssen aber da sein.

Enttäuschende Vermittlung bei Opelanern

Wie schwierig ist es, die Kunden mit diesen Voraussetzungen zu finden?

Das ist gar nicht so schwierig. Was die Qualifizierungen betrifft, liegen wir jetzt schon über unseren Planungen. Bereits jetzt haben 308 Kunden berufliche Weiterbildungen begonnen – mehr als wir geplant haben.

Um welche Weiterbildungen geht es dabei vornehmlich?

Insgesamt gehen wir von etwa 900 Maßnahmen in diesem Jahr aus; darunter 320 im gewerblich-technischen Bereich, 130 im kaufmännischen Bereich, 115 in der Pflege, 80 im IT-Bereich und 90 in Akademikerberufen. Dazu werden noch weitere, bislang nicht geplante Maßnahmen kommen.

Die Arbeitslosenquote ist gerade wieder leicht auf 9,9 Prozent gesunken. Das liegt im Trend der jüngeren Vergangenheit, ist aber so schlecht vielleicht nicht vor dem Hintergrund der Werksschließung bei Opel. Wie bewerten Sie die Vermittlung der Opelaner über und aus der Transfergesellschaft des Tüv Nord.

Die Vermittlungsquote ist enttäuschend.

Etwa 300 frühere Bochumer Opelaner sind jetzt arbeitslos. Haben die noch eine Perspektive?

Natürlich haben sie die. Es kommt aber darauf an, was sie bei Opel gemacht haben, ob sie bereit sind, sich auf eine Stelle einzulassen, die nicht so hoch bezahlt ist, und wie mobil sie sind.

Noch einmal zur Arbeitslosenquote. Die liegt seit langem um zehn Prozent. Ist das ein Wert, mit dem sich Bochum auf Dauer abfinden muss?

Wir werden uns in keiner Weise damit zufrieden geben. Als Agentur können wir nur geringen Einfluss nehmen auf den Arbeitsmarkt. Es kommt auf die Nachfrage an. Richtig ist, dass wir die große Aufgabe Langzeitarbeitslosigkeit behalten. Wenn es gelingt, die Flüchtlinge innerhalb der nächsten Jahre über eine gute Qualifizierung zu integrieren, und weiterhin die Beschäftigung wächst, glaube ich, dass sich die Quote reduzieren kann.

Sind die Flüchtlinge bereits in der Arbeitslosenquote enthalten?

Ja, aber nur zum Teil, weil viele von ihnen in Maßnahmen sind. Dann tauchen sie in der Unterbeschäftigungsquote auf. Auf die im übrigen weisen wir immer wieder hin. Die Arbeitslosenquote ist auch deshalb unter zehn Prozent, weil viele Menschen in Maßnahmen sind. Die Unterbeschäftigungsquote liegt momentan bei 13,6 Prozent.

Wie sieht es mit Stellen in Ihrem Haus aus?

Gut. Wir haben 16,5 zusätzliche Stellen bekommen und sind zuversichtlich, sie alle besetzen zu können. Insgesamt arbeiten allein in der Agentur für Arbeit Bochum rund 1000 Mitarbeiter im operativen Bereich, in der Leistungsabteilung, in der Verwaltung oder aber in der Familienkasse vor Ort.

Sprechen wir über das Thema Ausbildung. Die Lage in Bochum ist weiter angespannt.

Wir haben deutlich zu wenig Ausbildungsplätze für die jungen Menschen. Ich kann nur an die Unternehmen appellieren, mehr Stellen zur Verfügung zu stellen. Auch im eigenen Interesse. Ich halte es für extrem wichtig, dass jeder Betrieb seine eigenen Fachkräfte ausbildet. Und wichtig ist auch, jungen Menschen eine Chance zu geben. Die Schere hier im Revier geht immer weiter auseinander. Wir haben zu viele unversorgte Bewerber. Momentan haben noch 1249 junge Leute in Bochum keinen Ausbildungsplatz, gleichzeitig gibt es nur 1101 offene Ausbildungsstellen.

