Essen. Klublegende Jupp Tenhagen spricht ausführlich über den VfL Bochum und hat seine Enkelin Mailin zum Interview mitgebracht.

Natürlich kommen sie gemeinsam. Der Großvater bringt die Enkelin mit – so wie er sie früher mit zum Fußball nahm. Jupp Tenhagen, 72, und Mailin Tenhagen, 17, streben auf den Rasen zu. Die Schülerin kennt sich hier aus: Sie gehört zum Profikader des Frauen-Bundesligisten SGS Essen. Sie setzt eine Familientradition fort: Ihr Vater Harald Katemann verteidigte für Fortuna Düsseldorf, ihr Großvater lief für Rot-Weiß Oberhausen und Borussia Dortmund auf, beim VfL Bochum ist er sogar eine Legende, war dort erst Spieler, dann Trainer. Später baute der dreimalige Nationalspieler ein Sportgeschäft und eine Fußballschule auf. Von der profitierte Mailin Tenhagen. Wie sie sich nun lachend den Ball zukicken, lässt erahnen, wie das alles für sie begann.

Mailin, hast du das Fußballspielen wirklich von deinem Großvater gelernt?

Mailin Tenhagen: Ja, schon als ich klein war haben wir zusammen im Garten gespielt. Später durfte ich dann mit in seine Fußballschule – erst nur zum Zugucken mit Mama und Papa, dann war erst Opa und später mein Papa mein Trainer.

Wie damals im Garten: Jupp Tenhagen und seine Enkelin Mailin auf dem Gelände der SGS Essen.
Wie damals im Garten: Jupp Tenhagen und seine Enkelin Mailin auf dem Gelände der SGS Essen. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Haben Sie die Fußballbegeisterung Ihrer Enkelin befeuert, Herr Tenhagen?

Jupp Tenhagen: Sie hat es natürlich freiwillig gemacht, aber ich habe es auch genossen, wenn wir gespielt haben als sie klein war. Das hat mir großen Spaß gemacht. Dass sie Fußballerin sein will, habe ich immer befürwortet.

Hattest du überhaupt eine Chance, am Fußball vorbeizukommen?

Mailin: Das glaube ich schon. Mir war das immer freigestellt, ob ich Fußball spiele oder nicht. Ich habe viele Hobbys ausprobiert, habe auch lange Leichtathletik gemacht. Aber ich hatte immer Spaß daran, rauszugehen und mit Freunden Fußball zu spielen. Erst als es dann in eine leistungsorientierte Richtung ging, ich das erste Mal für eine Jugendauswahl der Nationalmannschaft nominiert wurde, bin ich komplett beim Fußball hängen geblieben. Da dachte man: Das könnte was werden – und jetzt bin ich mit Herz und Seele dabei.

Jupp Tenhagen über Enkelin Mailin: „Sie ist fußballverrückt“

Haben Sie direkt ein Talent erkannt, Herr Tenhagen?

Jupp: Im Laufe der Jahre schon. Sie ist fußballverrückt, wollte bei jeder Gelegenheit dabei sein, wenn ich oder ihr Vater als Trainer am Platz waren. Egal, wo wir uns gesehen haben: Wir haben immer zusammen Fußball gespielt. Irgendwann hat sie dann schnell deutliche Entwicklungsschritte gemacht. Sie hatte natürlich ideale Voraussetzungen, weil sowohl ihr Opa als auch ihr Papa Profi waren und sich auskennen.

Sie waren beide Verteidiger – hätte Mailin überhaupt eine andere Position wählen dürfen?

Jupp: Ach, das war völlig egal. Wenn wir eine gute Stürmerin in der Familie bekommen hätten, wäre das auch kein Problem gewesen. (lacht)

Wie begleiten Sie die Karriere weiter? Geben Sie auch mal Tipps am Platz?

Jupp: Dafür braucht sie mich gar nicht – das macht sie zusammen mit ihrem Papa. Aber ich bin oft bei ihren Spielen dabei. Wir haben gemeinsam Spiele der Frauenteams besucht. Auch bei der Männer-EM in diesem Jahr haben wir einige Spiele zusammen geschaut. Und wir unterhalten uns oft. Wenn sie Rat braucht, weiß sie, dass sie jederzeit fragen kann. So bekommt sie von allen Seiten die Hilfestellung, die sie braucht.

Mailin Tenhagen: Der Nachname bedeutet keinen Druck

Setzt dich das unter Druck, aus so einer erfolgreichen Fußballfamilie zu stammen?

