Opel geht, Bochum lebt - wie sich die Stadt neu aufstellt
•
Lesezeit: 5 Minuten
Bochum. Viele Jahre prägte die Autofabrik das Bild der Stadt, nun baut sie ihren letzten Wagen. Doch parallel zum Opel-Aus stellte sich Bochum neu auf.
Als am Freitag in Bochum nach 52 Jahren das letzte Auto vom Band rollte, war dies ein schwerer Schlag für rund 3000 Opelaner, das Ruhrgebiet und Bochum – ein K.-o.-Schlag für die Stadt als solche ist es indes nicht. Das Schlagwort aus dem Arbeitskampf von 2004 „Stirbt Opel, stirbt die Stadt“ bewahrheitet sich nicht.
Der „Blitz“ schlägt nämlich nicht aus heiterem Himmel ein. Zehn Jahre lang kämpften stolze Opelaner um ihr Werk. Arbeitsplätze vernichtet General Motors aber schon seit den 1980er-Jahren. Zur Blütezeit der Fabrik montierten in Laer und Langendreer mehr als 20 000 Menschen Fahrzeuge.
Ein öffentlicher Tod auf Raten
Der Tod auf Raten fand zudem öffentlich statt. Anders als die Geburt. Streng geheim wurde die Ansiedlung unter dem Tarnnamen „Kurt Wolff & Co.“ vorbereitet. Per Hand mussten die Ratsmitglieder am 20. Mai 1960 den Namen „Adam Opel“ in ihre Vorlagen eintragen, bevor sie dem Autokonzern die Fahrt ins Ruhrgebiet frei gaben.
Hintergrund war die Angst vor den Stahl- und Zechenbaronen, die Arbeitskräfte nicht an die Konkurrenz verlieren wollten. In Herten scheiterten Pläne zur Ansiedlung eines Ford-Werkes, weil der Bergbau kurzerhand die erforderlichen Grundstücke aufgekauft hatte. Köln sagte danke.
Die Uni ist heute enger denn je mit der Stadt verwachsen
Bochum profitiert heute auch von einer Entscheidung, die Land und Stadt nahezu zeitgleich und ebenso geheim vorbereiteten: den Bau der Ruhr-Universität. Im Mai 1960 war das ein Politikum. Die CDU-Landesregierung verbündete sich mit der SPD-Spitze in Bochum – zum Verdruss der Genossen im Land, die die neue Uni in Dortmund ansiedeln wollten.
Aus der Stadt Bochum mit einer Universität ist eine Universitätsstadt geworden: Acht Hochschulen sind in Bochum zu Hause, mit etwa 53 000 Studenten und rund 6000 Beschäftigten. Tendenz steigend. Längst vorbei ist die Zeit, da die RUB nur ein von Pendlern aufgesuchter Satellit war. Seit 2014 befinden sich Hörsäle in der City – ein Jungbrunnen fürs Stadtbild. Wissenschaftler und Forscher schielen auf die Opel-Flächen – Weltfabrik, Gründerzentrum, „Bochum 4.0“ heißen die Zukunfts-Fantasien.
Die Integration der Hochschullandschaft läuft in Bochum bislang unter dem sperrigen Begriff „UniverCity“. Für 2015 ist ein neues Label angekündigt. Die Stadt hat zum Wettbewerb aufgerufen. Aus dem Wort-Dreiklang „Wissen, Wandel, Wir-Gefühl“ schmieden Kreative eine neue Marke für Bochum.
Letzte Schicht bei Opel
1/30
Wandel und Wir-Gefühl als Bochums ständige Begleiter
Wandel und Wir-Gefühl – das sind Bochums ständige Begleiter seit Jahrzehnten. Krise folgte auf Krise: Kohle, Stahl, Nokia. „Es hat in unserer Stadt immer Kräfte gegeben, die gesagt haben, wir packen es an, tun unsere Arbeit und schaffen Neues“, sagt Ottilie Scholz. „Das war nach dem Bombenkrieg 1945 so, das war nach dem Zechensterben Anfang der 60er-Jahre so, und das ist heute so. Das macht Mut.“
Seit 2004 ist die 66-jährige Sozialdemokratin Oberbürgermeisterin. Opels Niedergang gehört zu ihrer Amtszeit wie ihre Bürgermeisterkette. Nicht von ungefähr kommt es, dass ein WDR-5-Reporter sie seinem Publikum zuletzt als „OB von Opel“ vorstellte.
Kabarettist Frank Goosen hat den Bochumer Umgang mit der Realität einmal so formuliert: „Woanders ist auch Scheiße“. Eine Einstellung die hilft, Nackenschläge zu verdauen. Goosen: „Der Ruhrgebietler allgemein und der Bochumer besonders weiß, dass es woanders objektiv gesehen vielleicht schöner ist, hier aber ist Heimat.“ Das gibt Kraft.
Der Autor gewinnt dem Strukturwandel auch Positives ab. „Der permanente Veränderungsdruck seit 150 Jahren und die Hinterlassenschaften der Schwerindustrie haben in der Region eine einzigartige Kulturlandschaft entstehen lassen. Das kommt bei den ganzen Haushaltsproblemen leider häufig nicht in die Wertung.“
Die Gesundheit ist heute Bochums wichtigstes Standbein
Während das im gesamten Revier viel beschworene Jobpotenzial der Kultur- und Kreativwirtschaft bis heute mehr Theorie denn Praxis ist, hat sich die Gesundheitswirtschaft in Bochum ganz real zu einem wichtigen Standbein entwickelt. 24 000 Menschen arbeiten in diesem Sektor. „Ein großer Erfolg“, sagt OB Scholz. „Das sind mehr als Opel zu seinen besten Zeiten beschäftigt hat.“ Hinzu kommt ein starker Mittelstand mit tausenden an Arbeitsplätzen.
Scholz’ Zuversicht – „die Stadt ist eine Strukturwandelkönnerin“ – teilen in der Stadt natürlich nicht alle. 2015 verliert Bochum erneut 450 Industriearbeitsplätze, wenn das Stahlwerk von Outokumpu schließt. Die Stadt hat 1,6 Milliarden Euro Schulden, im Sommer verfügte der Kämmerer eine Haushaltssperre. Die Steuern steigen, der Service für Bürger schrumpft.
Gleichwohl findet Entwicklung statt: Wichtige Verkehrsadern werden saniert, gebaut werden ein Justizzentrum, das lang ersehnte Musikzentrum und die Hochschule für Gesundheit. Mit dem Exzenterhaus und dem Neuen Gymnasium wurden zuletzt gar architektonische Glanzpunkte gesetzt. Der Wandel vollzieht sich Schlag auf Schlag, ein K.o ist nicht in Sicht.
Sie haben vermutlich einen Ad-Blocker aktiviert. Aus diesem Grund können die Funktionen des Podcast-Players eingeschränkt sein. Bitte deaktivieren Sie den Ad-Blocker,
um den Podcast hören zu können.