Bochum. Seit 14 Jahren können Abhängige illegale Drogen in einem Raum in der Krisenhilfe Bochum konsumieren. Medizinisches Personal hilft im Ernstfall.
Vor dem Eingang der Krisenhilfe plaudern Männer und Frauen, halten Bier in der Hand und rauchen – dann löst sich jemand aus der Gruppe, geht hinein und setzt sich in einer der Kabinen einen „Schuss“. Bis zu 130 Mal am Tag passiert dies.
Aber am Dienstag wurde es um elf Uhr ruhig: Sieben Menschen sind in diesem Jahr an den Folgen des Drogenkonsums gestorben. Viel weniger als noch vor der Einrichtung des Drogenkonsumraums vor 14 Jahren. Im Aufenthaltsraum las Krankenschwester Esther Nock zum Gedenken die Bergpredigt vor und Pfarrerin Heike Lengenfeld-Brown erinnerte daran, dass das Leben ein Stückwerk sei, unvollkommen und stets ein Entwurf. Einige Frauen weinten, Männer kämpften gegen ihre Tränen.
Auf der Theke hat jemand den Film „Requiem for a Dream“ liegengelassen. Das Drogen-Drama ist alles andere als verherrlichend, und trotzdem wirkt es an diesem Ort wie fehl am Platz. Das hier ist die Realität, und die ist brutaler. Ist man einmal im Bannkreis des Heroins gefangen, kann man schwer aufhören.
Drogenabhängige brauchen Hilfe, keine Strafe
Deshalb brauchen Drogenabhängige Hilfe und keine Strafe, ist Leiterin Silvia Wilske überzeugt. Die Krisenhilfe wehrt sich dagegen, Abhängige zu kriminalisieren. „Das Wichtige ist, dass sie nicht auf der Straße konsumieren müssen.“ Dort benutzten sie verunreinigte Spritzen, nähmen Pfützenwasser, um den Stoff zu verdünnen, sterben, weil sie an Atemnot leiden.
In der Krisenhilfe hingegen stehen die Menschen im „Drückerraum“ unter Aufsicht. „Man kriegt die Notfälle mit, man ist nicht in drei Sekunden tot“, sagt Silvia Wilske. Während der Öffnungszeiten ist eine Ärztin zugegen, jeder Mitarbeiter hat eine Drogennotfallausbildung, ein Atemgerät steht griffbereit. „Wir haben seit 2001 den Raum. Das hat dazu geführt, dass die Zahl der Drogentoten gesunken ist“, sagt Wilske. In der Einrichtung sei noch niemand gestorben. Die Krisenhilfe weiß aber von sieben Drogentoten in diesem Jahr. Eines der Opfer starb an der Kräutermischung „Spice“. Heroin sei „out“, die Billig-Drogen aus dem Internet würden aber zu einem Problem.
Medizinische Versorgung lässt Abhängige älter werden
Festnahmen in der Nähe der Krisenhilfe
Größtenteils wird die Krisenhilfe von der Stadt Bochum finanziert. Mehrfach soll es schon vorgekommen sein, dass die Polizei Abhängige, die auf dem Weg zur Krisenhilfe waren oder sie verlassen haben, wegen Drogenbesitzes festgenommen hat.
Da der Handel, Anbau und Besitz von Heroin verboten ist, muss die Polizei diese Fälle strafrechtlich verfolgen.
Auch die Ursachen für Todesfälle haben sich verändert. An einer Überdosis sterben weniger, an Leberzirrhose als Folge des Konsums hingegen immer mehr. Gleichzeitig lässt die gute medizinische Versorgung Abhängige älter werden.
Wilske freut natürlich die gesunkene Zahl der Drogentoten. Am liebsten aber würde sie im Zweifel auch Drogen ausgeben dürfen, damit die Abhängigen sich nicht auf dem Schwarzmarkt illegal gepanschtes Zeug erwerben müssen. Wilske: „Das wäre mein größter Wunsch.“