Bochum. . Anderthalb Wochen, nachdem Asylsuchende auf Turnhallen verteilt wurden, ist so etwas wie Alltag eingekehrt: Die Leute warten.
Blickt man vom Zuschauerrang in die Halle hinab, blickt man in 41 Privatsphären: 41 Wohneinheiten, je neun Quadratmeter groß, begrenzt von Bauzäunen, sichtgeschützt bis in zwei Meter Höhe durch undurchdringliche Planen, nach oben aber dann doch offen. Es ist Vormittag, viele sind leer, doch in einer erkunden zwei kleine Mädchen mit Wischern ein Smartphone, und in einer anderen schneidet ein Afrikaner seiner Frau die Haare. Ein arabischer Junge übt Einrad, noch schwer an den Zaun gestützt, doch bald wird er’s können; und eine große Frau aus Ostafrika guckt stolzer Haltung zurück auf den Rang. Himmel, steht sie grade!
Das Unspektakuläre ist das Eigentliche. Hier in der Halle, wo sonst Schüler turnen, wo Volleyballer und Basketballer spielen und wo über allen 144 Flüchtlingen das Gerät hängt, das normalerweise den Spielstand anzeigt. „Heim / Gäste“ steht deshalb darauf. Würde man selbst so nicht formulieren, passt aber halbwegs zu einer provisorischen Flüchtlingsunterkunft.
Es begann Hals über Kopf
Es begann so Hals über Kopf wie in über 30 anderen Städten bisher. Mit einem Anruf aus dem Regierungspräsidium bei der Stadt Bochum, „irgendwo zwischen Bitte und Forderung“, sagt Thiemo Biber (30) vom Arbeiter-Samariterbund (ASB). Binnen Stunden legten die Wohlfahrtsverbände Flies und einen Holzboden auf den Sportboden am Lohring, nah der Innenstadt; beschafften Feldbetten, Kopfkissen, Decken, die Abnahme durch die Feuerwehr, die Baunutzungsänderungsgenehmigung und die fluoreszierenden Fluchtweg-Aufkleber. Das ist Deutschland. Als die Aufkleber im Dunkeln glommen, waren die Kinder so begeistert!
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Die Bauzäune und die Privatsphäre bis in zwei Metern Höhe kamen erst am nächsten Tag. „Alle haben mit angepackt“, erinnert sich Fiona Zerres, die „Leiterin Einsatzdienste“ beim ASB. Neun Tage ist das jetzt auch schon wieder her, und längst ist der Alltag der Alltag. Und nicht immer sehr viel los.
Auf Bänken sitzen Krunal Makidadia aus Indien und Mohammad Jahid aus Bangladesch beisammen und unterhalten sich auf Englisch. Dann erzählen sie Geschichten aus ihrem Leben, die möchte man nicht drucken; versteht aber, dass sie sich aufrichtig freuen, in Deutschland zu sein. „Die Leute hier sind sehr hilfsbereit“, sagt Jahid. Was sie über Deutschland wissen? Wenig. „Technik, gute Maschinen, Arbeit. Man wird respektiert.“ „I’m thirty-three“, sagt Makidadia und dann das erste deutsche Wort in diesem Gespräch: „Dreiunddreißig.“
„Ich heiße, du heißt, er, sie, es heißt . . .“
Frucht der Deutschstunden, die freiwillige Helfer jeden Vormittag anbieten. Zwei Gruppen sitzen gerade auf solchen Bänken, die eine blättert in Büchern, die andere spricht Wörter nach, die an der Wand hängen: „Ich/heiße, Du/heißt, Er Sie Es/heißt . . .“
„Come into my flat“, sagt Mohammad Jahid wahrhaftig, „komm in meine Wohnung.“ Eine aufgehängte Schlafdecke bildet die Tür, wer Einlass begehrt, klopft an den Bauzaun. Dahinter wohnen vier Männer auf den neun Quadratmetern, ein Feldbett an jeder Seite, gestapelte Wäsche darauf, andere hängt über den Zaun – Haken gibt es nicht. Mit allem Respekt: Für eine Vier-Männer-WG ist das tipptopp. Alle vier kamen alleine, „this is my family“, scherzt Makidadia jetzt über die anderen. Einer, der schnell Freunde gewinnt.
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Die Registrierung haben die meisten hinter sich, die medizinische Untersuchung; die Impfungen, falls gewünscht. Federball und Fußball können sie spielen, um „14 Uhr / 2pm“ zur Kleiderkammer gehen oder um „19 Uhr / 7pm“ zur Ausgabe von Hygieneartikeln. 17 Uhr Doktor. Die Kinder der Welt bilden eh einen eigenen Schwarm in dieser Halle, wo Aserbaidschan neben Bosnien wohnt, Somalia neben Syrien und Irak neben Armenien.
Ein Fernsehgerät, um Deutsch zu lernen
Und wo sich einer einen Fernseher für alle wünscht. Einen Fernseher? „Damit wir Deutsch hören und lernen können“, sagt er. Neulich war er in einem Imbiss, „da lief Tom&Jerry“, die kannte er, „auf Deutsch“, das kannte er nicht – „wow“! Gute Idee, Frau Zerres, oder? Nun, sie werden bald umziehen in eine leere Schule, da gibt es dann auch einen Fernsehraum. „Der Mann war übrigens auch der erste, der mich nach einem Deutsch-Lexikon gefragt hat“, sagt Fiona Zerres. Und macht das eigentlich Spaß hier? „Ich organisiere gern. Und so viel Dankbarkeit wie hier kriegt man nirgendwo sonst.“
Vielleicht klappt es ja mit dem Traum des Mannes aus Afghanistan, endlich wieder als Fotograf arbeiten zu können. Mit dem Wunsch der syrischen Familie nach Sicherheit. Andere Hoffnungen, muss man sagen, werden sich zerschlagen. Steht bei 18 Grad ein deutscher Helfer in kurzen Hosen vor dem Halleneingang. Bei ihm ein Mann aus Bangladesch im Kapuzenpulli. Raucht, friert, fragt: „Ist es hier immer so kalt?“