Bochum. Wir haben Opelaner gefragt, Politiker, Vertreter aus Kultur, Sport und Gesellschaft, Menschen auf der Straße, was das Aus für sie bedeutet.
In zehn Tagen ist Schluss. Dann geht die 52-jährige Geschichte des Autobaus in Bochum zu Ende. Opel schließt sein Werk in Laer. Schon nächsten Freitag, am 5. Dezember, läuft der letzte Zafira Family vom Band. Und eine Woche später, am 12. Dezember, wird das allerletzte Fahrzeug dann an den Verkauf ausgeliefert.
Es ist auch der letzte Arbeitstag für etwa 3000 Beschäftigte, die noch unter dem Zeichen des Blitzes arbeiten. Was bleibt, wenn Opel geht? Wir haben Opelaner gefragt, Politiker, Vertreter aus Kultur, Sport und Gesellschaft, Menschen auf der Straße. Welche Erinnerungen haben sie an die drei Werke, die das Leben der Stadt mitprägten? Mit welchen Empfindungen betrachten sie die Schließung und wie beurteilen sie die Chancen dafür, dass viele Hektar Industriefläche künftig nicht brach liegen, sondern dort neue Chancen für Stadt und Region erwachsen.
Opel Bochum 1962 bis 2014 - Stimmen zum Aus des Opelbauers im Ruhrgebiet
WAZ-Redakteur Michael Weeke blickt zurück auf Opel in Bochum
Es sind die kleinen Szenen, die haften bleiben im kollektiven Gedächtnis. Es sind die großen Namen, die sich stets gern im Opel-Werk einfanden, wenn es darum ging, eine passende Kulisse zu bekommen, selbst wenn die Sätze – in Mikrofone und Notizblöcke gedrechselt – oft genug nicht einmal ans Stammtischniveau der nächsten Laerschen Eckkneipe heranreichten. Gekommen sind sie alle, ob eingeladen oder selbst geladen, ob Wolfgang Clement, Jürgen Rüttgers oder Hannelore Kraft, Bundespolitiker, A- und B-Promis und immer wieder die Presse. Natürlich, wir Journalisten durften nicht fehlen.
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Denn ohne uns nutzte die beste wohlfeile Rede vor blinkendem Chrom, die einstudierte Geste im Gespräch mit dem Arbeiter am Band nichts. Null Wirkung. Die Opel-Repräsentanten vor Ort, wissend um ihre Nachrichten-Macht, nutzten dies, verteilten Zückerchen (Vorstellung des neuen Kadett unter spanischer Sonne) oder machten auch schon mal den Blick hinter die Kulissen möglich. Da öffneten sich mehr als einmal Türen am Rande des Werks, der Blick in leere Werkshallen beim Streik etwa – da kamen wir uns fast vor wie Wallraff – und waren doch instrumentalisiert. Das war nur möglich, weil immer die Masse von bis zu 20.000 Beschäftigten, mit ihren Familien ging es locker um die gewaltige Zahl von 50.000 Menschen, hinter all dem Tun und Lassen stand. Unausgesprochen aber unübersehbar. Argument der schieren Masse.
Ein aufgemotzter Renn-Zafira
Das trieb mitunter absurde Blüten. Beispiel aus einer 25 Jahre alten Opel-Pressemitteilung. Originalton: „Am 2. Januar wird es in den Kantinen der Opel-Werke Bochum Linsensuppe geben. Die freien Tage davor verlangen eine schnell zu bereitende Speise. Mit dieser Linsensuppe wird seit 15 Jahren erstmals wieder Porzellangeschirr bei Opel in Bochum angeboten.“ Der Redakteurskollege hatte damals das Wort „Porzellangeschirr“ fett unterstrichen und am Rande der Pressemitteilung vermerkt, dass diese Neuigkeit auch ein Thema für die überregionale Wirtschaftsseite sei.
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Wenn die Frankfurter Automesse rief, wurde die lokale Journaille vor dem Werkstor in Laer eingesammelt, in einen aufgemotzten Renn-Zafira verfrachtet und in rekordverdächtiger Zeit fanden sich die Herrschaften, meist natürlich Herren, in der Glitzerwelt der PS-strotzenden Karossen wieder. Da stand der brave Lokalredakteur plötzlich am Buffet des nicht bescheidenen Opel-Standes, vor sich Franziska von Almsick im schlabbernden ballonseidenen Jogginganzug und einen schwadronierenden „Waldi“ Hartmann dahinter.
