Bochum. Nach dem geplatztem Übernahmegeschäft muss das Bochumer Familienunternehmen Wollschläger jetzt seine rund 420 Beschäftigten betriebsbedingt kündigen.
- Am 1. August hatte das Bochumer Familienunternehmen Wollschläger einen Insolvenzantrag gestellt
- Zuletzt hatte die dänische Firma Sanistaal zugesagt, das angeschlagene Unternehmen zu übernehmen
- Die Verhandlungen scheiterten, 420 Mitarbeiter werden betriebsbedingt gekündigt
Die Rettung des Bochumer Handels- und Dienstleistungsunternehmens Wollschläger ist gescheitert. Überraschend teilte der vorläufige Insolvenzverwalter Dirk Andres der verbliebenen Belegschaft am Donnerstag mit, dass das börsennotierte Handelsunternehmen Sanistaal aus dem dänischen Aalborg sein Übernahmeangebot kurzfristig zurückgezogen hat. 420 bundesweit noch beschäftigte Mitarbeiter, die meisten davon in Bochum, werden betriebsbedingt gekündigt. Mehrere Dutzend Beschäftigte hatten zuvor bereits freiwillig das Unternehmen verlassen.
„Die Stimmung ist am Boden“, beschreibt ein Beschäftigter, der namentlich nicht genannt werden möchte, die Lage am Standort Carolinenglückstraße im Stadtteil Hamme, wo Wollschläger erst Anfang 2015 eine große, moderne Logistikhalle bezogen und einen hohen zweistelligen Millionenbetrag investiert hatte. Unternehmensinhaber Frank Wollschläger hatte auf Wachstum gesetzt, obwohl, so der 69-Jährige, die Umsätze in den vergangenen vier Jahren gesunken seien.
Im Juli konnte Wollschläger die Löhne nicht mehr zahlen
Spätestens mit dem Umzug wuchsen offenbar die Probleme. „Die Auslastung war nicht mehr so gut wie an unserem früheren Standort“, sagte ein weiterer Logistikmitarbeiter gegenüber der WAZ. Erst mussten die Leiharbeiter das Unternehmen verlassen. Und im Juli konnte Wollschläger die Löhne der Belegschaft nicht mehr bezahlen.
Vor wenigen Tagen hatte Insolvenzverwalter Andres angekündigt, einen Investor für die insolvente Wollschläger GmbH & Co. KG gefunden zu haben. Anfang Oktober sollte Sanistaal „wesentliche Vermögenswerte“ des Werkzeughändlers übernehmen. 285 Arbeitsplätze sollten erhalten bleiben, 131 Mitarbeiter in eine Transfergesellschaft wechseln. Diese Pläne haben sich am Mittwochabend zerschlagen.
Die Dänen waren der letzte verbliebene Interessent an dem Unternehmen, das 1946 gegründet wurde und das Gründersohn Frank Wollschläger von einem kleinen Betrieb mit 25 Beschäftigten zu einem europaweit tätigen Unternehmen entwickelte. 140 Millionen Euro Jahresumsatz verzeichnete die Wollschläger GmbH in den vergangenen Jahren. Die gesamte Gruppe, zu der auch die nicht von der Insolvenz betroffene Vertriebs- und Servicegesellschaft Hommel gehört, erzielte 2013 einen Umsatz von 238 Millionen Euro. Für die Folgejahre hatte Wollschläger „ein positives Ergebnis“ angestrebt.
Wollschläger-Investor springt überraschend ab
„Keine Namen bitte“. Auskunft geben wollen etliche Wollschläger-Mitarbeiter an dem Tag, an dem sie von ihrer Kündigung und dem endgültiges Aus ihres Arbeitgebers erfahren haben, schon. Genau identifizierbar aber möchten sie nicht sein. Schließlich müssen sie sich von heute an nach einem neuen Arbeitgeber umschauen.
