Bochum. . Dem „Kult-Kiosk“ in Altenbochum droht das Aus. Die 65 Jahre alte Trinkhalle am Freigrafendamm soll neuen Wohnhäusern weichen. Es gibt Proteste.
- Der 65 Jahre alte „Kult-Kiosk“ am Freigrafendamm in Altenbochum steht vor dem Abriss
- Die Trinkhalle sollen neuen Wohnhäusern auf dem angrenzenden Grundstück weichen
- Die Betreiber und Kunden wehren sich und haben eine Unterschriftenaktion gestartet
Altenbochum bangt um seinen „Kult-Kiosk“. Im Zuge eines Neubauprojekts soll die Trinkhalle am Freigrafendamm „plattgemacht werden“, befürchten Regina (53) und Dirk Boretzki (54). Den Betreibern werde ihre berufliche Existenz, „dem Ruhrpott ein weiteres Stück Tradition“ entrissen. Das Bauunternehmen Markus-Bau bekräftigt: „Wir sehen keine Möglichkeit, dass der Kiosk erhalten werden kann.“
„Ich hab’ hier schon in den 50er Jahren meine Klümpkes gekauft.“ Bruni Rapp (66) gehört zu den Altenbochumern, für die die Bude am Freigrafendamm „’ne echte Institution is’“. Seit 65 Jahren gibt es den Kiosk: von Alteingesessenen in Erinnerung an den früheren Inhaber „Lügen-Paule“ Kortmann bis heute auch „oller Kortmann“ genannt.
Due tägliche Nahversorgung im Stadtteil
Kaffee, Kippen, Klümpchen und manches Quätschchen zwischendurch: Seit 2013 sind es Regina und Dirk Boretzki, die die tägliche Nahversorgung in ihrem Viertel unweit des Zentralfriedhofes sicherstellen. „Kult-Kiosk“: Diesen Namen haben sie den 32 Quadratmetern reinster Revier-Kultur verpasst. „Wir haben nicht nur unser Herzblut, sondern unsere gesamten Ersparnisse hier ‘reingesteckt“, sagen sie. „Das ist unser Leben.“ Und das vieler Stammkunden. So wie von Bruni Rapp mit ihren Klümpkes. Oder von Manfred Blech (67), der täglich aus Riemke auf einen netten Plausch vorbeischaut. Längst kennt man sich untereinander, ist per du. Der Paketfahrer Gerd Teubert (54), der sich auf seiner Vormittagstour mit Kaffee und belegten Brötchen eindeckt, ebenso wie die Polizeibeamten, die hier eine Pause einlegen.
Bis zu 50 Wohnungen sind geplant
Sie alle zählen zu den (Stand gestern Mittag) 320 Unterzeichnern einer Protestliste, die die Boretzkis zu Wochenbeginn ausgelegt haben. Denn: Dem „Kult-Kiosk“ droht der Abriss. Er ist einem Neubauprojekt im Weg, das der Bochumer Bauträger Markus-Bau auf der angrenzenden 4000-Quadratmeter-Fläche am Freigrafendamm/Liebfrauenstraße plant. 40 bis 50 Eigentumswohnungen sollen entstehen. „Baubeginn soll Anfang 2018 sein. Wir rechnen mit 15 bis 18 Monaten Bauzeit“, erklärt Markus-Bau-Geschäftsführer Karsten Koch auf WAZ-Anfrage.
Der neue Wohnriegel wird möglich, weil die Inhaber des Areals – eine Erbengemeinschaft aus Rheinland-Pfalz – das Grundstück an Markus-Bau verkauft haben. Eine Bauvoranfrage wurde 2016 positiv beschieden, bestätigt die Stadt. „Der Kaufvertrag ist besiegelt. Den Kiosk-Betreibern wurde fristgemäß zum 31. März gekündigt“, sagt Koch.
Der Geschäftsführer sieht „bautechnisch keinerlei Chance, dass die Trinkhalle stehen bleiben kann. Auch in einem Neubau ist ein Kiosk nicht vorstellbar. Bei aller Tradition: Er muss verschwinden“. Das sei den Pächtern bei Abschluss ihres Mietvertrages auch deutlich mitgeteilt worden. „Es war lange klar, dass das Gelände zum Kauf angeboten wird und für Bebauung vorgesehen ist.“
SPD-Ortsverein gibt Rückendeckung
Regina und Dirk Boretzki geben sich nicht geschlagen: „Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, um unseren Kiosk zu retten.“ Rückendeckung erhalten sie vom SPD-Ortsverein Altenbochum. Die Politik habe von dem Bauvorhaben erst aus der Presse erfahren. „Ein Stück Altenbochumer Tradition soll enden. Das gilt es zu verhindern!“, so Ratsfrau Simone Gottschlich. In Kürze werde sich der Vorstand in einer Sondersitzung mit dem Thema befassen. Vorsitzender Ulrich Wicking gibt die Richtung vor: „Die neuen Eigentümer sind mit guten Ideen gefordert. Was dem Ehrenfeld sein Elli-Büdchen, ist bei uns in Altenbochum der Kult-Kiosk.“
>>> Kommentar: Tradition stirbt aus
Die Bude ist ein starkes Stück Revierkultur. Die ist – wie auch die klassischen Kneipen – vom Aussterben bedroht. Dabei sind es vor allem die älteren Bewohner eines Viertels, die „ihren“ Kiosk nicht nur als Verkaufsstelle, sondern als Ort schätzen und lieben, der der Anonymität der Großstadt Herz und Seele entgegensetzt.
Umso bitterer, dass in Altenbochum eine weitere Bude vor dem Aus steht. Kaum vorstellbar, dass bei Millionenplänen für ein Wohnprojekt Rücksicht auf eine Trinkhalle genommen wird. Eines aber ist der Eigentümer den Betreibern und Kunden schuldig: dass der Kiosk so lange wie möglich geöffnet bleibt. Heißt: bis zum Baubeginn 2018.