Bochum. . Bochum hat keine „Brennpunkte“. Macht man sich auf die Suche nach den Gründen, trifft man auf einen Stadtteil, der den Wandel aktiv gestaltet hat.

Brigitte Küch erinnert sich noch an die erste Bürgerversammlung im Krisengebiet, zehn Jahre muss das her sein: „Da haben die Leute uns erst mal die Missstände aus 20 Jahren vor die Füße geworfen. Müll, schlechte Straßen, keine Geschäfte, Vandalismus. Und es würde ja doch nichts getan.“ Ihrem Team vom „Stadtumbau West“ war klar: Sie mussten schnell zeigen, sie tun was; und sie begannen im Kleinen: mit Rutsche und Sandkasten. Ein Spielplatz steht am Anfang des Wunders von Stahlhausen.

„Die etwas kleinere Stadt mit der etwas größeren Uni?“

Wer in Bochum an ein schwieriges Viertel denkt, denkt an Stahlhausen. Eingeklemmt zwischen Stahlwerken, daher der Name. „Viele Arbeitslose, viele Kinder, viele Ausländer, viel Bedarf an erzieherischer Hilfe“, sagt Friederike Müller, Geschäftsführerin des Vereins „Ifak“ für Kinder- und Jugendhilfe. Doch zehn Jahre nach jener Bürgerversammlung hat sich durch massiven Stadtumbau, wuchtige Sozialarbeit und Einbindung der Bewohner vieles gewendet: Vandalismus minus 90 Prozent, Leerstand praktisch verschwunden, und plötzlich leuchten viele Fassaden farbig, wo vorher alles in schmutzigem Dunkelgrau versank.

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Wenn also nicht Stahlhausen, wo dann? Schwierig, denn die Antwort ist: Bochum hat keine gescheiterten Stadtteile, anders als Duisburg oder Dortmund. „Aus unserer Sicht gibt es keine Brennpunkte“, sagt sogar der Leitende Polizeidirektor, Martin Jansen. „Wir haben eine relativ gleichgewichtige Situation“, sagt der Planungsamtsleiter, Eckart Kröck. „Woanders ist auch Scheiße“, sagt der Satiriker, Frank Goosen. „Keine Angst, die wollen dich nur anmachen“, sagt im Krisengebiet ein türkischer Junge einer jungen deutschen Frau, die gerade heftig angehupt wurde.

Der Umbruch begann früher

Bevor wir uns falsch verstehen: In Bochum liegt ganz viel im Argen, aber mit Rockerkriegen, Herrschaftsansprüchen ausländischer Clans oder No-go-areas kann es nicht dienen. Warum?

„Eine völlig 100-prozentige Antwort habe ich auch nicht“, sagt der Stadtforscher Jörg Bogumil in sympathischer Unsicherheit: „Vielleicht: die etwas kleinere Stadt mit der etwas größeren Uni?“ Man muss wohl auf der Suche nach der Antwort bis 1955 zurückkehren. Als der Umbruch früher und härter begann als andernorts: Fünf große Zechen schlossen nacheinander, und Journalisten mit ihrem berufsbedingten Hang zum Drama titelten: „Bochum – sterbende Stadt.“

Immer auf Durchmischung von Strukturen gesetzt

Dann kam Opel wegen der Arbeitskräfte, der Ruhrpark wegen der Millionen Ruhrpottler. Und der Jackpot überhaupt: die Ruhr-Uni. Drei Schwergewichte! Das ging nur, bevor die Verhältnisse in der jungen Bundesrepublik sich setzten. Die Gnade der frühen Krise. Die Folge lässt sich bis heute an den Sozialdaten ablesen, verglichen mit anderen großen Städten im Ruhrgebiet: Die Arbeitslosenquote ist seit Jahrzehnten ein Viertel bis ein Drittel niedriger. Weniger Anteil an Kinderarmut. An Jugendarmut. An Hartz-4-Empfang . . . Wenn die Leute arbeiten können, kippt ein Viertel schlecht.

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Planungsamtsleiter Kröck würde an dieser Stelle einfügen, man habe auch immer auf Mischung gesetzt: „In der Großsiedlung Hustadt gibt es auch Bungalows, in Stiepel auch öffentlich geförderten Wohnraum.“

Experiment Q1

Es wird Abend über Stahlhausen, wo Pfarrer Holger Nollmann, die Initiativen und das Stadtumbau-Büro die Friedenskirche in ein Experiment verwandelt haben namens „Q1“. Eine Kapelle gibt es weiter, aber auch neue gläserne Räume nach allen Seiten. Darin: Deutschkurse, „Spirituelles Singen“, Deradikalisierungsberatung; Migrationsarbeit sitzt neben evangelischer Frauenhilfe neben alevitischer Jugendgruppe neben Hausaufgabenhilfe. Der neue Kindergarten nebenan hat jetzt schon zu, der Teenie-Treff aber hat auf und der Kampfsportverein später.

Menschliche Nähe durch räumliche Nähe

„Die meisten Initiativen gab es früher auch, die sprachen nur nicht miteinander“, sagt Nollmann. Jetzt müssen sie alle ins Q1. Menschliche Nähe herstellen durch räumliche, könnte man sagen. Und alle Beteiligten betonen, wie viel Glück sie auch hatten. Auch das Glück, sagt Nollmann, dass es im Ort „keine dominante Gruppe gibt, die bestimmen möchte, wo’s langgeht“.

Das Programm endet 2019. Andere Bochumer Viertel stehen an, die wollen das dann auch.