Bochum. Zum Spielzeitart inszeniert Jan Klata am Schauspielhaus „Verbrechen und Strafe“ als überschießendes, dreistündiges Spektakel mit großartigen Schauspielern.

  • Zum Spielzeitstart in Bochum gibt’s „Verbrechen und Strafe“ nach Dostojewski.
  • Die dreistündige Inszenierung von Jan Klata strotzt vor schrillen Regieeinfällen.
  • Jan Schulz spielt den Mörder Raskolnikow, das ganze Ensemble trumpft spielfreudig auf.

Zum Saisonstart 2016/17 hat sich das Schauspielhaus einen so düsteren wie packenden Stoff ausgesucht: Fjodor M. Dostojewskis „Verbrechen und Strafe“ (früher „Schuld und Sühne“). Das Psycho-Drama um den Mörder Raskolnikow bringt Jan Klata, Regisseur und Theaterleiter aus Krakau, auf die Bühne.

Ausgepeitschte Bücher

Klata zeigte sich, wie schon in früheren Produktionen, als Meister der Eröffnung, man denke an den legendären Captain-America-Auftakt in „Amerika“ oder die Bücherlawine in „Hamlet“. Auch „Verbrechen und Strafe“ rast mit einer Wucht los, die den Zuschauer fast k.o. schlägt: Das neunköpfige Ensemble spricht, schreit, rezitiert Dostojewskis „Traum vom Pferdchen und der Peitsche“ eine geschlagene Viertelstunde lang, unisono, alle durcheinander; die Sprache als Streubombe. Als endlich Stille einkehrt, peitschen die Sprecher ihre Bücher: ein Exorzismus der Worte, der später immer wieder Thema sein wird. Diese verzweifelte Dichte der Form wird die Aufführung nicht wieder erreichen, obwohl in den folgenden drei Stunden mehr als genug los ist. Jan Klatas überschießende Fantasie macht aus der Romanvorlage einen Dostojewski unter Starkstrom.

Die Rechnung des Mörders geht nicht auf

Es geht um die Frage, unter welchen Bedingungen ein Mensch einen anderen töten darf. Um sich zu beweisen, dass keine Moral ihn in die Knie zwingen kann, erschlägt Rodion Raskolnikow eine Pfandleiherin. Es soll der perfekte Mord werden, und er will ungestraft und frei von Gewissensbissen weiterleben. Doch die Rechnung geht nicht auf.

Klata setzt den Plot als Fiebertraum des Studenten in Szene. Die Mordgeschichte wird von rückwärts aus dem Vakuum eines zerstörten Lebens heraus erzählt. Die Studentenbude (Bühne: Justyna Łagowska) ist ein offener Holzkäfig mit stacheligen Ecken, darin das Bett und reichlich Krempel und Klamotten: ein Alptraum-Zimmer, und so sieht es wohl auch im Innern des Mörders aus. Jana Schulz ist Raskolnikow. Die 39-Jährige presst aus der Rolle einen Mehrwert, dem Wahnsinn & Genie jederzeit das Wasser reichen.

Bildmächtige Video- und Lichteffekte

Aber Schulz ist auch Teil eines ungemein nuanciert, lustvoll und durchaus komisch auftrumpfenden Ensembles: gefährliche Clowns, ein Kinder-Harlekin-Chor, Tanzeinlagen, Theaterblut und Nackigmachen: alles drin. Bei den offensiven Video- und Lichteffekten (Video: Adrian Ganea) fühlt man sich an Theaterzeiten vor 10, 15 Jahren erinnert, als so etwas überall Standard war. Und doch ist gerade diese bildmächtige Ästhetik extrem atmosphärisch und einnehmend.

Die Inszenierung wirkt wie eine Wundertüte

So wird wundertütenmäßig die Paranoia des Mörders illustriert, die – wenn auch ohne Gott – als Läuterung endet und zur geistigen Selbst-Befreiung führt. In einer der stärksten Momente des Abends offenbart Raskolnikow seiner Freundin Sonja sein Mordgeständnis. Und es ist irgendwie bezeichnend, dass ausgerechnet diese stille Szene, gespielt von den beiden wunderbaren Schauspielerinnen Jana Schulz und Sarah Grunert, einen mehr packt als alles krachende Regie-Gesummse zuvor.

Termine: 25.9., 13., 20., 29. 10., Karten 0234/3333-5555