Bochum. „Der Goldene Schlüssel“ und das Flötenquartett Orlandi entführten an zwei Abenden im „Zauberkasten“ in ferne Märchenwelten.

Wer in unseren hektischen Zeiten das stille Sitzen und Zuhören noch nicht verlernt hat, kam am Wochenende im Zauberkasten auf seine Kosten. Zweimal gastierte der Märchenerzählkreis „Der goldene Schlüssel“ in Gerthe – über 100 Erwachsene ließen sich am Samstag und Sonntag verzaubern und erheitern von den erzählerischen Ausflügen in Zeiten, in denen das Wünschen noch geholfen hat.

„Zur Winterszeit, als einmal ein tiefer Schnee lag, musste ein armer Junge hinausgehen und Holz auf einem Schlitten holen...“ So beginnt das Grimm-Märchen „Der goldene Schlüssel“, nach dem sich Rotraut Willms, Liselotte Recknagel, Edda Schöfer und Irene Stöber benannt haben. Die ausgebildeten Märchenerzählerinnen sind Meisterinnen ihres Fachs, durch Sprache, Gestik und Mimik wird aus ihrem Erzählen ein unmittelbares Erleben, aus ihrem Rezitieren eine ganz persönliche Reise.

Wie die Bohne zu ihrer Naht kam

„Vom Unterwegssein“ hieß das Programms, entsprechend hatten die „Schlüssel“-Damen Märchen ausgesucht, in denen es sich ums Weggehen und Ankommen, ums Suchen und Finden dreht. Bekanntestes Beispiel: die Bremer Stadtmusikanten. Mucksmäuschenstill war es im voll besetzen Saal, als die altbekannte Geschichte („Komm’ mit nach Bremen. Etwas Besseres als den Tod findest Du überall...“) erzählt wurde. Jeder hat die „Stadtmusikanten“ wohl als Kind gelesen oder gehört. Hier erwachten Esel, Hund, Katze und Hahn – und die genarrten Räuber – so plastisch zum Leben, als liefe ein Film ab. Tatsächlich geschieht das ja auch: nur spielt der „Film“ nicht auf der Leinwand, sondern vor dem inneren Auge des Zuhörers, also in seiner Fantasie.

Von der Jungfrau Maleen

Neben großen Märchen wie dem genannten oder jenem vom der Jungfrau Maleen („kling, klang kloria,/wer sitt in dissen Toria?/Dar sitt en Königsdochter in,/Die kann ik nich to seen krygn...“) gab es auch kurze, erheiternde Episode, etwa die vom Kohlebrocken, dem Strohhalm und der Bohne. Die drei gehen auf Wanderschaft, aber nur die Bohne überlebt die unstete Fahrt. Wenn auch lädiert und aufgeplatzt. Aber ein Schneider kam zum Glück, der nähte sie wieder zusammen. Und seitdem trägt jede Bohne eine feine, schwarze Naht...

Interessant und abwechslungsreich

Doch zeigte sich das sprach- und literaturkundige Quartett nicht nur in deutschsprachigen Gefilde, sondern auch in entlegene Märchenwelten wie der orientalischen kundig. Willms, Recknagel, Schöfer und Stöber sind ganz verschiedene Temperamente, entsprechend hat jede ihre eigene Art und ihr eigenes Tempo des Erzählens, was es aber fürs Publikum gerade interessant und abwechslungsreich macht. Trifft übrigens auch für die Untermalung zu: Das Flötenquartetts Orlandi sorgten mit sorgfältig gesetzten Weisen – vom „Ochsen“-Menuett bis zu „Fernen Trommel/Am Lagerfeuer“ – für jenen heimeligen Zauber, der die märchenhaften Texte nicht einfach begleitete, sondern auf musikalische Weise weiter sponn.

So wurde es ein gemütvoller Abend „wie früher“, beim abendlichen Erzählen und Vorlesen im Familienkreis. Und auch, wenn das Wünschen in unseren hektischen Zeiten nicht mehr wirklich helfen mag: Diese Märchenstunden ließen keine Wünsche offen.