Bochum. Gangstörungen sind meist auf Schädigungen der Lenden- oder Halswirbelsäule zurückzuführen. WAZ-Nachtforum macht Hoffnung auf nachhaltige Besserung.
„Es ist wie ein Wunder!“ Irene Röhr strahlt vor Glück, als sie im Patientengespräch mit Prof. Dr. Kirsten Schmieder über das Ende ihrer Leidenszeit erzählt. Seit ihrer Operation an der Wirbelsäule vor zwei Monaten ist die 84-Jährige schmerzfrei, kann wieder laufen, schlafen, ihren Haushalt schmeißen. Eine Befreiung, die auch manch anderer der 200 Leser beim WAZ-Nachtforum herbeisehnt.
„Wenn es nicht mehr weiter geht“, hieß es am Donnerstagabend in der erneut voll besetzen Cafeteria des Knappschaftskrankenhauses Langendreer. Fachärzte der Neurochirurgischen Klinik informierten über Ursachen und Behandlung von Gangstörungen.
„Neues Leben“ nach dem Eingriff
Die machen vor allem älteren Menschen das Leben schwer. So wie Irene Röhr, die an einer Spinalkanalstenose litt: einem altersbedingt verengten Wirbelkanal, der die Nerven einklemmt, jeden Schritt zur Qual werden lässt. „Hätte ich mich doch schon früher operieren lassen! Seit der OP von Professor Schmieder habe ich ein neues Leben“, sagte die Langendreerin.
Irene Röhr liegt im Schnitt: Bei 80 Prozent der Patienten mit geschädigter Lendenwirbelsäule stelle sich nach einem Eingriff eine Schmerzerleichterung ein, schilderte Dr. Martin Barth, Leitender Oberarzt der Neurochirurgie. Neben der Spinalkanalstenose kann auch ein Bandscheibenvorfall nicht nur zu Schmerzen, sondern zusätzlich zu Taubheitsgefühlen führen. In beiden Fällen helfen Medikamente oder therapeutische Übungen nur bedingt weiter, so Dr. Barth. Um den Kern des Übels zu entfernen, sei eine OP unumgänglich. „Mit einem kleinen rückwärtigen Schnitt werden die Verengung oder der Bandscheibenvorfall beseitigt. Dadurch kann sich die Gangstörung normalisieren.“
Wirbel verursacht Bein-Schmerzen
Pein im Bein: Dafür kann neben der Lenden- auch die Halswirbelsäule verantwortlich sein. Durch Verschleiß wird auch hier der Wirbelkanal verengt. Dadurch wird Druck auf das Rückenmark ausgeübt; die Verbindungsstraße zwischen Hirn und Extremitäten ist blockiert. Folge: ein breiter, langsamer, gerade im Dunkeln unsicherer Gang. Zudem kann der Tastsinn der Hände verkümmern.
Bei der Operation (per Hautschnitt am Hals) ist chirurgische Feinarbeit gefragt. Die überstehenden Kanten der Wirbelkörper werden weggefräst, das Rückenmark wird so entlastet. Die Prognosen fallen je nach Vorerkrankung weniger günstig aus als bei Eingriffen an der Lendenwirbelsäule: „Bei einem Drittel tritt eine Besserung ein, bei einem Drittel bleibt alles gleich, bei einem weiteren Drittel verschlechtert sich das Krankheitsbild mit der Zeit“, erklärt Oberarzt Dr. Christopher Brenke.
Die Klinik nimmt Untersuchungen per Überweisung vom Hausarzt vor. Auch im hohen Alter lohne eine OP, versichern die Fachärzte. Irene Röhr ist das beste Beispiel.
Auch „Wasserkopf“ kann das Laufen erschweren
Kleine und wackelige Schritte, schlurfender Gang: Wer nicht gut zu Fuß ist, kann neben Schädigungen der Lenden- oder Halswirbelsäule (Bericht oben) auch an einer Erkrankung im Gehirn leiden. Als Hydrozephalus bezeichnen die Mediziner die krankhafte Erweiterung der Wasserkammern. Der Volksmund hat dafür einen prägnanten Namen: „Wasserkopf“.
Das Leiden sei zwar relativ selten, sollte beim behandelnden Arzt aber unbedingt mit auf dem Radar sein, wenn Patienten über Gangstörungen klagen, sagte Dr. Robert Sarge, Oberarzt der Neurochirurgischen Klinik, am Donnerstagabend beim WAZ-Nachtforum in Langendreer. Kommen neben dem Wackel-Gang eine Inkontinenz und geistige Ausfallerscheinungen bis hin zur Demenz hinzu, deute vieles auf die Diagnose Wasserkopf hin, so Dr. Robert Sarge.
Diagnose in der „Röhre“
Die Entwicklung eines Hydrozephalus kann bei Erwachsenen in jedem Alter beginnen. Der Gipfel liegt jedoch im siebten Lebensjahrzehnt. Eine Untersuchung in der „Röhre“ gebe zuverlässig Aufschluss über einen Wasser-Überschuss im Oberstübchen. Eine Operation sei meist unabdingbar, um eine dauerhafte Ableitung des Nervenwassers zu gewährleisten. Dafür wird ein wenige Millimeter dünnes Röhrchen („Shunt“) vom Gehirn in den Bauchraum geführt, wo das Wasser auf natürlichem Wege ausgeschieden wird. Ein Katheder reguliert die Menge des Zuflusses. Wie der gesteuert werden könne, fragte ein Besucher. „Von außen mit einem Magneten“, so Dr. Sarge.
Wirbelschäden, Wasserkopf: Gangstörungen, erfuhren die WAZ-Leser beim Nachtforum, haben mannigfaltige Ursachen. Eine Vorbeugung gibt es nur bedingt. Viel Sport und Bewegung, gesunde Ernährung: viel mehr gehe nicht, konstatierten die Oberärzte. Gegen Alter und Verschleiß ist leider kein Kraut gewachsen.