London. Er ist der neue Weltmeister, er ist die Nummer eins der Welt: Gerwyn Price war Rugbyspieler, malochte auf Baustellen - bis er zum Darts fand.
Es war der Moment, an dem auch der Mann aus Eis nicht mehr cool blieb. Gerwyn Price schnaufte immer wieder durch. Als er bei der Siegerehrung schließlich zum 25 Kilogramm schweren WM-Pokal schreiten durfte, blickte er zunächst ungläubig Richtung Hallendach, bevor er die Trophäe mit melancholischem Blick in die Höhe stemmte und sie mit mehreren Küssen bedachte. „Der Pokal kommt dahin, wo er hingehört“, hatte der Mann, den sie wegen seiner Nervenstärke „Iceman“ nennen, vor dem Aufeinandertreffen der besten Pfeilewerfer in London angekündigt. Price hielt Wort, am Sonntagabend war er der neue Darts-Weltmeister.
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„Ich habe noch nie so einen großen Druck in meinem Leben verspürt“, sagte der 35-Jährige erleichtert nach seinem 7:3-Finalsieg gegen den Schotten Gary Anderson. Neben dem Pokal erhielt Price ein Preisgeld von 500.000 Pfund (rund 559.000 Euro). Price: „Es gibt keinen größeren Tag als diesen.“
Erst der zwölfte Matchdart findet sein Ziel
Auch während des finalen Duells im Londoner Alexandra Palace hatte der Iceman anders als sonst Nerven gezeigt, er hatte ganze elf Match-Darts vergeben und immer verzweifelter gewirkt. Zuvor hatte er zwischenzeitlich sensationelle 80 Prozent seiner Würfe auf die Doppelfelder ins Ziel gebracht. Sein zwölfter Versuch schlug schließlich in die Doppel-5 ein und brachte so die Entscheidung. Price, gebaut wie ein Baum, jubelte nun so, wie man ihn stets kannte: lauter und extrovertierter als andere, unter dem engen Shirt spannten sich die Muskeln, sein sonnenbankgebräuntes Gesicht verzehrte sich zur furchteinflößenden Grimasse. Im menschenleeren Saal, der in den Vorjahren über mehrere Wochen mit Tausenden Fans gefüllt war, regnete das Konfetti auf ihn nieder.
Price gewann damit nicht nur das wichtigste Turnier, sondern holte auch insgesamt die meisten Titel in diesem Corona-Jahr 2020. Bei der WM in London überstand er mehrere kritische Situationen wie beim 3:2 gegen Landsmann Jamie Lewis oder bei den knappen Siegen gegen die beiden Nordiren Brendan Dolan (4:3) und Daryl Gurney (5:4). Am Sonntagabend spielte er phasenweise so famos auf, dass von Beginn an wenig Zweifel daran bestand, wer den ersten großen WM-Titel des Jahres 2021 holt.
Price wollte nie Fanliebling sein
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Schon im vergangenen Jahr galt Gerwyn Price als aussichtsreicher Kandidat auf den WM-Titel. Er scheiterte damals im Halbfinale. Da war er bereits alles andere als ein Fanliebling. Der wollte er auch nie sein. Price spielt nicht, um zu gefallen oder um Freunde auf der Tour zu finden. Er spielt, um zu gewinnen. Darts betrachtet er als Arbeit, die anderen Spieler als Arbeitskollegen, sagte er einmal in einem Interview mit der Welt. „Und seien wir ehrlich: Am Ende des Tages geht es doch darum, sich gegenseitig das Geld aus den Taschen zu ziehen.“
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Geld verdient Price bei den gut dotierten Darts-Turnieren nun ohnehin mehr, als er es in seiner ersten Karriere tat. In der war Price Rugby-Spieler in der walisischen Premier Division, schaffte kurzzeitig sogar den Sprung zu den Glasgow Warriors in die multinationale Topliga Pro14. Er trug kurze Hosen, preschte auf die Gegner zu, verkeilte sich mit ihnen im Gedränge. Es wurde geklammert, geschwitzt und geblutet.
Price schaffte es in wenigen Jahren in die Weltspitze
Zufrieden war Price aber nicht, er verdiente knapp 40.000 Pfund pro Jahr, arbeitete deshalb in Teilzeit als Industrie-Isolierer auf Baustellen. Abends warf er in der Kneipe mit Stahlpfeilen auf die Scheibe. So gut, dass Darts-Profi Barrie Bates auf ihn aufmerksam wurde und ihm den Wechsel der Sportart empfahl.
Von unterklassigen Turnieren arbeitete Price sich ab 2014 auf den dritten Weltranglistenplatz empor, mit dem WM-Titel erklomm er nun Platz eins. Den Spitzenrang belegt somit erstmals seit sieben Jahren ein anderer Profi als der Niederländer Michael van Gerwen. Price hat nach seinem Triumph über 270.000 Pfund Vorsprung auf „Mighty Mike“ und dürfte damit in den nächsten Monaten nur schwer vom Spitzenplatz zu verdrängen sein.
Der Vater zweier Kinder legt seine Verdienste gut an, er besitzt mehrere Häuser in Wales, auf seiner Shopping-Liste stehen nun Ferienhäuser zum Vermieten. Sein Ziel: Jahr für Jahr möchte er zwei Häuser kaufen, mit 50 sei es ihm dann egal, wo er in der Weltrangliste stehe. Höher als derzeit kommt er ohnehin nicht mehr.