Gelsenkirchen. . 150 Fremde weckten die Anwohner in Gelsenkirchen-Scholven – und ihre Ängste. Seither aber tun die Leute, was sie überall tun im Revier: anpacken.

Sie kamen im Dunkel der Nacht – und doch haben es alle mitgekriegt. Sie machten Lärm und Licht, denn sie waren Dutzende und mehr als 20 Kinder, sie saßen in Bussen, begleitet von der Polizei und den brummenden Generatoren der Feuerwehr. So zogen Flüchtlinge ans Ende einer verkehrsberuhigten Sackgasse in Gelsenkirchen-Scholven. Sie weckten die Nachbarn, einen gewissen Zorn zunächst und auch ihre Ängste, von denen der Diakon befürchtete: „Sie könnten umschlagen in Ablehnung.“

Aber dann öffnete Scholven sein Herz und überschüttete die Neuankömmlinge mit Mitgefühl und guten Ideen und gebrauchten Kleidern. So viel, dass Monika Kutzborski sagt, was Helfer überall sagen im Ruhrgebiet in diesen Tagen: „Es überrollt uns.“ Weil auch die, die selbst nicht viel haben und das Wenige noch brauchen könnten, Tüten und Taschen zur alten Hauptschule tragen.

Schule steht seit einem Jahr leer

Hier hat die Stadt Räume gefunden, als die Bezirksregierung um Hilfe rief. Die Schule steht leer seit einem Jahr, verkauft sollte sie werden, aber dann behielt man sie lieber doch: für Auffangklassen, vorsichtshalber, es kommen ja auch immer mehr Zuwanderer-Kinder. Nun sind es Flüchtlings-Kinder, die wieder Leben bringen auf den Hof, den der Oberbürgermeister einst „in der unterrichtsfreien Zeit als Spielplatz“ freigab. „Ruhestörender Lärm“ sei indes zu vermeiden.

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Das war nun schwierig in den Nächten der Ankunft; von „Belästigung“ spricht sogar die Stadt, und Ratsfrau Kutzborski weiß: „Die Leute haben sich überrumpelt gefühlt.“ Zumal sie im Briefkasten zeitgleich die Werbung eines Sicherheitsdienstes fanden – ein Zufall, wie es heißt. Der aber erschreckend gut passte zu einer Nachricht, die Stadt und Polizei mit Bedauern bestätigen mussten: Bewohner der Einrichtung wurden beim Autoknacken erwischt.

Nicht gleich in der Mehringstraße zwar. Dort hat man sich gewöhnt an die Ruhe nach dem Schul-Schluss, hat Geld gesteckt in kleine Zechenhäuschen, in deren Gärten Fahnen wehen von Deutschland oder wenigstens Schalke. Nicht das, was man „bessere Gegend“ nennt, „wir sind hier der Norden“, sagt Diakon Axel Büttner von der katholischen Kirche St. Urbanus. Und meint nicht nur die Aussicht auf das Kraftwerk links und „die Chemie“ rechts: Schornsteine, überall.

150 Bürger bei Informationsveranstaltung

„Ein Stadtteil mit negativem Touch“, hat Monika Kutzborski gesagt, der sich aber längst recht erfolgreich bemüht um Integration und Miteinander, um ein Einreißen der Zäune zwischen den Vierteln, den Konfessionen und den Menschen. „Die Netzwerke müssen stimmen“, sagt Kutzborski jetzt, „und der Platz muss da sein, dann funktioniert es.“ – „Es“ ist die Aufnahme der „Neuen“ in diesem Scholven, wo sich andere schon lange „selbstverständlich zuhause fühlen“.

Damit das eine gelingt und das andere bleibt, gab es einen eilig einberufenen Informations-Abend, 150 besorgte Bürger kamen in den Gemeindesaal – genauso viele wie nun Flüchtlinge in den Schulklassen wohnen. Ob denn alle auf ansteckende Krankheiten untersucht werden?, wurde gefragt. Wie lange die Leute denn bleiben? Aber auch: Was, wenn meine Tochter vergewaltigt wird? Dieser Frager indes wurde ausgebuht von der Versammlung. Die sich fortan entschlossen mit nur noch einer Frage befasste: Was können wir tun? „Die Hilfsbereitschaft“, sagt Monika Kutzborski, „ist riesig.“

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Im Schichtdienst sortieren Freiwillige die Sachspenden, ein türkischer Fußballverein organisiert ein Spiel, der Pastor eilte in den Baumarkt, Kindersicherungen für Steckdosen zu kaufen. Alte Damen fassen mit an, weil sie sich an die Nachkriegszeit erinnern: „Uns hat ja keiner helfen können.“ Junge Leute vom Roten Kreuz wachen Tag und Nacht. „Die Menschen machen ganz viel“, sagt Diakon Büttner, „da kann man nur stolz sein.“

Unbekannte schmierten nachts Hakenkreuze an die Fenster

Allerdings passierte auch dies, neulich nachts: Da malten Unbekannte Hakenkreuze an die Fenster mehrerer Klassenzimmer, der Staatsschutz ermittelt. Man hat die Schmierereien schleunigst weggemacht, es heißt, es seien Jugendliche gewesen, vielleicht nicht einmal aus der Gegend. „Ich hoffe sehr“, sagt Dieter Kutzborski vom Präventionsrat, einer Art Bürgerverein für öffentliche Sicherheit, „die wissen gar nicht, was sie tun.“ Scholven ist unglücklich über diese Geschichte, erzählt wird lieber die vom Zusammenhalt.

Und von Menschen, die helfen, weil sie wissen, wie Not sich anfühlt: „Die meisten Probleme, die jemand hat“, sagt Diakon Büttner, „hatte ein anderer hier schon.“