Eine Tragödie
Die Zeiten waren anders: Wenn der ehemalige Betriebsratschef Peter Jaszczyk einlud, damals noch im alten Betriebsratsbüro im Gebäude der ehemaligen Zeche Dannenbaum an der Dannenbaumstraße, konnte es leicht passieren, dass freundliche Helfer über versteckte Nebengänge einen kleinen Ausflug ins Werk ermöglichten. Die Zeiten waren anders: Da lieferten sich beträchtliche Teile des örtlichen Betriebsrats ein heftiges Geplänkel mit der IG Metall, der damalige Bochumer IG Metall-Chef Ludger Hinse sprach von „Schweinerei“ von „Mafia-Methoden“. 80 aufmüpfige Bochumer sollten aus der IG Metall ausgeschlossen werden, weil sie es gewagt hatten, auf einer eigenen Konkurrenz-Liste zu kandidieren.
Einer der Aufmüpfigen damals: Rainer Einenkel. Die Gewerkschaftsspitze musste sich danach nachsagen lassen, gemeinsame Sache zu machen mit den GM-Mächtigen. Dieser Konflikt zwischen der IG Metall-Spitze und den damals noch kraftstrotzenden Bochumer Opelaner wirkt nach bis heute und für manche liegt darin ein wichtiger Puzzlestein für den vor Ort empfundenen „Verrat“ der IG Metall am Bochumer Werk.
Die Kulisse des Opel-Werkes taugt schon lange nicht mehr als Hintergrund für Politiker-Heldenreden, schon gar nicht in dieser Woche. Eine Tragödie, deren Schlussakt in diesen Tagen ihren Lauf nimmt. Eine plötzliche Wendung ist nicht vorgesehen.
Scholz, Goosen, Neururer und andere zum Opel-Aus
"Opel hatte 52 Jahre lang eine immense Bedeutung. Nicht nur für die Stadt sondern auch für die Region. Die Ansiedlung des Unternehmens war Antwort auf das Zechensterben in Bochum. Es hat in unserer Stadt immer Kräfte gegeben, die gesagt haben, wir packen es an, wir tun unsere Arbeit und schaffen Neues. Das war nach dem Bombenkrieg 1945 so, das war Anfang der 1960er Jahre so und das ist heute so. Das macht Mut." - Ottilie Scholz, Oberbürgermeisterin
"Die Menschen sind vom Pütt direkt ans Band gewechselt, Opel hatte neben der wirtschaftlichen eine symbolische Bedeutung. Jetzt aber müssen wir Perspektiven entwickeln und die Frage beantworten, wie die Stadt in zehn oder fünfzehn Jahren aussehen soll."- Frank Goosen, Autor
"Mit Opel verliert Bochum nicht nur ein großes Unternehmen, sondern ein Stück seiner Identität. Mich hat beeindruckt, wie die Opelaner gekämpft haben bis zuletzt." - Bernd Wilmert, Stadtwerke Bochum
"Es war bitter, wie Opel mit seinen Leuten umgegangen ist. Jetzt müssen auf der Fläche so schnell wie möglich neue Arbeitsplätze entstehen. Das Land muss dabei helfen, Bochum kann das allein nicht schultern." - Andor Baltz, Kaufmann
"Wir haben in dieser Stadt immer die Ärmel hochgekrempelt und nicht den Kopf in den Sand gesteckt. Daran wird sich auch jetzt nichts ändern." - Jürgen Fiege, Präsident der IHK Mittleres Ruhrgebiet
"Es bleiben Erinnerungen an viel bessere Zeiten in dieser Stadt. Opel wurde immer auch mit Bochum verbunden. Umso höher ist meine Wertschätzung für jeden Arbeitnehmer." - Peter Neururer (59), VfL-Trainer
"Ohne Opel wären meine Eltern nicht nach BO gekommen und ich wäre hier nicht geboren worden. Wichtig ist, dass aus Laer kein Geisterstadtteil wird." - Hennes Bender (46), Comedian
"Es bleibt die Überzeugung, dass man in Bochum etwas Großes aufbauen kann. Das geht auch mit anderen Firmen." - Andreas Luthe, Kapitän des VfL
"Ein wichtiges Kapitel der Stadt geht zu Ende. Ein mutiger Neuanfang ist nun wichtig: Nicht nur die Industrie, auch Wissenschaft, Bildung und Kultur sind zentrale Motoren, die uns in die Zukunft führen." - Anselm Weber (51), Intendant Schauspielhaus
"Ich kann nur hoffen, dass hier nicht noch ein Landschaftspark entsteht, oder ein See. Was wir hier brauchen sind industrielle Arbeitsplätze." - Markus Bauer (42), Referent des Betriebsrats