Mailin: Nein, mir nimmt das eher Druck. Denn Papa und Opa kennen meine Situation, weil sie auch den Weg gegangen sind. Ich sehe es eher als große Hilfe, dass sie mir Tipps geben. Auch sie machen mir keinen Druck oder haben besondere Erwartungen.

Wirst du oft auf deinen Nachnamen angesprochen?

Mailin: Schon öfter, vor allem in unserer Umgebung. Gerade in der Schule, von Lehrern. Die fragen dann: „Ach, Tenhagen – bist du die Enkelin von Jupp?“ Mich stört das überhaupt nicht, ich finde es schön, darauf angesprochen zu werden. Manche haken dann nach, ob ich auch Fußball spiele und dann kann ich sogar von mir erzählen. (lacht)

Interview mit zwei Generationen einer Fußballfamilie: Redakteurin Melanie Meyer mit den Tenhagens.
Interview mit zwei Generationen einer Fußballfamilie: Redakteurin Melanie Meyer mit den Tenhagens. © FUNKE Foto Services | Lars Heidrich

Was weißt du denn über die Karriere deines Opas?

Mailin: Relativ viel, denke ich. Ich habe mich mit Papa und Opa immer wieder darüber unterhalten. Für welche Vereine er gespielt hat, welche Positionen, wo er warum wie lange war…

Und welche Frisur er getragen hat?

Mailin: Oh ja, ich kenne die Bilder. (beide lachen)

Gibt es bei euch zu Hause eine Mappe mit alten Autogrammbildern?

Mailin: So ähnlich: eine Schublade. Darin ist alles, was man früher so gesammelt hat. Das habe ich mir immer mal wieder angeguckt. Viele Zeitungsausschnitte sind dabei, Papas und Opas Autogrammkarten – und meine sind mittlerweile auch darin.

Macht das den Opa stolz?

Jupp: Aber ohne Zweifel! Ich habe damals jeden Kicker aufgehoben und meinem Vater gegeben. Dazu gab es drei bis vier Ordner mit eingeklebten Berichten.

Jupp Tenhagen: Ausbootung vor der WM 1978

Was für eine Schatztruhe! Geben Sie von Ihren Erfahrungen etwas an Ihre Enkelin weiter?

Jupp: In manchen Situationen kann ich ihr schon einen Rat geben. Ich erinnere mich da an ein Länderspiel in Münster, bei dem sie eingewechselt werden sollte, es dann aber doch nicht so kam. Da war sie sehr traurig und enttäuscht. Da habe ich sie zur Seite genommen und ihr gesagt, dass so etwas dazugehört. Dass es eine Erfahrung fürs Leben ist, die man mitnehmen muss. Ich habe das in meiner Karriere ja auch erlebt.

Sie haben von Ihrer Ausbootung für die WM 1978 in Argentinien aus den Nachrichten erfahren…

Jupp: Genau, aus dem Fernsehen: das Aufgebot wurde im ZDF-Sportstudio verkündet. Ich hatte vorher keine Mitteilung bekommen, dass ich nicht dabei bin. Das war schon deprimierend. Das Erlebnis habe ich Mailin dann mit auf den Weg gegeben, danach ging der Kopf bald wieder nach oben.

Hätten Sie sich in Ihrer Karriere so eine familiäre Unterstützung gewünscht?

Jupp: Ja, klar. Aber meine Eltern hatten nichts mit Fußball zu tun. Mein Vater war Musiker, hat in einer Kapelle gespielt. Und auch meine Mutter hat sich nicht für Fußball interessiert. Ich habe für mich allein gespielt. Ich hatte nur ein bisschen meinen Bruder, der auch Spaß am Fußball hatte, um mich auszutauschen.

Und hat dir der Rat von deinem Opa geholfen?

Mailin: Auf jeden Fall. Papa und Opa haben mir beide sofort gesagt, dass das passiert und man das hinnehmen muss, wenn man im Leistungsbereich unterwegs ist. Aber dass man nicht aufgeben darf, weitermachen muss. Daran habe ich mich gehalten und danach ging es wieder bergauf.

Bei der SGS Essen hast du mit 16 Jahren deinen ersten Profivertrag unterschrieben, wartest derzeit auf deinen ersten Bundesligaeinsatz. Wie ist es dir bisher ergangen?

Mailin: Ich bin sehr gut im Team aufgenommen worden. Aber es ist schon etwas anderes, alles ist einfach schneller – auch für den Kopf. Aber ich suche viel den Kontakt zu den erfahrenen Spielerinnen, hole mir Tipps und merke bei jedem Training, dass ich mich weiterentwickle.

