Bochum. Auf ihrer Sommertour machte die Bundesdrogenbeauftrage Halt in Bochum. Immer weniger Menschen schaffen es, in der Freizeit das Handy auszulassen.

Drei bis fünf neue Patienten pro Woche stellen sich in der Medienambulanz der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie des LWL-Universitätsklinkiums vor. Gaming-süchtig, Cyber-Sex-abhängig. „Der Bedarf ist da“, sagt Oberarzt Dr. Bert te Wildt, Leiter der Ambulanz. Rund 800.000 Menschen in Deutschland gelten als internetabhängig. Die wachsende Bedrohung durch die exzessive Netzabhängigkeit nahm Marlene Mortler (CSU), Drogenbeauftragte der Bundesregierung, auf ihrer Sommertour zum Anlass, einen Halt in Bochum einzulegen. Zusammen mit Experten diskutierte sie in dieser Woche über den derzeitigen Stand und versprach finanzielle Mittel.

Am Vortag gastierte Mortler in Sachsen und beschäftigte sich mit Crystal Meth. Die Droge wurde lange totgeschwiegen. „Ich möchte einen anderen Weg gehen“, versicherte Mortler und warnt: „Internetabhängigkeit ist ein wirkliches Problem.“ Vor allem eine Tendenz erschrecke sie: „Immer mehr junge Frauen sind internetsüchtig. Bei der Gamescom waren über 50 Prozent der Besucher weiblich.“

Belastung durch private Nutzung

Verglichen mit Drogen wie Heroin, wo man das Suchtmittel leicht identifizieren kann, befindet sich die Medien-Forschung noch in der Findungsphase. „Wir führen im Moment eine große Debatte darüber, mit was wir es eigentlich zu tun haben“, sagt der Ulmer Universitätsprofessor Christian Montag. Fest stehe jedoch, dass eher die private Internetnutzung die Menschen belastet. Ihnen gelingt es nicht, sich zu erholen, Freiräume zu schaffen. Die Folge: chronische Überbelastung, Depressionen. Es setzte sich der Glaube durch, der Druck würde durch Arbeitgeber verursacht. Aber Prof. Alexander Markowetz (Bonn) hat einen anderen Eindruck. „Ich glaube nicht, dass das von den Unternehmen gewollt ist. Sie brauchen Mitarbeiter, die fit sind. Sie sehen, dass sie ein Riesenproblem haben. Die Unternehmen sind zurzeit hilflos.“ Er erhalte Unmengen von E-Mails von Eltern, aber auch von Firmen. Markowetz entwarf mit Montag eine Kontroll-App, die den Konsum restringieren soll. Auf lange Zeit, glaubt er, wird sich eine Gegenbewegung einstellen. Es werde schick sein, auf das Handy zu verzichten. Markowetz spaßt: „Um Frauen aufzureißen, werde ich demnächst mit Anna Karenina in Leder eingebunden in der U-Bahn sitzen.“ Dieser Vorstellung kann sich te Wildt anschließen: „Der neue Luxus wird ein analoges Leben sein.“

In die Verantwortung zieht Klinik-Direktor Prof. Dr. Stephan Herpertz auch die Erziehungsinstitutionen: „Im Moment ist es noch sexy, dauernd auf sein Handy zu gucken. Aber wir müssen dahin kommen, dass dieses Verhalten despektierlich ist.“ Lehrer und Eltern könnten diese Werte vermitteln.