In Sachsen ist die Situation völlig anders

Sie waren zuletzt in einer Region, in der das viel besser aussieht.

Ja, in Sachsen ist die Situation eine ganz andere. Dort gibt es deutlich mehr Ausbildungsstellen als Bewerber. Die Bewerber können sich aussuchen, wo sie hingehen. Hier ist das ganz anders. Insofern ist die Aufgabe für mich auch eine ganz besondere Herausforderung.

Nun bemängeln viele Arbeitgeber, den Jugendlichen fehle bisweilen die Voraussetzung für eine Ausbildung.

Ja, auch da müssen wir immer wieder aufs Neue aufklären. Unsere Berufsberatung beginnt bereits in der 8 Klasse. Wir fragen, welche Neigungen, Interessen und Fähigkeiten hat ein junger Menschen, aber auch welche Perspektiven und Alternativen. Und junge Menschen müssen die Chancen bekommen, sich an einen Beruf heranzutasten. Von den Unternehmen würde ich mir mehr Offenheit wünschen. Auch wenn die Schulnoten manchmal nicht die Besten sind, so entwickeln doch viele junge Menschen in der Praxis ungeahnte Talente.

Welche Perspektiven gibt es für junge Leute? Sind das momentan vor allem die Branchen Logistik und Gesundheit?

Ganz klar das Handwerk – in ganz unterschiedlichen Berufen. Außerdem werden vor allem angehende Verkäufer gesucht, Kaufleute und Sozialversicherungsfachangestellte. Es gibt eine starke Nachfrage in der Logistik und in der Gesundheitsbranche. Aber man sollte auch bedenken, es gibt 360 Ausbildungsberufe, in der Region kann man 300 Berufe erlernen.

Wagen sie eine Prognose wie die zweite Hälfte des Ausbildungsjahres laufen wird?

Dazu fehlt mir noch die Erfahrung in der Region. Im vergangenen Jahr sind 137 junge Leute unversorgt geblieben. Ich schätze, es wird in diesem auch wieder eine ähnlich hohe Zahl geben.

>>Jobcenter verfügt über 31 Millionen Euro
für die Eingliederung

Neben der Arbeitsagentur ist das Jobcenter für die Weiterbildung und die Integration in den Arbeitsmarkt zuständig. Es ist zuständig für derzeit 14 144 Arbeitslose, darunter sind 7120 langzeitarbeitslos, und für insgesamt 43 639 Bezieher von Hartz-IV-Leistungen.

Frank Böttcher, Geschäftsführer des Jobcenter Bochum
Frank Böttcher, Geschäftsführer des Jobcenter Bochum © Jobcenter

Das Eingliederungsbudget für Qualifizierungen, Weiterbildungen und finanziellen Förderung von Arbeitsaufnahmen beläuft sich 2017 auf fast 26,2 Millionen Euro, fünf Prozent mehr als 2016. Dazu kommen 5 Millionen Euro aus Bundesprogrammen. 6774 Kunden sollen damit gefördert werden, 15,6 Prozent weniger als im Vorjahr. „Das liegt daran, dass wir noch mehr Wert auf qualitativ höherwertige Maßnahmen legen“, so Jobcenter-Chef Frank Böttcher.

Seine 570 Mitarbeiter stehen in diesem Jahr zudem vor einer weiteren Herausforderung: Mitte November wird die E-Akte eingeführt. Momentan liegen 80 000 Aktenbände an sieben Standorten sowie 200 000 Bände im Zentralarchiv, was zu einem großen Transportaufwand und zu allmählicher Raumknappheit führt. Seit Dezember beschäftigt sich ein Einführungsteam mit der Umstellung, demnächst werden Trainer geschult. Begleitet wird das Projekt von einem Lenkungsausschuss, dem unter anderem der Personalrat angehört.