Bochum. Die Versorgung von Trauma-Patienten ist schwierig: Die Wartezeiten auf einen Therapieplatz dauern bis zu sechs Monate, hieß es beim WAZ-Medizinforum.
Der Zustrom der Flüchtlinge stellt auch die Psychiatrie vor gewaltige Herausforderungen. „Viele der Menschen aus Kriegsgebieten, die zu uns kommen, sind schwer traumatisiert. Darauf sind wir derzeit überhaupt nicht eingestellt“, sagte Prof. Dr. Stefan Herpertz, Direktor der LWL-Klinik, am Dienstagabend beim WAZ-Medizinforum.
„Trauma und Psyche – Wie die Wunden der Seele lange schmerzen können“, hieß es vor 130 Lesern im St. Josef-Hörsaalzentrum. Sexueller Missbrauch als Kind und Jugendlicher, Vergewaltigung, schwere Un- oder Überfälle, ein verheerender Brand, Naturkatastrophen bis zu im Weltkrieg durchbangten Bombennächten: Vor allem bei Gewaltopfern wollen die seelischen Narben auch nach Jahren und Jahrzehnten nur schwer, mitunter gar nicht verheilen.
Elf Betten reichen nicht
Fünf bis sechs Prozent aller Männer und zehn bis zwölf Prozent aller Frauen in Deutschland widerfährt mindestens einmal im Leben ein derart lebensbedrohliches Ereignis, dass sie unter einer Posttraumatischen Belastungsstörung leiden. Bis zur stationären Psychotherapie dauerte es lange. Sehr lange. Vier bis sechs Monate betragen die Wartezeiten in der LWL-Klinik an der Alexandrinenstraße. Elf Betten sind dort verfügbar. Gruppentherapien überbrücken das Warten auf einen Behandlungsplatz.
Trauma-Ambulanz hilft bei Notfällen
Für Notfälle nach Gewalttaten oder Unfällen steht die Trauma-Ambulanz der LWL-Klinik an der Alexandrinenstraße montags bis freitags von 8 bis 16.30 Uhr bereit (Tel. 0234/507 78 72 862). Leiter ist Dr. Henrik Kessler. Außerhalb der Sprechzeiten bietet die Fachklinik Rat undHilfe unter 0234/507 70 an. Infos: www.lwl-uk-bochum.de
Die Erfolgsaussichten sind gut. Die Mehrzahl der Patienten schaffe es dank der Therapie, das Trauma zu überwinden und ihre verwundete Seele zu heilen, berichtet LWL-Oberarzt Dr. Henrik Kessler. Wichtig dabei: das Unfass- und Unsagbare „im Dort und Damals zu verorten“. Heißt: es als Vergangenheit zu betrachten und die so lange offenstehende Trauma-Schublade zu schließen. Kessler: „Man muss erkennen: Es war schlimm. Es tut noch immer weh. Aber es ist vorbei. Ich lebe im Hier und Jetzt!“
Fachärzte: Nicht jeder gebrochene Fuß ist ein Trauma
Von der „Modediagnose PTBS“ spricht Prof. Dr. Martin Tegenthoff, wenn er den „inflationären Gebrauch des Begriffs Trauma“ beklagt. Beim WAZ-Medizinforum machte der Direktor der Neurologie am Bergmannsheil an vier Fallbeispielen aus seiner Spezialambulanz deutlich, was eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) aus ärztlicher Sicht bedeutet.
Ein Lkw-Fahrer (62) stürzt eine sechs Meter tiefe Brücke herab. Eine halbe Stunde ist er unter dem Anhänger begraben und erleidet mehrere Knochenbrüche. Schlafstörungen, Schreckhaftigkeit, Panik in engen Räumen und Angst vor einer Rückkehr ans Steuer zählen zu den seelischen Folgen: ein klassisches Trauma, so Tegenthoff.
Anders als bei einer 48-Jährigen, die daheim die Treppe hinabfällt und sich seither „hilflos und alleingelassen fühlt“. Ihr Psychiater beantragt 30 Sitzungen. Tegenthoff lehnt als Gutachter ab. Die Wahrnehmung eines vermeintlich traumatischen Ereignisses sei individuell sehr unterschiedlich. Aber: Man dürfe „nicht jeden gebrochenen Fuß zum Trauma werden lassen“.
Zweifel meldet der Professor als Sachverständiger auch bei einem Altenpfleger an. Der 41-Jährige hatte Dienst, als eine Seniorin (90) im Heim von einem dementen Bewohner mit einer Sprudelflasche erschlagen wurde. Drei Jahre später führt er seine Depressionen auf die Bluttat zurück. Dem mag sich Tegenthoff nicht anschließen – anders als bei einem Gleisarbeiter, der von einem ICE erfasst wurde und knapp überlebte. Der Familienvater bewegt sich seither möglichst mit dem Rücken zur Wand. Er beteuert, dass der Zug mit ihm spricht: „Ich krieg dich noch!“
Ein Trauma, betonen die Fachärzte, setze eine als lebensbedrohlich empfundene Situation voraus, die man selbst durchlitten oder unmittelbar beobachtet hat. Nicht zu verwechseln etwa mit einer Angststörung. Ein Unterschied, der auch bei der Kostenübernahme der Krankenkassen ins Gewicht falle.