Bochum. Die Kfz-Branche erlebt derzeit einen Wandel, sagt Mike Gerbracht. Der 46-Jährige führt den Betrieb, der mit 125 Jahren ältester der Innung ist.

Der Meister macht sich die Hände nicht mehr schmutzig – oder jedenfalls längst nicht so oft wie früher. Was nicht daran liegt, dass Jens Ewerth sich aufs Delegieren beschränkt. In einem Betrieb wie der „Auto Technik Gerbracht“ mit 14 Beschäftigten muss jeder buchstäblich mit anpacken. Auch er. Aber die Zeiten, in denen Kfz-Mechaniker wie Ewerth oder ihre Nachfolger, die Kfz-Mechatroniker, in Öl waten und vom Overall vor lauter Schmiere kaum noch die Grundfarbe blau oder grau zu erkennen ist, gehören fast der Vergangenheit an. So wie sich die Autos wandeln, ändert sich das Geschäft der Service- und Reparaturwerkstätten. Die Schrauber von gestern haben noch nicht ausgedient. Aber sie werden weniger.

„Die Zeiten haben sich geändert“, sagt Mike Gerbracht. Der 46-Jährige führt den Betrieb in vierter Generation und nahm unlängst eine Auszeichnung der Kfz-Innung für das 125-jähriges Bestehen entgegen. Seine Firma ist damit das älteste Mitglied in der Innung. Mit Autos beschäftigten sie sich bei Gerbracht in Wattenscheid allerdings erst seit 1930. Gründer Stephan Gerbracht hatte noch Baumaschinen und Kutschen repariert. Seitdem hat sich vieles verändert.

Und die jüngste Entwicklung, die seit einigen Jahren im Gang ist, verläuft offenbar besonders dramatisch. Die Elektronik in den Autos nehme etwas Überhand, so Gerbracht. Daher komme sein Metier auch selbst kaum noch ohne elektronische Unterstützung aus.

Trend früh erkannt

Er selbst hat diesen Trend schon 1999, als er den Betrieb von Vater Manfred übernommen hat, gespürt und ist ihm konsequent gefolgt. „Ich habe gleich angefangen, modernes Gerät zu kaufen.“ Anfangs waren das unter anderem Universaltester, mit denen Kontrollen und Updates an Fahrzeugen jeden Typs unternommen werden konnten. Mittlerweile rühmt sich Gerbracht, eine der wenigen freien Werkstätten zu sein, die mit Originaltestern großer Hersteller arbeiten. Und: „Wir sind die einzige freie Werkstatt in NRW, die einen VW-Server hat.“ Das neue Analysegerät steht in einer der Werkstatthallen, daneben die Tester von BMW, Ford und Mercedes. Damit werden Datenstände kontrolliert, Motormanagement betrieben oder Updates direkt vom Werk durchgeführt.

„Dahin geht der Trend“, ist Mike Gerbracht überzeugt. „Ich könnte meinen Alltag ohne diese Geräte nur zu 50 Prozent bewältigen.“ Und allmählich ginge auch vielen anderen auf, dass ohne Investitionen in moderne Geräte das Geschäft mit der Autoreparatur kaum noch zu bewerkstelligen ist. „Der Markt der Freien wird sich kolossal ändern.“

Ein Eindruck, den Branchenerhebungen zu bestätigen scheinen. Die Marktanteil der freien Kfz-Werkstätten in Deutschland hat sich nach Einschätzung des Meinungsforschungsinstituts Ipsos zwar in den vergangenen Jahren von 40 auf 53 Prozent erhöht. Aber auch ihre Zahl geht deutlich zurück. Gab es 2001 noch 23.229 freie Werkstätten in Deutschland, werden es nach Einschätzung des Online-Statistik-Portals Statista im kommenden Jahr nur noch 18 500 sein, vor allem der Rückgang seit 2011 (20.400) fällt dramatisch aus.

Investitionen sind nötig

Aus Sicht von Mike Gerbracht ist das kein Wunder. Moderne Autos zu reparieren, erfordere immer mehr den Einsatz von Elektronik und Spezialwerkzeugen. Dazu seien Investitionen nötig. So benötige er etwa für jeden Originaltester eine abgesicherte Leitung zum Server des Autoherstellers. 2400 Euro pro Leitung kassiere die Telekom dafür jährlich. Dazu kommen die Kosten für den Zugang (4250 Euro) zum Server und 1200 Euro jährlich für ein Update des Geräts. Auch der Prüfstand, mit dem schon lange Stoßdämpfer getestet, Fahrwerke gemessen oder Spurbreiten überprüft werden und der mit der dazu gehörigen Halle etwa 250 000 Euro gekostet hat, wird Anfang 2015 modernisiert. „Dann werden die Fahrzeuger noch detaillierter angeschaut. Bei uns geht jedes Auto, das wir reinbekommen, auf den Prüfstand, egal ob es zur Inspektion kommt, zur Tüv-Abnahme oder zur Fehlersuche, zum Beispiel weil etwas klappert.“

„Ich hatte eigentlich gar keine andere Wahl“ 

Ja, er fährt einen dicken Schlitten. Mike Gerbrachts BMW sieht zwar in seinem grauen Karosseriegewand recht schlicht aus. Aber der 5er-Kombi ist eine Version des Veredlers G-Power und hat reichlich Dampf unter der Haube. Ein Liebhaberfahrzeug, dem der Werkstattinhaber auch die Reparaturanfälligkeit verzeiht.