Jupp Tenhagen: Diese Summen können für den VfL Bochum gefährlich werden

Würden Sie heute nochmal Profi sein wollen, Herr Tenhagen?

Jupp: Auf jeden Fall.

Das kam ohne Zögern. Was macht Sie da so sicher – die Zeiten sind ja doch andere.

Jupp: Natürlich hat sich viel geändert. Allein das hohe Interesse der Medien. Auch wir wurden schon manchmal erkannt, aber heute ist ja nur noch sehr wenig Raum für private Dinge. Durch die ganzen Sozialen Medien müssen die Spieler ja immer vorsichtig sein, stehen unter ständiger Beobachtung. Das ist schon schwierig. Aber Fußballer zu werden, Profi zu sein – das würde ich jederzeit wieder machen. Es war eine tolle Zeit – egal, ob in Oberhausen, Bochum, Dortmund oder mit der Nationalmannschaft.

Nur Ihr Gehalt war damals nicht so hoch…

Jupp: Das ist natürlich heute alles explodiert. Da stellt sich aber die Frage, wie lange das alles so weitergeht. Diese Summen bergen eine große Gefahr – gerade für kleine Vereine wie den VfL Bochum.

Sie sitzen bei Ihrem Herzensverein noch im Aufsichtsrat.

Jupp: Daher weiß ich, wie schwer es ist. Wir als VfL haben einfach nicht die Möglichkeiten, bei den Gehältern wer weiß wie mitzugehen. Wir merken die Probleme auch beim Thema Stadionausbau. Für höhere Einnahmen müssten wir den VIP-Bereich deutlich vergrößern. Doch wir liegen mitten in einem Wohngebiet, wir haben kaum Platz für einen Ausbau. Wir können das Stadion auch nicht verlegen – unsere Fans möchten es an der Castroper Straße haben. Wir haben also allein bei der Vermarktung schon einen großen Nachteil gegenüber anderen Vereinen.

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Und das wiederum macht es schwer, große Namen anzulocken.

Jupp: Man hofft ja immer, dass man zum Beispiel bei der Trainersuche einen findet wie Fabian Hürzeler. Ein recht unbekannter Trainer, der St. Pauli aber zum Bundesliga-Aufstieg geführt hat. Davon träumt man, diesen einen idealen Trainer für eine Mannschaft zu finden. Das ist aber sehr schwierig. Wir haben jetzt leider zweimal erlebt, dass es nicht geklappt hat.

Sie bekommen die Prozesse hautnah mit, sind bei den Entscheidungen dabei gewesen.

Jupp: Ich als ehemaliger Trainer tue mich sehr schwer damit, wenn es um eine Trennung geht. Ich habe diese Situation am eigenen Leib erfahren. Ich weiß, wie es sich anfühlt, wenn der Präsident auf dich zukommt und dir sagt: „Mein lieber Jupp, du bist mit den Jungs aufgestiegen, alles wunderbar, aber nach fünf Spieltagen bist du einfach nicht mehr der Richtige.“ Das tut weh.

Also versuchen Sie, Ihre Erfahrung zu nutzen, um so eine Entscheidung wertschätzender zu treffen?

Jupp: Ja, genau.

Jupp Tenhagen: Darum sagte er den Bayern ab und blieb beim VfL Bochum

Als Großvater können Sie nicht entlassen werden. Die Familie hat für Sie schon früher eine wichtige Rolle gespielt. Auch als Sie dem großen FC Bayern abgesagt haben.

Jupp: Aus sportlicher Sicht hätte ich es gerne machen wollen. Aber ich habe es damals anders entschieden, weil meine Frau nicht nach München wollte. Wir hatten zwei kleine Kinder – eines davon ist Mailins Mama – die wollte ich nicht alleine lassen. Also bin ich beim VfL geblieben. Ich glaube, mein ganzer Werdegang hätte anders laufen können, wenn ich nach München gegangen wäre: Wenn ich `78 in München gespielt hätte, dann wäre ich mit nach Argentinien zur WM gefahren. Aber gut: Das ist vorbei. Ich habe mich entschieden und habe nie einen Gedanken daran verschwendet, mich zu ärgern, dass ich es nicht gemacht habe. Die Familie war mir letztlich wichtiger.

Gut für dich, Mailin, dass der Opa so ein Familienmensch ist. Was beeindruckt dich an seiner Karriere am meisten?

