Bochum. Fachärzte der Bochumer LWL-Klinik besuchen ihre Patienten nun auch daheim. Die ersten Ergebnisse des Modellversuchs werden positiv bewertet.
- Die LWL-Universitätsklinik in Bochum beteiligt sich an einem landesweiten Modellversuch
- Patienten werden nicht mehr nur stationär und ambulant, sondern auch zuhause betreut
- Sowohl die Ärzte als auch ein Erkrankter berichten von positiven Erfahrungen
„Ich bin clean – und will es bleiben“, sagt Stefan Diel (Name geändert). Seit dem vergangenen Jahr beteiligt sich der 42-Jährige an einem Modellversuch, wie es ihn landesweit nur zweimal gibt. Als Patient der LWL-Klinik erhält er Hausbesuche von seinem Psychiater. Die Ärzte sprechen von einem Erfolg. Nicht nur bei Stefan Diel.
Alkoholsucht, ADHS, Depressionen, Tiefschläge privat und in ungezählten Jobs: Das Leben hat es mit Stefan Diel bislang nicht gut gemeint. Dass er im WAZ-Gespräch gleichwohl Lebensfreude, ja Lebenslust ausstrahlt, macht er an der Therapie fest, der er sich vor einem Jahr in der LWL-Universitätsklinik stellte. Drei Wochen war der Bochumer (Berufsbezeichnung: „Studienabbrecher“) Mitte 2015 in stationärer, danach in ambulanter Behandlung. Für ihn ein Glücksfall, startete an der Alexandrinenstraße just zu dieser Zeit ein Modellversuch. Dessen wichtigstes Element: „Home Treatment“. Heißt: die Behandlung nicht mehr nur stationär und ambulant in der Klinik, sondern in den eigenen vier Wänden.
Partner sind zum Auftakt die Techniker Krankenkasse (TK) und die Barmer GEK. „Die bisherigen, mitunter allzu starren Grenzen bei der Therapie psychisch Kranker werden durchlässiger und offener. Wir heben sie quasi auf“, erklärt Klinikdirektor Prof. Georg Juckel.
Manche Patienten sagen auch nein
Stefan Diel hatte Bedenken, als sich sein Psychiater zum Besuch ankündigte. „Zu dieser Zeit war Daueralarm. In meiner Bude sah’s aus wie bei Hempels unterm Sofa.“ Schnell jedoch seien ihm die Vorteile der rund einstündigen Küchentisch-Gespräche deutlich geworden, die auch LWL-Oberarzt Christian Koßmann (47) erkennt: „Wir erleben den Patienten in seinem unmittelbaren sozialen Umfeld, mit seinen Angehörigen. So erkennen wir eine Krise bestenfalls frühzeitiger als in der Klinik, können reagieren und die weitere Behandlung darauf abstimmen.“
Klinik sieht auch wirtschaftliche Vorteile
Für Prof. Juckel sind die Hausbesuche auch ein wichtiger wirtschaftlicher Faktor, um die Behandlungskosten zu senken.
Zwar verursache die Betreuung zunächst einen hohen finanziellen und logistischen Aufwand.
Mittelfristig könnten die Hausbesuche aber dazu beitragen, Krisen bei psychisch Erkrankten frühzeitiger zu erkennen und die Folgekosten zu reduzieren. Auch deshalb zeigt sich Juckel optimistisch, dass sich weitere Kassen am Modellversuch beteiligen.
Über 20 Hausbesuche haben die LWL-Ärzte inzwischen absolviert. Nicht viel bei jährlich 2500 Patienten und 16 000 ambulanten Behandlungen. Doch für Juckel ausreichend, um den Versuch als positiv zu bewerten – wenngleich nicht alle Erkrankten die neue Behandlungsform mögen. Dr. Koßmann: „Es gibt Patienten, die ablehnen, dass wir sie daheim aufsuchen. Das ist für sie eine Grenzverletzung. Natürlich akzeptieren wir das.“
Stefan Diel hat inzwischen aufgeräumt. Sein Wohnzimmer ebenso wie seine Seele. Nach drei Hausbesuchen zeigt er sich gefestigt. Kürzlich ist sein Vater gestorben. Früher wäre er im Wodka und Selbstmitleid ertrunken. „Ich hab’ dennoch keinen Tropfen angerührt. Darauf bin ich stolz.“