So viel Zeit bleibt dem 46-Jährigen aber nicht, um sich um seinen automobilen Schatz zu kümmern. Denn einen mittelständischen Familienbetrieb zu führen, kostet eine Menge Zeit und Kraft. Zwölf bis 14 Stunden lang ist sein Arbeitstag, und auch der seines Meisters Jens Ewerth, der den Betrieb später einmal übernehmen soll. „Er ist praktisch bei uns aufgewachsen und gehört zur Familie.“ Wer so eine Belastung und die Verantwortung für die Belegschaft auf sich nehmen will, der müsse schon mit dem Herzen dabei sein.

15 Jahre mit Elan

Er selbst räumt ein, nicht von Anfang an begeistert von der Idee gewesen zu sein, den Betrieb zu übernehmen. „Ich wollte zur Polizei gehen, um viel Zeit für meinen Sport zu haben.“ Handball hat der Wattenscheider mit Leib und Seele gespielt. Wie eng er dem Sport verbunden ist, ist beim Betreten seines Büros unübersehbar. Ein Trikot von SW Eppendorf hängt unter der Decke. Aber: „Irgendwann wurde mir klar, dass man so einen Betrieb mit so einer Geschichte nicht einfach wegschmeißen kann und dass ich eigentlich gar keine andere Wahl habe.“ Also hat er sich nach der Lehre und der Meisterschule entschieden, die Werkstatt in vierter Generation zu übernehmen, hat die Ärmel aufgekrempelt und aus einer bis dahin eher traditionellen Werkstatt einen modernen Betrieb gemacht.

MEIN JOB: Kfz-Meister

Er ist mit dem Betrieb aufgewachsen. Buchstäblich. Jens Ewerth (33) hat in der Nachbarschaft gewohnt, ist schon als kleiner Junge mit großer Neugierde herüber in die Kfz-Werkstatt gekommen. Und das Autofieber hat ihn seitdem nicht losgelassen. Der gelernte Kfz-Mechaniker ist seit 2009 Meister bei Auto Teile Gerbracht, die dreieinhalbjährige Ausbildung hat er um zwölf Monate verkürzt, und wird aller Voraussicht nach den Betrieb einmal übernehmen. Der Reiz für ihn: „immer nach vorne zu gucken.“

Schon heute hat der 33-Jährige viel Verantwortung. „Ich kümmere mich um die Werkstatt, plane die Tätigkeit der Mitarbeiter, kümmere mich um die Kunden und deren Fahrzeuge und arbeite auch noch selbst als Elektriker.“ Denn: „Ich muss schon wissen wie es geht und auf dem Stand der Technik bleiben. Und daher stehe ich auch noch selbst am Auto. Heute Morgen zum Beispiel habe ich einen Lenkstockschalter an einem Fahrzeug erneuert.“

Der Wandel in der Branche, weg vom klassischen Schrauber hin zum Motormanager („Heute muss man elektrisch denken“), hat nach seiner Einschätzung wie in den meisten anderen Berufe auch Vor- und Nachteile. Und bewältigt werden könne die Arbeit wie ehedem immer noch am besten im Team. Genau das mache den Betrieb auch aus: „Man kann schon sagen, jeder ist für den anderen da. Einer für alle, alle für einen.“

15 Jahre später ist Mike Gerbracht immer noch mit großem Elan dabei. Aber trotzdem plant er schon den Übergang. „Der Jens ist die fünfte Generation, er wird den Betrieb mal übernehmen“, so Gerbracht. Den nächsten Schritt haben die beiden schon geplant: „Im nächsten Jahr wird jeder unserer Mechaniker sechs bis sieben Lehrgänge besuchen.“ Dadurch wollen Besitzer und Meister die Qualität und Kompetenz der Belegschaft noch einmal erhöhen.

Um der Kundschaft zu demonstrieren, auf welchem Stand sich der Betrieb befindet, haben sie sogar Filmaufnahmen in Auftrag gegeben. „Demnächst wird man auf unserer Homepage sehen, was wir anbieten und wie wir arbeiten.“ Auch das haben sie längst erkannt: Klappern gehört zum Handwerk – auch und gerade zum modernen.