Chartres. Bradley Wiggins wird aller Voraussicht nach der erste britische Gesamtsieger der Tour de France. Auch das zweite Einzelzeitfahren entschied der Mann im Gelben Trikot für sich und fährt nun als Gesamtführender nach Paris. Nur ein Sturz könnte ihn jetzt noch stoppen.

Der designierte Tour-de-France-Sieger Bradley Wiggins hat im Expresstempo die letzten Zweifel an seinem Gesamterfolg beseitigt. Der 32-Jährige stürmte beim letzten Einzelzeitfahren der 99. Frankreich-Rundfahrt zu seinem zweiten Tagessieg und vergrößerte noch einmal seinen Vorsprung vor Edelhelfer Christopher Froome, der als Zweiter auf den 53,5 Kilometern für eine erneute Demonstration des Sky-Teams sorgte, auf 3:21 Minuten.

"Wunderschön. Einfach nur wunderschön", beschrieb ein sichtlich bewegter Wiggins seine Gefühlslage: "Es war eine lange Reise mit einem traumhaften Ende. Ich realisiere, was ich erreicht habe. Schon als Kind habe ich davon geträumt." Der erste britische Tour-Triumph ist Wiggins höchstens noch durch einen Sturz zu nehmen. Auf der Schlussetappe nach Paris ist damit aber nicht zu rechnen, da traditionell keine Attacken auf den Führenden mehr erfolgen. Bei der abschließenden Tour d'Honneur wird sich das britische Siegerteam, das bisher fünf Etappen gewonnen hat und die Gesamtwertung beherrscht, vielmehr ein Schlückchen Schampus genehmigen können.

Bradley Wiggins nimmt schon jetzt Olympia-Gold in London ins Visier

"Das ist eine unglaubliche Leistung von Bradley. Er hat gezeigt, dass er der Beste ist", sagte Teamchef Dave Brailsford, der sich auch von den Diskussionen um Wiggins und Froome unbeeindruckt zeigte. Froome hatte sich in den Bergen stets stärker als sein Kapitän präsentiert. "Wir sind sehr, sehr froh, beide in der Mannschaft zu haben. Die Tour kam aber Bradley entgegen." Wiggins ist nach seiner Vorstellung auf dem Teilstück von Bonneval nach Chartres zudem einer der großen Goldfavoriten im Olympischen Zeitfahren am 1. August in London. "Es ist das nächste Ziel", sagte Wiggins.

Im Rennen gegen die Uhr setzte Wiggins von Beginn an die Bestmarken. Keiner der Konkurrenten, auch nicht Froome, kam annähernd in Reichweite des Mannes im Gelben Trikot, der schon das erste Zeitfahren für sich entschieden hatte. Schon am ersten Messpunkt nach 14 Kilometern zeichnete sich Wiggins' Erfolg ab. Der frühere Bahnspezialist und Olympiasieger auf dem Holzoval distanzierte seine Gegner Sekunde um Sekunde und war letztlich 1:16 Minuten schneller als sein Teamkollege Froome.

Radprofi Andreas Klöden verpasste eine Platzierung unter den besten Zehn

Der enttrohnte Vorjahressieger Cadel Evans war dagegen nach seinen Einbrüchen in den Bergen nicht mehr zu einer Trotzreaktion in der Lage. Der Australier wurde auf der Strecke sogar von seinem Mannschaftskollegen Tejay Van Garderen (USA) überholt und kam abgeschlagen ins Ziel. Der gebürtige Sachse Andreas Klöden (Mittweida/RadioShack) verpasste nach einer ordentlichen Fahrt den Sprung unter die besten Zehn des Gesamtklassements knapp.

In Abwesenheit von Zeitfahr-Weltmeister Tony Martin aus Cottbus, der am ersten Ruhetag der Tour wegen eines Kahnbeinbruchs ausgestiegen war und sich nun mit dem Handicap der Handverletzung auf Olympia vorbereitet, verkauften sich die deutschen Spezialisten recht gut. Tour-Debütant Patrick Gretsch (Erfurt/Argos) hielt lange die Bestzeit und wurde am Ende als bester Deutscher glänzender Sechster.

Auch Routinier Bert Grabsch (Wittenberg/QuickStep) lieferte trotz einer Erkältung und der Müdigkeit dreier harter Rennwochen als 18. eine passable Leistung. "Ich bin verschnupft, wollte aber unbedingt heute noch fahren und habe mich deshalb die letzten Tage durchgequält", sagte der 37-Jährige nach seiner Generalprobe für das Olympische Zeitfahren.

Deutschlands Grabsch traut sich bei den Olympischen Spielen alles zu

Grabsch, der neben Martin in London zweiter deutscher Starter ist, traut sich bei Olympia durchaus einen Coup zu. "So gut wie alles ist möglich", sagte er: "Ich habe schon öfter gezeigt, dass ich für eine Überraschung gut bin." Nicht zuletzt sein Weltmeistertitel im Jahr 2008 gibt ihm dafür Zuversicht.

Martin, der am Mittwoch in die britische Metropole aufbricht, ist indes nicht so optimistisch. "Ich habe unter Belastung immer noch Schmerzen. Eine Medaille zu gewinnen, wäre fast schon ein Wunder", sagte er am Samstag. Er habe "den Traum" zwar noch nicht aufgegeben, aber "die Chancen sind natürlich nicht größer geworden", fügte der 27-Jährige an. (sid)