Mailin: Wie er damit umgegangen ist, dass er nicht zur WM fahren durfte. Dass er trotzdem weitergemacht, nie aufgehört hat, seinen Weg zu gehen. Für mich nehme ich mit, dass man nicht immer die scheinbar beste Entscheidung treffen sollte, sondern schauen muss, was für einen selbst das Beste ist.

Ist Ihr Interesse am Frauenfußball durch Ihre Enkelin gestiegen, Herr Tenhagen?

Jupp: Auf jeden Fall. Da habe ich dann schon angefangen, genauer hinzuschauen, mich mehr damit zu beschäftigen.

Und wie ist Ihre Einschätzung?

Jupp: Der Frauenfußball hat immens an Interesse gewonnen. Die Kulisse mit ausverkauftem Haus hat sich super entwickelt. Ich sehe das ja beim VfL, da bin ich Pate vom Damenfußball. Es ist eine tolle Entwicklung, dass alle Männer-Bundesligisten jetzt in den Frauenfußball streben, versuchen in die erste Liga zu kommen. Dortmund, Schalke, wir – da liegt gerade stark der Fokus drauf und das finde ich gut. Ich kenne ja noch nicht Anfänge von damals.

Hatten Sie da mal Berührungspunkte mit Fußballerinnen?

Damals hat es kaum Begegnungen gegeben. In unserer Region war das alles auf Kreisliganiveau, da habe ich mir schonmal was angesehen, aber die Anfänge waren von der spielerischen Ästhetik, der Qualität natürlich noch nicht so toll. Das ist nicht zu vergleichen mit dem, was Mailin jetzt schon kann. Zum Glück ist die Entwicklung wahnsinnig nach vorne gegangen. Ich schaue mir Frauenfußballspiele gerne an – im Stadion, im Fernsehen.

Eine VfL-Legende namens Tenhagen bei den Bochum-Frauen?

Und wenn es bald auch eine VfL-Legende mit Nachnamen Tenhagen bei den Frauen gibt, wäre das dem Opa wahrscheinlich auch recht?

Jupp: (lacht) Ach, da bin ich ganz entspannt. Für mich ist es wichtig, dass sie Spaß hat und dabei erfolgreich ist – da ist der Verein erstmal zweitrangig. Ich glaube, dass sie von der Entwicklung den richtigen Weg gegangen ist. Dass es richtig war, von Lowick, wo sie noch mit den Jungs zusammengespielt und in Sachen Körperlichkeit und Schnelligkeit extrem davon profitiert hat, jetzt nach Essen zu kommen. Ich wünsche ihr, dass sie hier irgendwann Stammspielerin werden kann.

Ist für dich ein großer Klubname reizvoll, Mailin?

Mailin: Der Klubname ist mir zwar nicht egal, aber nicht das Wichtigste. Man merkt, dass bei den großen Klubs einiges bevorsteht. Aber bei Männer-Vereinen ist der Frauenbereich immer im Schatten, hier in Essen ist es anders. Wir sind das Aushängeschild, das Umfeld ist ideal. Das ist schon cool.

Mailin Tenhagen (r.) hier noch im Einsatz für die U17 der SGS Essen.
Mailin Tenhagen (r.) hier noch im Einsatz für die U17 der SGS Essen. © FUNKE Foto Services | Michael Gohl

Nun ruht der Fußball für ein paar Tage. Wie verbringen Tenhagens denn das Weihnachtsfest?

Jupp: Wir kommen einen Tag im Kreis der Familie ab nachmittags zusammen und verbringen dann Weihnachten miteinander, ganz klassisch mit gemeinsamem Essen.

Aber Hand aufs Herz: Ganz ohne Fußball geht es doch sicher nicht. Wer beginnt als erster eine Diskussion über den letzten Bundesligaspieltag?

Mailin: Ich glaube, der Opa

Jupp: (lacht) Ja, wahrscheinlich bin ich das, wenn es ein spannendes Thema gibt.

Bleibt noch die Frage nach dem Weihnachtswunsch – die geht an die Enkelin: Mailin, was wünscht du dir für deine Karriere?

Mailin: Zunächst, dass ich bald meinen ersten Bundesligaeinsatz bekomme. Wann und gegen wen ist mir fast egal, das erste Spiel ist immer was Besonderes. Aber bei einem Heimspiel an Hafenstraße vor der Kulisse mit den Fans aufzulaufen – das wäre ein großer Wunsch von mir.