Bochum. Der VfL Bochum ist ohne größere Verletzung durch die Saison gekommen. Großen Anteil hat daran auch die Umsetzung einer Idee des Athletiktrainers.
Seit fast zehn Jahren ist Jörn Menger Athletiktrainer beim VfL Bochum. Sein Arbeitsgebiet ist gefühlt in dieser Zeit immer wichtiger geworden. Der 43-Jährige hat in dieser Saison eine besondere Testung der Spieler eingeführt. Bei der Frage, welchen Anteil seine Arbeit an dieser erfolgreichen Saison, findet er eine besondere Antwort.
Hallo Herr Menger. Zunächst einmal: Erklären Sie uns doch bitte einmal, wie Ihre Arbeit als Athletiktrainer beim VfL Bochum in einer Saison täglich, wöchentlich, monatlich aussieht?
Jörn Menger: Eine scheinbar einfache Frage, die aber eine lange Antwort erfordert. Als Athletiktrainer plane ich gemeinsam mit dem Cheftrainer im Voraus die athletischen Inhalte und Zielsetzungen für die gesamte Saison. Am Beispiel Kraftentwicklung werden für die jeweiligen Kraftmethoden die Umsetzung, Dauer und alle weiteren Belastungsnormative in Kombination mit den Transferleistungen zur Kraftentfaltung besprochen und bestimmt. Zu den erwähnten Transferleistungen zählen Antritt, Beschleunigung, Speed und Sprungkraft. Voraussetzung für ein sinnvolles und zielführendes Athletiktraining ist die Leistungsdiagnostik, die in enger Zusammenarbeit mit unserem Datenanalyst und Leistungsdiagnostiker Rexhep Kushutani geplant und durchgeführt wird. Basierend auf der Diagnostik erhalten wir ein individuelles athletisches Profil von jedem Spieler, welches die Basis der athletischen Trainingseinheiten darstellt. Im Allgemeinen werden die methodischen Stufen in vier bis sechs Wochenblöcke eingeteilt, in denen systematisch ein jeweiliges Krafttrainingsziel mit den verschiedenen Transfertrainingszielen verbunden wird. Im täglichen Ablauf stehen neben den athletischen Einheiten noch die so genannte „Trainings-Readyness-Testung“ sowie die Erhebung und Auswertung des subjektiven Belastungsempfindens auf der Tagesordnung. Die Readyness-Testung hat dabei einen präventiven Charakter, um nach den jeweiligen Systemzuständen – hierbei werden jeweils das Nerv-, Muskel- und Hormonsystem berücksichtigt – die subjektiven Trainingsvoraussetzungen zu überprüfen und ggf. eine notwendige, individuell angepasste Trainingsteilnahme eines Spielers zu steuern. Das subjektive Belastungsempfinden dient nach dem Training der Erhebung des zeitlichen Trainings-Loads, d.h. geleistete körperliche Arbeit im zeitlichen Verlauf, und stellt eine sehr sensible Methode zur Kontrolle von verschiedenen Trainingszuständen, zum Beispiel Trainingspausen, Bestleistung, Überbelastung oder Überlastung, dar. Die Erhebung und Steuerung dieser subjektiven Trainingszustände ist ein wichtiges Instrument in der Verletzungsprävention. Darüber hinaus finden an mehreren Tagen im Nachgang zum gruppenbasierten Athletiktraining noch Individual- oder Kleingruppeneinheiten statt.
Müssen Sie noch viel Aufklärungsarbeit bei Spielern und Trainern leisten, wie wichtig Ihre Arbeit ist?
Jörn Menger: Nein. Allgemein, nicht nur beim VfL Bochum, ist im Profi-Fußball mittlerweile die athletische Ausbildung und das athletische Entwicklungs- und Erhaltungstraining vollständig implementiert. Der VfL hat eine klare Haltung zur Position des Athletiktrainings im Lizenz- und im Nachwuchsbereich, und diese wird von allen Beteiligten gemeinsam gelebt und erfolgreich umgesetzt.
Als Sie 2012 zum VfL Bochum kamen, spielte der VfL Bochum schon wieder zwei Jahre in der 2. Liga. Wie groß ist Ihre Hoffnung, Ihr Wunsch, wieder in die Bundesliga zurückzukommen?
Jörn Menger: Sehr, sehr groß. Ich denke, so geht es jedem, der eng mit dem VfL verbunden ist. Die aktuelle Situation ist für mich auch einmalig in meiner bisherigen Laufbahn. Diese sehr positive Anspannung stellt schon eine ganz besondere Erfahrung für mich dar.
Wie hat sich ihre Arbeit beim VfL Bochum seit 2012 bis heute verändert?