Sie stehen an diesem Mittag draußen vor dem Firmengelände an der Carolinenglückstraße in Hamm – rauchen, essen und versuchen das zu verarbeiten, was ihnen früh am Morgen offenbart wurde: Es ist aus. Sanistaal hat sein Kaufangebot zurückgenommen. Die Wollschläger GmbH ist am Ende.
„Die Stimmung ist am Boden“ schildert ein 46-jähriger Gabelstaplerfahrer die Lage im Unternehmen. „Man hatte sich schon gefreut, dass es weiter geht. Und dann das.“ Er ist einer der vielen Seiteneinsteiger bei dem Handelsunternehmen. Viele frühere Handwerker sind dabei, auch ungelernte Kräfte und einige Facharbeiter für Lagerlogistik. Am Nachmittag bekamen sie während einer Belegschaftsversammlung von einem siebenköpfigen Team der Bundesagentur erste Informationen darüber, was nun für sie wichtig ist: Wie melde ich mich arbeitslos, welche Rechte und Pflichten habe ich, wie sieht die Lage auf dem Arbeitsmarkt aus?
Bezahlung unter Tariflohn
„Die Lage ist eher bescheiden, glaube ich“, sagt ein Mitvierziger – bis zu den Ansiedlungen von DHL in Laer oder Duvenbeck in Herne dauert es noch ein, zwei Jahre. Und trotzdem schwingt die Hoffnung mit, mindestens einen gleichwertigen Arbeitsplatz zu finden. Gut bezahlt worden, so einer der gelernten Logistiker, seien sie ohnehin nicht. 1700 Euro brutto habe er monatlich bekommen – mindestens 200 Euro unter Tarif. Tariflohn und Betriebsrat habe es bei Wollschläger nicht gegeben, beide Begriffe seien tabu gewesen. „Nach außen war zwar immer von einem Familienunternehmen die Rede. Aber wirklich familiär ist es nicht zugegangen.“
Diejenigen, die gestern morgen zu Beginn ihrer Schicht von der Nachricht überrascht wurde, dass der dänische Investor Sanistaal nun doch nicht bei Wollschläger einsteigt, gehörten zu jenen 285 Mitarbeitern, die eigentlich übernommen werden sollten. 130 sollten in eine Transfergesellschaft wechseln. Sie alle hatten vor einer Woche einen braunen Umschlag erhalten – „ohne dass wir vorher wussten, was drin steht“, so einer die Männer, die draußen vor dem Tor stehen. „Die Wundertüte“, ergänzt er mit einem gequälten Lächeln. Was nun werden soll, weiß er noch nicht. Und überhaupt sei die Lage für Familienväter, Häuslerbauer oder Alleinstehende völlig unterschiedlich. „Ich sehe das jetzt als Chance für mich.“
Arbeitsuche ohne Tabu - Ein Kommentar von Andreas Rorowski
Nokia, Opel, Janel Kestermann, Wollschläger, Johnson Controls. Die Liste der Firmen, die Bochum verlassen oder vom Markt verschwinden, wird immer länger. Wo soll das hinführen? Wie soll in einer modernen Arbeitswelt, in der dank Automatisierung und/oder durch Arbeitsverdichtung immer weniger Personal benötigt wird, um die gleichen oder sogar noch mehr Aufgaben zu erledigen sind, die vielen verloren gegangenen Arbeitsplätze kompensiert werden?
„Wir können uns doch nicht alle die Haare schneiden“, sagen Kritiker jener Stimmen, die ganz auf die Dienstleistung als Zukunftsbranche setzen. Das stimmt. Aber wir können bei allen Anstrengungen, Wissen und Wirtschaft besser zu vernetzen, auch nicht darauf warten, bis das eine oder andere in Bochum gegründete Start-up-Unternehmen mehr als drei Mitarbeiter sucht. Benötigt wird Arbeit für Hunderte, für Tausende Menschen. Und dabei darf es keine Tabus geben.