Gelsenkirchen-Buer. Seine Lebensgeschichte ist filmreif: 1911 in Gelsenkirchen-Buer geboren, ist Eduard Claudius da, wo Geschichte passiert – und schreibt drüber.

  • 1911 in Buer nimmt die abenteuerliche Lebensgeschichte von Eduard Claudius (sein bürgerlicher Name war Eduard Schmidt) seinen Anfang.
  • Es ist eine Geschichte, die Spuren hinterlässt. Es ist eine Geschichte, die damals wie heute umstritten ist.

Es ist Samstag, 29. Juli, im Jahr 1911 im westfälischen Buer, da wird einer Arbeiterfamilie ein Kind geboren: Eduard Claudius. Oder besser Eduard Schmidt. So nämlich lautet sein bürgerlicher Name. Schier unglaublich scheint es damals, was für eine abenteuerliche Lebensgeschichte hier ihren Anfang nimmt. Eine, die an etlichen Schauplätzen der europäischen und später sogar internationalen Geschichte spielt. Und eine, die Spuren hinterlässt – in Form etlicher Bücher. Unumstritten sind Leben und Werk des Bueraners nicht. Damals wie heute.

Dabei scheint der Weg des jungen Mannes vorgezeichnet: Die Mutter ist eine Bauerntochter, der Vater Bauarbeiter. Die Familie ist streng religiös. So sehr sich die Eltern im erarbeiteten Kleinbürgertum eingerichtet haben, die Kulisse ihres Lebens ist der schmutzige Kohlenpott, der den jungen Eduard prägt. Mit 15 Jahren beginnt er eine Maurerlehre, die er zwei Jahre später abschließt. Nun könnte auch er sich einrichten in dieser Welt – doch der junge Mann ist unzufrieden. In seinem autobiografischen Roman „Salz der Erde“ blickt er später recht gnadenlos auf seine Kindheit und Jugend zurück: „War das überhaupt eine Kindheit? Alles, was schlecht ist, haben wir gelernt, aber wenig Gutes gesehen. Als wir wussten, was gut ist, haben wir sogar versucht, es zu sein, und das, glaube ich, muss man hoch anrechnen.“

Von Gelsenkirchen-Buer aus in die Welt

Eduard Claudius will etwas bewegen. Er engagiert sich, wird 1926 Gewerkschaftskassierer und Arbeiterkorrespondent beim „Ruhr-Echo“, der Zeitung der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Parteimitglied wird er erst einige Jahre später. Seine politische Gesinnung aber ist geprägt. Die Enge des westfälischen Buers hält er nun nicht mehr aus. Nach Abschluss seiner Lehre geht er auf die Walz durch ganz Europa. Eine Flucht in die Fremde. „Ein proletarischer Draufgänger und ein spontaner Rebell war er wohl in seiner Jugend“, beschreibt ihn später der große Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki in seinem Buch „Ohne Rabatt. Über Literatur in der DDR“.

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Die gemeinhin so erfolgreich geglaubte kapitalistische Welt steht am Abgrund – überall, wo Eduard Claudius hin kommt, ob in Österreich, der Schweiz, Südfrankreich oder Spanien. Der Zusammenhalt der Arbeiter scheint in seinen Augen die einzige Antwort. An die Gewerkschaften glaubt er da schon nicht mehr. Als er erlebt, wie in der Schweiz ein Streik von der Gewerkschaftsführung selbst abgewürgt wird, reagiert er mit einen Gedicht, das zu seinem Ausschluss aus der Gewerkschaft führt.

In der Schweiz saß er in Internierungslagern und Gefängnissen

Reich an Erfahrungen kehrt Eduard Claudius 1932 heim. Hier erlebt er die Folgen der Weltwirtschaftskrise: Die Arbeitslosigkeit ist ebenso groß wie das Elend. Der junge Mann tritt in die Kommunistische Partei ein. Eine gefährliche Entscheidung am Vorabend der Machtergreifung der Nazis. Bald ist klar: Wieder muss der Maurer seine Heimat verlassen.

