Hamburg. Das Emirat am Persischen Golf investiert zur Leichtathletik-WM viel Geld in die Infrastruktur und wenig Mühe in Menschenrechte. Ein Kommentar.

Wenn an diesem Wochenende in Doha, der Hauptstadt Katars, die 17. Leichtathletik-Weltmeisterschaften richtig Fahrt aufnehmen, wird dem Wüstenemirat am Arabischen Golf wieder die von den Scheichs globale Aufmerksamkeit zuteil. Sie wird ihnen – und wohl auch ihren 230.000 Untertanen – einmal mehr nicht gefallen.

Viele Missstände im Fokus

Zur Sprache werden erneut die Lebensbedingungen der 1,6 Millionen Arbeitsmigranten kommen, deren schlechte, zum Teil ausbleibende Entlohnung, fehlende Meinungsfreiheit, die angebliche Unterstützung radikalislamischer Gruppen und mutmaßlicher Terrororganisationen, der Umgang mit dem weiblichen Geschlecht. Vergewaltigt zum Beispiel ein Katarer eine ausländische Bedienstete und zeigt diese ihren Peiniger dann an, kann sie wegen Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe ins Gefängnis geworfen werden.

Schere zwischen Arm und Reich

Franz Beckenbauer, der entthronte Fußball-Kaiser, hat nach eigener Aussage bei seinen Besuchen in Katar zwar nie Sklaven gesehen – wenn er aber genau hingeschaut hätte, wäre ihm wohl aufgefallen, dass zwischen Sonnenauf- und untergang fast ausschließlich schlecht gekleidete Arbeiter aus Nepal, Indien und Pakistan in der sengenden Hitze auf den Straßen zugegen sind. Der gemeine Scheich pflegt sich zu diesen Zeiten ventilator-gequirlte Luft um das tuchbedeckte Haupt wehen zu lassen. Das kann er auch, ist Katar doch mit einem Pro-Kopf-Einkommen von 124.529 US-Dollar, Stand 2017, das materiell reichste Land der Welt. Und weil vor der Küste das mit Abstand größte bisher entdeckte Gasfeld der Welt liegt, wird sich das auf absehbare Zeit kaum ändern.

Akzeptable Bedingungen allein für die Athleten

Die Bedingungen bei der WM werden für die Athleten halbwegs akzeptabel sein, trotz Temperaturen um 40 Grad Celsius. Der Antrieb der Katarer ist es schließlich, aller Welt zu zeigen, dass es sich selbst in einem unwirtlichen Klima leben und Sport treiben lässt. Das vor allem soll die Botschaft für die Post-Gas- und Öl-Ära in vielleicht 50 bis 70 Jahren werden.

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Das High-Tech-Stadion in Doha wird wohltemperiert sein, unzählige Düsen pusten kalte Luft auf die Tribünen, die Laufbahn und den Rasen. Selbst in der Mittagshitze liegen die Temperaturen auf der Anlage um die 27 Grad, abends um 22 Grad. Bei ihrer WM 2022 werden die Fußballer ähnliche Bedingungen in Katar vorfinden. Auch die Zuwege zu den Stadien sind beschattet. „Ihr heizt, wir kühlen. Beides verbraucht viel Energie, wir nutzen aber klimaneutral die Sonne als Quelle“, sagen die Katarer, die ansonsten – wenig umweltbewusst – den weltweit bei weitem höchsten CO2-Ausstoß pro Kopf der Bevölkerung haben.

Bringt Sport Veränderungen?

Das liest sich zum Teil wie eine Werbebroschüre für Spiele in Katar, und die alles entscheidende Frage, ob in einem totalitär regierten Land mit unzähligen Menschenrechtsverletzungen überhaupt Weltmeisterschaften oder Olympische Spiele abgehalten werden sollten, haben die Weltverbände des Sports längst mit Ja beantwortet. Sie pflegen dabei gern die Illusion, dass Veranstaltungen dieser Art Spannungen abbauen und politischen Wandel einläuten könnten. Passiert ist das noch nirgendwo. Die Sportler kommen und gehen, die Verhältnisse bleiben.

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Zwar verbinden die Verbände die Vergabe ihrer Großereignisse inzwischen mit Auflagen, bestimmte zivilisatorische Errungenschaften und Standards einzuhalten. Auch der Leichtathletik-Weltverband IAAF und die Fußballkollegen der Fifa haben derartige Vereinbarungen mit Katar aufgesetzt, doch die Schriftstücke sind meist ihr Papier nicht wert. Die angemahnten Verbesserungen der Arbeitsbedingungen erfolgten in Katar, wenn überhaupt, im marginalen Bereich; Verstöße gegen Menschenrechtsverletzungen blieben weiter oft ungesühnt. Mögliche Konsequenzen daraus fielen bislang aus.

Ursachenforschung für die Wettkämpfe in Katar

Dem Emirat die Weltmeisterschaften der Leichtathleten oder Fußballer zu entziehen, stand nie ernsthaft zur Debatte, auch aus Mangel an ähnlich finanziell lukrativen Alternativen. Und: Dürfen wir uns wirklich darüber aufregen, dass in Katar gelaufen, gesprungen, geworfen und demnächst auch Ball gespielt wird, wenn wir es ablehnen, bei uns Olympische Sommer- oder Winterspiele auszurichten? Das mag aus gutem Grund geschehen sein. Eine dieser Folgen sind aber auch Titelkämpfe in Katar.