Essen. . Bundestrainer Henning Lambertz will die deutschen Schwimmer wieder in die Weltspitze führen - mit mehr Trainingskilometern und einem härteren Qualifikationsmodus. Wir haben uns vor der Deutschen Meisterschaft in Berlin mit Lambertz unterhalten.

Die deutschen Schwimmer haben zuletzt nur durch Pleiten von sich reden gemacht. Chef-Bundestrainer Henning Lambertz soll und will sie zurück in die Weltspitze führen. Lambertz hat erste Maßnahmen ergriffen: Ein neues Qualifikationssystem für die Europameisterschaft im August in Berlin und die Gründung eines Perspektivteams für Olympia 2016. Von Donnerstag bis Sonntag wird sich bei den Deutschen Meisterschaften in Berlin zeigen, ob es bereits einen Aufwind gibt.

Herr Lambertz, sind Sie froh, dass in diesem Sommer keine WM, sondern eine EM ausgetragen wird?

Henning Lambertz: Ich bin vor allem froh, dass die EM in Deutschland stattfindet. Das hat uns 2002 auch schon in Berlin einen Rückenwind verschafft. Wenn die Bude mit 6000 Zuschauern richtig voll ist, werden ihre Anfeuerungsrufe bei 90 Prozent unserer Schwimmer keine Versagensängste auslösen, sondern ihnen einen Schub nach vorn geben.

Welche Ziele werden Sie für die EM ausgeben?

Lambertz: Wir wollen zeigen, dass wir in unserem Wohnzimmer zu den besten drei, vier Nationen zählen. An die starken Franzosen, Russen oder Briten werden wir vielleicht noch nicht herankommen, aber hinter Italien, Spanien oder den Niederlanden müssen wir uns nicht verstecken.

Und langfristig?

Lambertz: Wir wollen wieder die Nummer eins in Europa und die Nummer 4 bis 6 auf der Welt werden.

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In London ging das deutsche Team erstmals seit 80 Jahren bei Olympischen Spielen leer aus. In Barcelona langte es 2013 nur zu Silber durch Marco Koch. Wie viele Medaillen dürfen die Schwimm-Fans bei der EM in Berlin erwarten?

Lambertz: Ich weiß, jeder schielt auf die Medaillen, aber mich darf das bis Rio nur zweitrangig interessieren. Wir müssen langfristig denken. Die Zielvorgabe des Deutschen Olympischen Sportbundes sieht für die EM sechs bis acht Medaillen in den Beckenwettbewerben vor. Wenn alle Sterne gut stehen, ist das möglich.

Wie weit ist Paul Biedermann, der im letzten Jahr pausiert hat?

Lambertz: Paul hat nur eine Woche wegen Krankheit pausieren müssen. Er ist wieder fast bei voller Kraft und Stärke. Ein Paul Biedermann ist natürlich bei einer EM immer ein Medaillenkandidat.

Von Donnerstag bis Sonntag geht es um die deutschen Meistertitel. Welchen Stellenwert hat die DM in Berlin?

Lambertz: Einen sehr großen, denn hier muss der erste, der schwierige Schritt zur Qualifikation für die EM getan werden.

In den vergangenen Jahren ist bei den Qualifikationskriterien viel experimentiert worden. Diesmal müssen sich die Schwimmer nicht nur bei der DM, sondern in einem Überprüfungswettkampf vier Wochen vor der EM beweisen. Warum?

Lambertz: Alles ist auf Olympia 2016 ausgerichtet. Vier Wochen vor Rio wird das Team nominiert. Wir haben zuletzt das Manko gehabt, dass wir beim Höhepunkt nicht an unsere Vorleistungen der DM herangekommen sind. Es ist normal, dass nur 40 Prozent aller Schwimmer bei den großen Meisterschaften ihre Zeiten der Qualifikation bestätigen. Bei uns waren es aber nur 20 Prozent. Das ist definitiv zu wenig.

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Sie erzeugen Druck bei Ihren Schwimmern. Wäre nicht eher Vertrauen nötig?

Lambertz: Wir haben über 16 Jahre einen Weg bestritten. Es hat so nicht geklappt. Im Hochleistungssport ist Druck normal. Wir mussten etwas ändern. Wenn man immer wieder die gleichen Zutaten in den Brei rührt, dann schmeckt er auch genauso schlecht wie bisher.

Sie haben ein 17-köpfiges Perspektiv-Team gegründet. Die Talente trainieren viele Wochen zusammen und unterziehen sich regelmäßigen Leistungskontrollen. Sehen Sie schon einen Erfolg?

Lambertz: Von 17 Schwimmern haben sechs, sieben die meisten Maßnahmen mitgemacht. Andere haben oft gefehlt. Sie sehen meinen Weg offensichtlich nicht als ihren an. Wir werden uns nach der DM zusammensetzen und überlegen, ob es nicht besser ist, wenn sie das Team verlassen. Das heißt aber nicht, dass sie nicht nominiert werden können. Am Ende zählt die Leistung.

Ihrer Meinung nach ist der Hauptgrund für die schlechten Ergebnisse die zu niedrigen Trainingsumfänge der deutschen Schwimmer. Sie halten schon 1500 Kilometer pro Jahr für Zehnjährige und 3000 Kilometer für 15-Jährige für nötig, um in die Weltspitze zu gelangen. Das erfordert einen großen Zeitaufwand.

Lambertz: Das ist richtig, aber die angeführten Werte sind absolute Maximalwerte, und anders geht es in einer Ausdauerdisziplin nicht. Was ich in diesem Alter versäume, ist später nicht mehr aufzuholen. Oder höchstens von ganz wenigen Ausnahmesportlern wie Marco Koch, der ein einzigartiges Gefühl für das Brustschwimmen hat.

Bedroht G 8, also die Gymnasialzeit in acht statt in neun Jahren zu absolvieren, den Leistungssport?

Lambertz: Ja, definitiv. Man kann dem Land Niedersachsen nur gratulieren, G 9 wieder eingeführt zu haben. Ich hoffe, viele Länder werden folgen.