Den Roman „Menschen an unserer Seite“ schrieb Eduard Claudius nach seiner Übersiedlung in die DDR.
Den Roman „Menschen an unserer Seite“ schrieb Eduard Claudius nach seiner Übersiedlung in die DDR. © WAZ FotoPool | Thomas Schmidtke

1934 geht er in die Schweiz. Doch seiner politischen Arbeit wegen ist er hier keineswegs willkommen. Von acht Jahren in der Schweiz verbringt er ganze sechs in Internierungslagern und Gefängnissen. Einmal sogar soll er ausgeliefert werden nach Deutschland. Das wäre wohl einem Todesurteil gleichgekommen. Ein Schweizer Kriminalbeamter mit Herz weiß das wohl, als er Eduard Claudius in einen Zug nach Deutschland setzt und ihm mit auf den Weg gibt, er könne ihn leider nicht eskortieren und bis zur Grenze seien es noch drei Stationen.

Im Kampf gegen die Truppen Francos in Spanien

Eduard Claudius folgt dem Ruf „Waffen für Spanien“, kämpft hier im Bürgerkrieg mit zahlreichen Menschen, die völlig unterlegen scheinen, gegen die faschistischen Truppen Francos und rettet mit ihnen (zumindest vorerst) Madrid. Zweimal wird er verletzt, 1938 dann als „kriegsuntauglich“ nach Frankreich entlassen. Nach einem Jahr dort kehrt er illegal in die Schweiz zurück. Das Erlebte verarbeitet er in Schriften. Jetzt ist er ein Autor – bald sogar ein anerkannter, in gewissen Kreisen. Verhaftet wird er dennoch. Und diesmal sieht es ernst aus. Einmal mehr soll der Schriftsteller an Nazi-Deutschland ausgeliefert werden. Allein den Bemühungen seiner Frau und dem Engagement Hermann Hesses ist es zu verdanken, dass Eduard Claudius „verschont“ wird, ihm statt einer Ausweisung etliche Jahre in Internierungslagern bevorstehen.

Mittlerweile sind sein Roman „Grüne Oliven und nackte Berge“ sowie die preisdekorierten Erzählungen „Mensch auf der Grenze“ erschienen. Als nun noch der Schweizer Schriftstellerverband für ihn interveniert und das Dritte Reich vor dem Ende steht, wird er freigelassen. Im Juni 1945 kehrt er nach Deutschland zurück. Zunächst arbeitet er als Pressechef der Entnazifizierungsbehörde in München, schreibt zeitgleich für Zeitungen. So auch nach seiner Rückkehr nach Buer. Er berichtet über die Krise im Ruhrbergbau, unter anderem für die Süddeutsche Zeitung.

In der DDR findet Eduard Claudius seine neue Heimat

Im Jahr 1947 ist seine Teilnahme am ersten deutschen Schriftstellerkongress in Berlin ein Wendepunkt im Lebens des Eduard Claudius. Er siedelt nach Berlin über. In die russische Zone. Hier arbeitet er als Lektor und schreibt viel. Bald auch seinen Roman „Menschen an unserer Seite“. Bei einem Schriftstellerkongress im Jahr 1950 begegnet er Hans Garbe, einem Ringofenmaurer, der dem Autor von seiner Aktivistenleistung erzählt. „Ich wusste schon beim ersten Wort, das war mein Stoff.“ Und es ist sein endgültiger Durchbruch. Auch wenn die politische Führung seiner Wahlheimat, der DDR, ein durchaus ambivalentes Verhältnis zu ihm hat. So stromlinienförmig, wie man sie gern hätte, ist seine Literatur nämlich nicht. Auch wenn sie grundsätzlich den kommunistischen Staat natürlich nicht in Frage stellt.

Und so ist es nicht ganz klar, ob man ihn ehren oder sich seiner entledigen will, als man ihn 1956 als Generalkonsul nach Syrien schickt. 1959 wird er für zwei Jahre Botschafter in Vietnam. Ho Chi-Minh, der vietnamesische Revolutionär und kommunistische Politiker, bedeutet ihm wohl so etwas wie eine Vaterfigur. Nach seiner Heimkehr arbeitet Eduard Claudius wieder als Schriftsteller. 1965 wird er ordentliches Mitglied der Akademie der Künste in Berlin, wird vier Jahre später deren Vizepräsident.

Obwohl es scheint, als habe er sich abgewendet von seinen Wurzeln, seiner Geburtsstadt, seiner Familie, so hält der Autor doch Kontakt. Nach einem Besuch bei seinem Bruder in Buer stirbt er am Montag, 13. Dezember 1976, auf der Rückreise am Potsdamer Bahnhof. Dieser Text erschien erstmals im Januar 2022.