Bochum. . Alexander Riemenschneider gelingt in den Kammerspielen eine verstörende Inszenierung von Florian Zellers „Vater“. Bernd Rademacher ist herausragend.
„Vater“ von Florian Zeller hatte am Samstag in den Kammerspielen Premiere, ein Schauspiel mit schwerem Thema. Es handelt von Demenz und zeigt, wie ein Mensch sich selbst abhanden kommt und der Welt um ihn herum dazu. Ein beklemmender Theaterabend mit einem unglaublichen Hauptdarsteller Bernd Rademacher.
Demenz, Alzheimer: die Krankheit ist weit verbreitet, das Thema allgegenwärtig. Es wundert also nicht, dass das französische Stück, 2012 uraufgeführt, seither auf zahllosen europäischen Bühnen zu sehen ist. Eigentlich erzählt „Vater“ eine vorhersehbare Geschichte: André, der Vater (Rademacher), spürt Anzeichen seines nachlassenden Gedächtnisses, er findet die Armbanduhr nicht, hält seinen Schwiegersohn für einen Fremden. Vorhersagbar geht es weiter, die Krankheit greift um sich, die Familie gerät in Bedrängnis, schließlich hockt der Kranke („Ich habe das Gefühl, dass ich alle meine Blätter verloren habe“) lethargisch im Heim, gefüttert mit Tabletten und der Fürsorge der Pflegerin.
Demenz aus Sicht des Erkrankten
Der Trick aber ist, dass der Niedergang aus Andrés Sicht erzählt wird. Das Publikum sieht keine lineare Geschichte, die vorführt, wie ein Mensch geistig abbaut. Vielmehr wird gezeigt, wie der Mensch selbst es erlebt, wenn die Demenz fortschreitet. Der junge Regisseur Alexander Riemenschneider führt das u.a. durch einen „Bewegungschor“ herbei. Schwarz Gekleidete verändern laufend die Kulisse (Bühne: David Hohmann), eben stand die Lampe doch noch hier? Wo ist denn jetzt das Weinglas, das gerade noch auf dem Esstisch...? Und die Sessel? Die standen doch eben noch...?! Die Wirklichkeit des Bühnen-Spiels kommt so zersplittert ‘rüber wie die Wirklichkeitswahrnehmung des kranken Vaters. Er kann seine Tochter (Xenia Snagowski) nicht mehr von der Pflegerin (Sarah Grunert) unterscheiden, und wer ist eigentlich diese dritte Frau (Kristina Peters), die ständig auftaucht? Es sind Figuren, die es (vielleicht) nur im Kopf des Kranken gibt. Verstörend ist, dass der Zuschauer schließlich selbst nicht mehr verbindlich sagen kann, was stimmt und was nicht. Dass auch er der Erinnerung an das eben Gesehene nicht mehr trauen kann.
Noch in der kleinsten Geste perfekt
Das Ensemble – neben den drei Schauspielerinnen Roland Riebeling und Nils Kreutinger – agiert souverän in dieser handwerklich stimmigen Inszenierung. Vor allem Xenia Snagowski gelingen Momente wunder Zerrissenheit, in der Hilflosigkeit der Tochter über die Erkrankung, in der Trauer über das Verlöschen ihres Vaters. Bernd Rademacher aber spielt alle an die Wand. Sein André ist erst ein tütteliger Herr, über den man lächeln mag, wie über eine Gestalt des Absurden Theaters. Aber immer stärker rutscht dieser „Vater“ in eine existenzielle Hilflosigkeit hinein, die schrecklich ist, mit anzusehen. Rademacher spielt das in noch der kleinste Gesten aus, er ist so perfekt, dass man schließlich meint, der Mann erleide im Laufe der knapp zwei Stunden Spielzeit tatsächlich einen Persönlichkeitsverfall. Unglaublich! – Man verlässt das Theater nach dieser Vorstellung verändert. Hier geht’s ans Eingemachte.