Bochum. Der Aufsichtsratsbeschluss vom 17. April 2013 bedeutete das Aus für den Opel-Standort Bochum zum Ende des Jahres 2014. Überkapazitäten und mangelnde Wirtschaftlichkeit hießen die Argumente des Unternehmens. Das mochte Bochums Betriebsratsvorsitzender Rainer Einenkel nicht hinnehmen. Er klagte.
„Wir bleiben Bochum“. Wie eine Mischung aus Versprechen und Drohung wirkte der Slogan, der lange am Opel-Verwaltungsgebäude von Werk I in Laer hing und der die Entschlossenheit der Belegschaft im Kampf um ihr Werk und ihre Arbeitsplätze symbolisierte.
Das Banner hängt immer noch dort. Aber das Wort „bleiben“ ist durchgestrichen. Daneben prangt direkt über der Eingangsrotunde ein neues Plakat: „Wir waren Opelaner mit Herz und Seele.“ Und auch das hat zwei Botschaften. Die eine sagt: Wir, die Beschäftigten, haben hier alles gegeben. Aber ihr, ihr Manager, habt das nicht getan. Am 12. Dezember wird der letzte Opel Zafira an den Verkauf ausgeliefert. Nach 52 Jahren und weit mehr als 13 Millionen in Bochum produzierten Autos der Marke Opel ist Schluss.
Belastende Situation für alle
Zehn Jahre fortwährender Kampf gegen die Schließung haben ihre Spuren hinterlassen. „Es war für alle eine sehr belastende Situation“, sagt Rainer Einenkel, der gar nicht mehr genau weiß ob es sechs oder sieben Schließungsdrohungen waren, die die Belegschaft gemeinsam mit Betriebsrat, IG Metall und vielen Unterstützern abgewehrt hat.
Den letzten konnten sie nicht verhindern. Jenen Beschluss des Aufsichtsrats vom 17. April 2013, der das Aus für Ende 2014 ankündigte. Es gab noch Proteste, die große Solidaritätsaktion im März 2013, die anstelle der abgesagten Feier zum 50. Werksgeburtstag für ein immenses Echo sorgte und Zehntausende Menschen auf die Straße trieb. Aber all das verpuffte gegen einen Beschluss der Konzern-Mutter General Motors, die sich das Aus im Ruhrgebiet etwa eine dreiviertel Milliarde Euro kosten lässt. 750 Millionen Euro für die Schließung eines Werkes, das ohnehin Ende 2016 ausgedient hätte und das erst 2005 mit 175 Millionen Euro für die Produktion des Zafira fit gemacht wurde. Was soll man da sagen?
„Viele sagen jetzt, es ist gut, dass es vorbei ist.“ Unter den Kollegen herrsche eine Mischung aus Verbitterung, Wut und Trauer. Der ständige Kampf hat sie mürbe gemacht. Die einstmals kampffreudige Belegschaft, die 2004 mit einem einwöchigen „wilden“ Streik Bochums Aus verhinderte, muss sich geschlagen geben – getröstet mit Abfindungen in Höhe von durchschnittlich 125 000 Euro und dem Versuch des Hauses, über eine in Werk organisierte Jobbörse Beschäftigte an andere Firmen zu vermitteln. Auch ihr Kopf Rainer Einenkel, der seit 2004 an der Spitze der Mitarbeitervertretung stand, sah seit jenem 17. April 2013 seine Aufgabe vornehmlich darin, „noch das Beste für die Belegschaft herauszuholen“.
Tarifvertrag abgelehnt
Er selbst hatte vehement gegen die Annahme des Tarifvertrags mit einer Garantie für Bochum bis Ende 2016 gekämpft und dafür harsche Kritik einstecken müssen. Aber: Eine wirkliche Arbeitsplatzgarantie habe es nie gegeben“, so Einenkel.
Klar geworden sei ihm spätestens im Sommer 2012, dass es „seinem“ Werk an den Kragen geht. Damals hieß es im Aufsichtsrat, GM fordere für die weitere finanzielle Unterstützung von Opel die Aufgabe eines Werkes. „Wir waren der Preis für das Überleben der anderen Werke und des Konzerns.“ Davon ist der 60-Jährige, der seit seinem 18. Lebensjahr Opelaner ist, überzeugt.
Falsch informiert, schlecht gerechnet
Im Zusammenhang mit dem Schließungsbeschluss spricht Einenkel von Manipulation und hat daher den Konzern verklagt. Der Aufsichtsrat sei nicht korrekt über die Pläne informiert worden. Überhaupt sei der Standort Bochum in einer internen Studie schlecht gerechnet worden. Vor diesem Hintergrund wirkt das Datum der Urteilsverkündigung vor dem Landgericht Darmstadt wie eine Ironie der Geschichte. Es ist der 12. Dezember, also jener Tag, an dem das letzte Auto das Bochumer Werk verlässt.
Was ist, wenn die Richter dem Betriebsrats-Chef Recht geben? Ein Teil der Produktionsanlagen ist bis dahin verkauft, ein Teil der Belegschaft gegangen, ein Teil des Werkes dem Logistiker DHL versprochen.
Überkapazitäten auf dem europäischen Markt. Das ist das Argument des Konzerns für die Schließung. Dass es Bochum getroffen hat, das nach Rüsselsheim und Zaragoza trotz seiner nur noch 3300 Beschäftigten immer noch drittgrößte Opel-Werk in Europa, sei eine „politische Entscheidung“, sagen die schärfsten Kritiker. Eine unternehmenspolitische.
40 Prozent Auslastung
Fakt ist. Bochum hat zuletzt gerade noch 100.000 Autos pro Jahr gebaut und das bei einer Kapazität von 250.000 Fahrzeugen, ein neues Modell gab es nicht. Der Auslastungrad betrug also 40 Prozent und war vor drei Jahren (54,7) auch nur graduell besser. Ein Gewinn ist in der Autobranche erst von 75 bis 80 Prozent an zu realisieren, heißt es in einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung.
Die hiesige Belegschaft fühlte sich ohnehin längst abgeschrieben. Die obligatorische Weihnachtsbotschaft von Europa-Chef Karl-Thomas Neumann wurde im Vorjahr nicht einmal mehr an sie adressiert. „Aus Rücksicht“ hieß es bei Opel. „Respektlos und unwürdig“, sagt der Betriebsratsvorsitzende. Wegen bissiger Bemerkungen wie dieser hat er sich oft Kritik eingehandelt. Im Dezember 2011, nach einer Abmahnung, habe es „ein großzügiges Angebot“ gegeben, vorzeitig auszuscheiden. Er blieb. Und er sagt: „Mir kann bis heute keiner erklären, keiner in Bochum und auch nicht Herr Neumann, warum Bochum geschlossen werden muss.“
Wie auch immer: Ohne Bochum soll es mit der Marke wieder aufwärts gehen. Und ausgerechnet aus dem Revier kommen Anzeichen dafür, dass das gelingen könnte. Nach einer Erhebung von Automobilexperte Prof. Dr. Ferdinand Dudenhöffer stieg der Opel-Marktanteil an der Ruhr von 10,1 Prozent im Vorjahr auf 10,6 Prozent in den ersten neun Monaten 2014.