Bochum. Mit einer rockigen Deutung von Wolfgang Herrndorfs „Bilder Deiner großen Liebe“ gelingt Frank Weiß am Prinz-Regent-Theater ein starker Abend.
Seit Romy Schmidt und ihre Team im Sommer 2015 losgelegt haben, fegt ein kleiner Frischluft-Tornado durch das Prinz-Regent-Theater. Er rappelt nicht nur an alten Strukturen und Abläufen, sondern wirbelt eine starke Inszenierung nach der anderen hoch, „Peer Gynt“, „Die Verwandlung“, „Helden“. Am Donnerstag folgte mit „Bilder Deiner großen Liebe“ der nächste Streich. Was für ein Abend! Jetzt rockt das PRT auch noch.
Auf Tempo getrimmt
Nicht wenigen Premierengästen blieb, wie man so schön sagt, „die Spucke weg“. Wegen der anhaltenden Demontage alter Ästhetik- und Bühnenkonzepte am PRT. Vor allem aber wegen Frank Weiß’ sauber gesetzter Inszenierung und diesen drei Schauspielerinnen: Miriam Becker, Linda Bockholt und Johanna Wieking machen als taffe Gören, kesse Mädels, versierte Musikerinnen und auf Tempo getrimmte, dabei punktgenaue Darstellerinnen alle verrückt.
„Bilder Deiner großen Liebe“ basiert auf einem Romanfragment des 2013 verstorbenen Wolfgang Herrndorf, dessen „Tschick“ ebenfalls im PRT-Spielplan steht. Beide Herrndorf-Werke bieten die 14-jährige Isa auf, eine eigenartige, aber auch eigenartig faszinierende Mädchen-Figur. „Bilder“ erzählt von Isas romantischer Wanderschaft durch Tage und Nächte, durch Wälder, Felder, Dörfer und an der Autobahn entlang – nachdem sie aus der Jugendpsychiatrie ausgebüxt ist: „Die Sterne wandern, und ich wandre auch.“
Anrührender Selbstfindungstrip
Isa begegnet einem Binnenschiffer, der vielleicht ein Bankräuber ist, und einem Fernfahrer auf Abwegen. Und auf einer Müllhalde zwei ebenfalls 14-Jährigen, Tschick und Maik. Sie lernt das Leben kennen und sich selbst. Ihre Ängste und ihre Sehnsüchte. Ihr Bedürfnis nach Liebe und die totale Depression. Es ist ein juveniler Selbstfindungstrip, der jeden anrühren muss, der selbst mal jung war.
Auf der Rock-Bühne
„Anstalt“ ist ein Schlüsselwort für Frank Weiß’ Roman-Adaption. Ihn fasziniert die innere Reise Isas, weswegen er die Figur aufgesplittet in drei Frauen daherkommt lässt. Jede steht für einen Teil von Isas Persönlichkeit. Denken, fühlen, handeln: je nach Bewusstseinslage steht jeweils Berger, Bockholt oder Wieking im Fokus. Oder auch alle drei zusammen, je nachdem.
Explodierende Lebenslust
Wie das genau abläuft, das muss man gesehen haben! Durch die Verdreifachung blicken die Zuschauer sozusagen unverstellt in die Seele einer Jugendlichen, die alle Erfahrungen zum ersten Mal macht. Die sich treiben lässt, durch Landschaften, durch Befindlichkeiten. Die Züge rauschen vorbei, die Kähne ziehen auf dem Kanal wie die Wolken am Himmel. Es gibt zutiefst melancholische Momente („Was macht es für einen Unterschied, ob man vor 70 Jahren oder vor 70 Sekunden gestorben ist?“), und es gibt solche voller explodierender Lebenlust; wenn es nämlich kracht auf der Bühne.
Nächste Vorstellung am 27. Februar
Die nächsten Vorstellungen von Wolfgang Herrndorfs „Bilder Deiner großen Liebe“ (Bühnenfassung von Robert Koall) gibt’s am Samstag (27.2.) und wieder am
12., 13., 18., 19. März, jeweils um 19.30 Uhr, im Prinz-Regent-Theater, Prinz-Regent-Str. 50-60.
Kartenreservierung unter 0234/77 11 17 oder im Internet: www.prinzregenttheater.de
Denn diese Theaterbühne (Sandra Schuck) ist eine Rock-Bühne mit E-Bass, Schlagzeug, Keyboards, wobei das Mädels-Trio selbst zu den Instrumenten greift. Vielstimmig wie die Stimmen in Isas Welt ist der Soundtrack dieser Aufführung. Es ist der Rhythmus selbst, der den Abend vorantreibt. Und Weiß findet viele Ausdrucksmittel dafür, vom Händeklatschen übers Klopfen bis zum Stakkato-Drill-Sprech à la „Full Metal Jacket“.
Der erstes Song des Abends ist übrigens „Teenage Kicks“ von den Untertones, wahrscheinlich der beste Song über die Zeit jugendlichen Erwachens überhaupt. So wie Frank Weiß’ „Bilder Deiner großen Liebe“ das Zeug dazu hat, eine der besten Theatergeschichten zu diesem Thema zu werden.