Bochum. Alfons Zimmer fand in seinem Heimathaus über 100 Briefe aus dem Zweiten Weltkrieg. Jakob Zimmer verbrachte drei Weihnachten in Kriegsgefangenschaft.

Auch in Bochum leben Menschen in der Fremde, weil in ihrer Heimat ein Krieg tobt. Mitunter werden sie geplant von furchtbaren Erinnerungen. Die Bilder, Töne und Gerüche des Grauens suchen sich einen festen und oft verborgenen Platz im Gehirn des Menschen.

Auch Jakob Zimmer verbrachte vier Weihnachtsfeste fernab der Heimat. Allerdings war der damals 20-Jährige ein Kriegsgefangener im Zweiten Weltkrieg. Er war Soldat in der Wehrmacht, von 1943 an festgehalten von den Amerikanern in Louisiana und South Carolina.

Sein Sohn, der Bochumer Alfons Zimmer, fand später auf dem heimatlichen Hof in Müllenbach bündelweise Feldpostbriefe des Vaters und seiner beiden Onkel Alois und Stefan. Seither treibt den 58-Jährigen das Schicksal der Familienväter um. „Die Dinge sprechen zu mir“, sagt er. Auf dem Tisch breitet er aus, was der Vater aus der Kriegsgefangenschaft mitgebracht hatte: ein Englischwörterbuch, ein Schachbrett und eine Esspfanne mit Besteck.

Die Geschichte des Großvaters nahebringen

Alfons Zimmer, der als katholischer Seelsorger in der JVA Krümmede arbeitet, hat seine vier Kinder heute eingeladen, um ihnen kurz vor Weihnachten die Geschichte des Großvaters nahezubringen. Sein jüngster Sohn Mathias (7) zeigt eine kleine Geldbörse, in die ein Granatsplitter ein Loch gerissen hat. Die Zehn-Pfennig-Münze des Deutschen Reichs ist verbogen vom Einschlag. Opa Jakob erwischten die Splitter damals in Hüfte und Rücken.

Keiner der Jungs, die zwischen 1939 und 1944 teils mit 16 oder 17 Jahren aus dem 500-Seelen-Dorf in Rheinland-Pfalz eingezogen wurden, hat wohl vorher viel von der Welt gesehen. Niemand habe gewusst, wie es ihnen im Krieg ergehen sollte. Davon geht Jan Jakob Zimmer aus: „Würde heute ein 18-Jähriger in den Krieg geschickt, wüsste er in etwa, was das bedeutet. Ich denke, das Weltverständnis der Jugendlichen damals war nicht so wie das heute“, vermutet der älteste Sohn von Alfons Zimmer.

Post aus dem Kriegsgefangenenlager

Der Krieg war noch in vollem Gange, da schickte Jakob Zimmer 1943 zur fünften Kriegsweihnacht eine selbst gemalte Karte in die Heimat. Ein Jahr später berichtet er an Weihnachten vom „Kiefernbaum, denn Tannen wachsen hier nicht“. Die insgesamt 58 erhaltenen Briefe des jungen Mannes, der sich selbst in den Briefen „Euer Soldat Jakob“ nennt, spiegeln Tapferkeit wieder, mit der er sein Schicksal annehmen sollte. Und nur ganz wenige Passagen lassen ahnen, wie er die Zeit in der Fremde weit weg von zu Hause empfunden haben muss. Am 3. April 1944 schrieb Jakob: „Von hier kann ich euch nicht viel berichten. Ein Tag wie der andere. Stacheldraht um uns, über uns ist der Himmel.“

Auch ein Onkel von Alfons Zimmer, Stefan Ant, schrieb 55 erhaltene Briefe und verfasste in kindlicher Schrift Grüße an die Heimat. Stefan sollte derjenige in der Familie sein, dem das Glück nicht hold blieb und der am 11. Oktober 1944 im russischen Wolsk an Krankheit und Unterernährung starb.

Mit seinem Sohn Alfons Zimmer sprach Vater Jakob nicht viel über seine Erlebnisse als Soldat. „Es war ein großes Schweigen. Auch Stefan gehörte weiter zur Familie, es hing ein Bild im Haus von ihm in Uniform“, erinnert Alfons Zimmer sich. „Ich erinnere mich an Opa Jakob als ernsten Mann“, schildert Simon Zimmer. Der 21-Jährige sagt, er selbst habe sich nie für die Wehrmacht interessiert. Auch sein Blick lässt lesen, dass eine Jugend wie die von Opa Jakob für ihn heute kaum vorstellbar erscheint.