Jörn Menger: Meine Arbeit ist immer abhängig von dem jeweiligen Cheftrainer. Denn auch wenn wir ein klares Athletikkonzept haben und dieses im Verein implementiert ist, stehen die sportartbezogenen Themen und Einheiten nach Vorgabe des Cheftrainers immer im Vordergrund. Ich durfte unter verschiedenen Trainern in unterschiedlichster Form die Umsetzung unseres Athletikkonzepts realisieren. Was zugegebenermaßen nicht immer ganz einfach, jedoch immer sehr lehrreich war.
Das Aufwärmprogramm vor den Spielen sieht bei vielen Bundesligisten und Zweitligisten gleich aus. Haben die Athletiktrainer sich abgesprochen oder sind inzwischen die besten Übungen gefunden worden, um die Spieler auf Betriebstemperatur zu bekommen und Verletzungen zu vermeiden?
Jörn Menger: Es geht nicht um die Übungen an sich, sondern eher um die Funktion dieser Übungen. Es herrscht weitestgehend Einigkeit darüber, welche Zielsetzungen mit welchen Übungen in welcher Reihenfolge zur optimalen Aktivierung und Verletzungsprävention vor dem Spiel angewendet werden. Dabei geht es der Reihenfolge nach um eine kurze Klimatisierung im Stadion und die Aktivierung des Herz-Kreislauf-Systems, was durch kurzes Einlaufen erfolgt. Anschließend eine Steigerung des Herz-Kreislauf-Systems unter Aktivierung des Gelenk-Bänder-Sehnen-Apparats, als Lauf-ABC bezeichnet. Es folgen: eine Mobilisation und Optimierung der Gelenke und Gelenkradien, eine kontrollierten Be- und Entschleunigung, hervorgerufen durch Sprünge mit Landungen, eine neuro-muskuläre Aktivierung und eine Verbindung von dynamischen Bewegungen mit Richtungswechseln, um die Agilität zu fördern.
Die Werte der Spieler werden im Training und im Spiel genommen. Welche Werte werden genau erfasst und wie lange dauert es, bis die ausgewertet sind?
Jörn Menger: Wir erhalten von der Liga pro Spiel eine sehr ausführliche Datensammlung, die sowohl die technischen, physischen wie auch die taktisch-strategischen Werte pro Spieler und im Mannschaftsvergleich beinhalten. Die Datensammlung wird wiederum von unserem Datenanalyst aufbereitet und dem Trainerteam wie der Mannschaft zur Verfügung gestellt. Beim Training tracken wir die Laufdaten über das POLAR-System, welches uns ebenfalls vielfältige Auswertungsmöglichkeiten bietet, um die physische Leistung zu messen und zu vergleichen. Es werden Distanz, Dauer, Intensität, Sprints, Tempoläufe und noch einiges mehr gemessen. Hierbei spielt das sogenannte „Load-Management“ eine sehr wichtige Rolle, da dies für die Trainingsprogression, also die Leistungsentwicklung und Anpassung, sowie für die Verletzungsprävention von hoher Bedeutung ist. Die Auswertung erfolgt standardisiert in Echtzeit. Zusätzlich erstellt Rexhep Kushutani einen ausführlichen Trainings-Monitoring-Report nach jedem Training, welcher dem Trainerteam zur Verfügung gestellt wird.
Die Spieler sollen nach einem Training immer auch angeben, wie sie die jeweilige Belastung empfunden haben. Wie gut sind die Spieler in ihrer Beurteilung?
Jörn Menger: Die Beurteilung hängt natürlich immer von dem einzelnen Spieler ab, wird aber mit der Zeit immer genauer. Die Tageswerte werden immer in Relation zu einem individuellen vierwöchigen Durchschnittswert gesetzt und haben daher eine sehr genaue Aussagefähigkeit pro Spieler.
In der vergangenen Saison spielte der VfL gegen den Abstieg, nun spielt der VfL um den Aufstieg. Welche Erklärung können Sie als Athletiktrainer dafür liefern?
Jörn Menger: Ich werde mich als Athletiktrainer nur zu den athletischen Themen äußern. Hier sind zwei Faktoren primär zu benennen: Zum einen habe ich mit Thomas Reis und Markus Gellhaus ein Trainerteam, welches mir als Athletiktrainer vollständig vertraut und mich bestmöglich unser Athletikkonzept umsetzen lässt. Und zum anderen steht die Mannschaft mit vollem Einsatz hinter den, zugegebenermaßen nicht immer freudespendenden, athletischen Inhalten und setzt diese überragend um. Diese beiden Faktoren erzeugen eine enorme Leistungskultur und -entwicklung innerhalb der Mannschaft, welche aus athletischer Sicht ihren Anteil zum bisherigen Saisonverlauf hat.